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Gründungsgeschichte des Rechnungshofs

Standorte

  • Berlin, Heerstraße 18-20

    Heerstraße 18-20 in Charlottenburg, der Gründungssitz des Rechnungshofs

  • Berlin, Mecklenburgische Straße 57

    Schon zwei Monate nach seiner Gründungssitzung zog der Rechnungshof in die Mecklenburgische Str. 57 in Wilmersdorf um. Heute ist dort der Sitz der Deutsche Wohnen AG.

  • Knesebeckstr. 59 damals

    In den 80er und 90er Jahren war der Rechnungshof in Kudamm-Nähe, in der Knesebeckstr. 59- 60.

  • Berlin, Knesebeckstr. 59

    So sieht das Gebäude in der Knesebeckstr. 59 heute aus.

  • An der Urania 2-10 damals

    Nach langen Diskussionen zog der Rechnungshof aus der sanierungsbedürftigen Knesebeckstr. an die Urania. Das Bürohaus aus den 60er Jahren wurde schließlich selbst zum Sanierungsfall – es war asbestverseucht. Der Rechnungshof suchte wieder eine neue Bleibe …

  • An der Urania 4-10

    Das Gebäude An der Urania 4-10 heute.

  • Alt-Moabit Dienstgebäude

    und fand sie schließlich in Moabit im früheren Bundesinnenministerium. Der Rechnungshof residiert auf drei unteren Etagen.

Präsidenten und Präsidentinnen

  • Dr. Erich Lange, der erste Präsident des Rechnungshofs von Berlin

    Erich Lange, der erste Präsident des Rechnungshofs (1952-58)

  • Hans Winckelmann

    Hans Winkelmann, Präsident des Rechnungshofs von 1958 bis 1968, hier bei seiner Ernennung durch Bürgermeister Franz Amrehn

  • Ernst Sünderhauf

    Ernst Sünderhauf, Präsident des Rechnungshofs von 1968 bis 1973, hier (li.) 1972 zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz

  • Ulrich Müller

    Ulrich Müller, Präsident von 1973 bis 1991, hier (li.) 1980 beim Abschiedsempfang des Parlamentspräsidenten Peter Lorenz (re.)

  • Horst Gryszyk

    Horst Gryszyk, Präsident von 1992 bis 2000

  • Jens Harms

    Jens Harms, Präsident von 2000 bis 2008

  • Marion Claßen-Beblo

    Marion Claßen-Beblo, Präsidentin des Rechnungshofs von 2009 bis 2018, hier bei der Feierstunde zu „60 Jahre Rechnungshof“

  • Präsidentin Klingen bei der Übergabe des Jahresberichts 2021 an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner

    Präsidentin Klingen bei der Übergabe des Jahresberichts 2021 an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner

Kampf um die Unabhängigkeit

Vom kommunalen Hauptprüfungsamt zum Rechnungshof von (West-)Berlin 1945 bis 1954

Von Ralf Oberndörfer

Am 5. Juni 1952 trafen sich vier Herren in der Heerstraße 18-20 in Berlin-Charlottenburg: Erich Lange als Präsident und die drei Prüfungsdirektoren Erich Frank, Karl Schmidt und Werner Hanisch 1. An jenem Donnerstag fasste dieses Kollegium zwei Beschlüsse: Die Tätigkeit des Hauptprüfungsamtes war beendet; die Präsidialangelegenheiten des Rechnungshofs waren durch den Präsidenten zu regeln. Wenige Monate zuvor, am 15. November 1951, war das vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Gesetz über den Rechnungshof in Kraft getreten war.

Eine mehrjährige Debatte über die Ausgestaltung der Rechnungsprüfung im Nachkriegs-Berlin hatte damit ihr Ende gefunden. Mit dem Ende des Deutschen Reiches 1945 und der Auflösung Preußens 1947 war die Stadt quasi herrenlos geworden, getragen und kontrolliert nur von den vier Mächten USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion. Auch die Rechnungsprüfung musste neu aufgebaut werden. Vor allem eine Frage wurde dabei zentral: Wie unabhängig sollte die zukünftige Finanzkontrolle sein?

Das Gesetz über den Rechnungshof von Berlin, das das Abgeordnetenhaus am 18. Oktober 1951 schließlich verabschiedete 2 und das nach der Verkündung mit Datum vom 25. Oktober 1951 3 am 15. November 1951 in Kraft trat, hatte drei Quellen. Es war zum einen das Ergebnis der Umstellung der Kommunalverwaltung der Stadt Berlin auf eine Landesverwaltung. Zweitens beeinflussten die Erfahrungen mit dem Rechnungshof des Deutschen Reiches seit der Verabschiedung der Reichshaushaltsordnung von 1922 die Debatten in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung bzw. Senat und Abgeordnetenhaus. Sie waren die Institutionen eines neuen demokratischen Gemeinwesens in der Stadt. Drittens nahmen die Alliierten in West-Berlin in Gestalt der Briten entscheidend Einfluss auf das Gesetz.

In acht Kapiteln will dieser Text zum siebzigjährigen Bestehen des Rechnungshofs anlässlich seiner ersten Sitzung am 5. Juni 1952 die Entwicklung der ersten Jahre nachzeichnen.
Am Anfang steht die Darstellung der Entwicklung des Prüfungswesens im staatlichen und kommunalen Bereich bis zum Ende der NS-Herrschaft (1. Kapitel) Im September 1945 richtete der neu eingesetzte Magistrat ein Hauptprüfungsamt ein, das im Vergleich zum alten Kommunalrecht bereits erweiterte Kompetenzen besaß (2. Kapitel). 1947 legte das Hauptprüfungsamt seinen ersten Prüfbericht für die Jahre 1945 und 1946 der Stadtverordnetenversammlung vor (3. Kapitel). 1949 lehnten die Briten den ersten Gesetzesentwurf für einen Rechnungshof in West-Berlin ab (4. Kapitel). 1951 verabschiedete das Abgeordnetenhaus das vollständig neu erarbeitete Gesetz (5. Kapitel). 1954, zum Ende der ersten Wahlperiode, hatte sich eine Art behördliche Routine mit starker Verbindung zu Westdeutschland in der Inselstadt etabliert (6. Kapitel). Nach der Darstellung der einzelnen Entwicklungsschritte soll die Sonderprüfung der Organisation und Wirtschaftlichkeit der „Flüchtlingshilfe“ des Jahres 1952 zeigen, inwieweit der Rechnungshof die Doppelfunktion von Kontrolle und Beratung bereits einlösen konnte (7. Kapitel). Am Ende folgt eine kurze Zusammenfassung (8. Kapitel).

1. Kontrolle staatlicher und kommunaler Haushalte vor 1945

In Preußen gab es seit 1714 die Oberrechnungskammer 4. 1868 erhielt diese Behörde durch ein Gesetz des Norddeutschen Bundes die Kompetenz, unter der Bezeichnung „Rechnungshof des Norddeutschen Bundes“ den Bundeshaushalt zu prüfen 5. Seine Prüfungskompetenz ergab sich aus zunächst jährlich verabschiedeten Kontrollgesetzen 6, 1871 wurde sie für den jetzt „Rechnungshof des Deutschen Reiches“ in der Reichsverfassung festgeschrieben. In Potsdam waren beide Behörden im selben Gebäude untergebracht, und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war die Generalkammer personalstärker als die Reichsbehörde. Die preußische Dominanz als strukturelles Problem des Deutschen Reiches veranlasste Hugo Preuss in seinem ersten Entwurf zur späteren Weimarer Verfassung Preußens Aufteilung vorzusehen 7. Preußens Geschichte endete am 25. Februar 1947 mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 46 8. Die Traditionen beziehungsweise preußischen Tugenden waren aber so stark, dass Schlagworte wie Disziplin und Objektivität sowohl in die Entlastungsstrategie der Beamtenschaft nach 1945 als auch in das Gründungsnarrativ des Bundesrechnungshofs einflossen. Josef Mayer, dessen erster Präsident ließ im Sitzungssaal des Neubaus in Frankfurt/Main einen Wandteppich mit dem preußischen Adler und einem Zitat Friedrichs II. anbringen 9.

Die Emanzipationsgeschichte des Rechnungshofs des Deutschen Reichs begann mit der Schaffung der Reichshaushaltsordnung (RHO) 1922. Die beiden Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1875-1921) und Joseph Wirth (1879-1956), der auch knapp zwei Jahre lang Reichskanzler war, bildeten in ihrer Rolle als Reichsfinanzminister die treibenden Kräfte. Die RHO brachte eine größere Eigenständigkeit gegenüber der Preußischen Oberrechnungskammer.

Mit der RHO erhielt der Rechnungshof den Auftrag, alle staatlichen Ausgaben zu prüfen, bis auf die, die unter Geheimhaltung standen. Die Prüfung umfasste nun auch die Frage, ob die Verwaltungen die gebotene Wirtschaftlichkeit berücksichtigt hatten. Die Vorprüfung erfolgte durch die jeweiligen Behörden selbst, der Rechnungshof betrieb „Superrevision“, verstärkt auch durch Prüfungen vor Ort. Das bedeutete, dass nicht mehr wie vor 1918 tonnenweise Papier nach Potsdam und wieder zurück transportiert werden musste. Dem Rechnungshof oblagen jetzt verschiedene Informationspflichten. Zunächst gingen die „Erinnerungen“ der geprüften Behörde zu. Die danach ausgearbeiteten „Bemerkungen“ bildeten die Grundlage für die Entlastung der Reichsregierung und gingen zusammen mit einer Denkschrift des Präsidenten an das Reichsfinanzministerium, dem der Rechnungshof unterstellt war. Dieser legte sie dem Reichstag und dem Reichsrat, der Länderkammer, vor. Den Abschluss des Prüfungsverfahrens bildete die „Mitteilung“ an die Reichsregierung über Mängel verbunden mit Vorschlägen für ihre Behebung 10. Auf Anfrage der Reichsregierung sollte und konnte der Rechnungshof auch Stellungnahmen zu einzelnen Fragen von besonderer Bedeutung abgeben. Diese Stellungnahmen bildeten den Beginn der beratenden Tätigkeit. Um all das umzusetzen, erhielt die Behörde umfassende Auskunfts-, Weisungs- und Rügerechte, ebenso Strafkompetenzen gegenüber höheren, allerdings nicht gegenüber obersten Reichsbehörden 11. Zugleich erweiterte die RHO auch die Kontrollrechte des Parlaments. In der späten Weimarer Republik kam es zu ersten institutionalisierten Kontakten zwischen Rechnungshof und Haushalts- bzw. Sparausschuss des Reichstags. Trotzdem blieb die Kontrollbehörde Teil der Exekutive. Das Reichsfinanzministerium sah die Kontakte zur Legislative stets mit Misstrauen 12.

Friedrich Saemisch um 1930, Präsident des Rechnungshofs des Deutschen Reichs

Ohne die Persönlichkeit von Friedrich Saemisch (1869-1945) hätte sich das Potenzial der RHO wohl nicht in dieser Weise entfalten können. Er war 1921 preußischer Finanzminister und von 1922 bis 1938 Präsident des Reichsrechnungshofs. In dieser Funktion modernisierte er dessen Verwaltungsapparat, die technische und wissenschaftliche Infrastruktur und betrieb die Emanzipation von der preußischen Generalrechnungskammer, deren Chefpräsident er zugleich war 13. Er ermöglichte dem Parlament eine Annäherung an die Erkenntnisse und Informationen seiner Behörde, die auch das Finanzministerium akzeptierte. Daneben hatte er nach der Hyperinflation auch das Amt des Reichssparkommissars inne, scheiterte aber mit seinen Bestrebungen, sich Kompetenzen anzueignen, die den Um- und vor allem Abbau der Reichsverwaltung in seine Hände gelegt hätte. Als Multifunktionär und Netzwerker zeigte er ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Machtbewusstsein, die er auch im Nationalsozialismus einzusetzen wusste 14. Die Leitlinien der neuen Machthaber waren spürbar. Sie entzogen dem Rechnungshof die Zuständigkeit für Wehrausgaben und entmachteten das Präsidium mit seinen Kollegialbeschlüssen durch die Einführung des Führerprinzips. Der Präsident entschied im Zweifelsfall allein. Trotzdem konnte sich die Behörde ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bewahren. Dieses Ziel deckte sich mit den Interessen von Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, dem die allgegenwärtige Korruption ein Dorn im Auge war. Saemisch hatte von Anfang an das Ideal des unpolitischen, objektiven Beamten kultiviert. Anders als bei den obersten Reichsbehörden wurde nach der Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933 kein einziger Beamter des Reichsrechnungshofs entlassen 15. Im Krieg beriet die Behörde die im Neuaufbau befindlichen Verwaltungen in den besetzten Gebieten. Viele Mitarbeiter des Rechnungshofs erhielten so detaillierte Kenntnisse von Ausplünderung und Massenmord 16. Ihre Anprangerung von Missständen, zum Beispiel fehlerhafte Haushaltsplanung und Verschwendung von Ressourcen, machte die Verfolgungspraxis wirksamer und half den NSDAP- und SS-Funktionären, sich in einem staatlichen Verwaltungsapparat zurechtzufinden, den sie sich als Quereinsteiger zunutze machten 17. Die Erziehung zum zielgerichteten Mitteleinsatz machte die Vernichtungspolitik effizienter. Nach 1945 war das idealisierte Bild des unpolitischen Beamten ein Türöffner für den Einstieg von NS-Staatsdienern auf breiter Front in die Behörden der Bundesrepublik.

Dem preußischen Kommunalrecht war die zweistufige Prüfung (Behörde Vorprüfung – Rechnungskammer Revision) fremd. Nach § 69 der Städteordnung für die östlichen Provinzen von 1853, die bis 1933 in Kraft war, erstellte ein von der Gemeinde beschäftigter „Einnehmer“ die Rechnung (Jahresprüfung) vor dem 1. August des folgenden Jahres und reichte sie dem Magistrat ein. Dieser hatte die Rechnungen zu revidieren und mit seinen Erinnerungen und Bemerkungen den Stadtverordneten zur Feststellung, Prüfung und Entlastung vorzulegen. Ab 1900 erfolgte in größeren Städten die Rechnungsprüfung durch Revisionsbüros oder -ämter. Diese waren direkt dem Magistrat unterstellt. Erst die Preußische Gemeindefinanzverordnung vom 11. Februar 1932 schrieb Prüfungsämter gesetzlich vor 18. Berlin hatte bereits 1921 nach Vorbild der Oberrechnungskammer eine Stadtrechnungskammer eingerichtet 19, die ab 1925 Hauptprüfungsstelle hieß. Sie war dem Kämmerer unterstellt. Als sich die Gemeinden mit eigenen Betrieben immer häufiger unternehmerisch betätigten, kam die Wirtschaftlichkeitsprüfung auch im kommunalen Bereich dazu 20. In den 1920er Jahren schlossen sich Gemeinden und Gemeindeverbände zu überörtlichen Prüfungsverbänden zusammen. Die Träger dieser überörtlichen Prüfung waren die regionalen Städtetage. Der Deutsche Städtetag war 1905 gegründet worden. Die Städtetage richteten eigene Revisionsabteilungen ein oder bedienten sich der Revisionseinrichtungen der Sparkassen- und Giroverbände. Kleinere Gemeinden ließen sich bald nur noch überörtlich prüfen. Die Prüfung zielte jetzt auch auf verbesserte Effizienz und Vermeidung von Verschwendung 21.

Staatsakt am 30. April 1934 zur Amtseinführung des Staatskommissars für Berlin Julius Lippert. Von links nach rechts: Heinrich Sahm, Oberbürgermeister von Berlin (mit Amtskette), Hermann Göring, Julius Lippert

Das NS-System schränkte die Autonomie der Gemeinden stark ein, sie wurden Befehlsempfänger der Staatsgewalt. Das Preußische Finanzgesetz vom 12. Dezember 1933 richtete ein Gemeindeprüfungsamt bei der jeweiligen Aufsichtsbehörde ein. Dieses prüfte die Gemeinde und erteilte deren Leiter Entlastung. Die kommunalen Rechnungsprüfungsämter hatten lediglich vorzuprüfen 22. In Berlin wurde die Hauptprüfungsstelle bis 1938 zum Kontrollinstrument der NSDAP. Unabhängig davon setzte Hermann Göring als Preußischer Ministerpräsident Julius Lippert als Staatskommissar für Berlin ein 23. Die Berliner Oberbürgermeister Heinrich Sahm und Oskar Maretzky waren ihm untergeordnet. Mit der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 gab sich die NSDAP eine formale Ermächtigung, überall „Ratsherren“ einzusetzen, die die Funktionen von Gemeinderäten ausübten. Lippert wurde 1937 schließlich Oberbürgermeister, dennoch konnte Albert Speer als von Hitler eingesetzter Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt frei schalten und walten. Das betraf Baumaßnahmen, Straßen- und Verkehrsplanung sowie die Entmietung und Neuunterbringung von Einwohnerinnen und Einwohnern. Ab 1938 erfolgte die überörtliche Prüfung durch das dem Reichministerium des Innern zugeordnete Gemeindeprüfungsamt, das später auch für Hamburg, Wien und andere Großstädte zuständig war 24. Lippert wurde 1940 auf Wunsch von Speer entlassen, sein Nachfolger als Oberbürgermeister und Stadtpräsident war bis 1945 Ludwig Steeg, der im selben Jahr in sowjetischer Gefangenschaft starb.

2. Kriegsbilanz und Neubeginn (1945)

Berlin hatte am 5. Mai 1945 kapituliert. Am 16. Mai 1945 setzte der sowjetische Stadtkommandant Nikolai Bersarin eine neue Stadtverwaltung ein. Sie umfasste den Magistrat und 20 Bezirksverwaltungen. Das Rechnungswesen der Stadt Berlin stand nach dem Ende des NS-Regimes vor drei großen Herausforderungen. Es musste sich von einem kommunalen System in ein staatliches verwandeln. Es musste den politischen Vorgaben der westlichen Alliierten, insbesondere nach Unabhängigkeit der Prüferinnen und Prüfer entsprechen. Es brauchte Strukturen, die wieder eine zeitnahe Prüfung aller Bücher und Kassen auf Landes- und Bezirksebene gewährleisteten. Nur regelmäßige Prüfungen garantierten die erforderliche Kontrolldichte, und ermöglichten der Verwaltung, die richtigen Schlüsse aus den Empfehlungen der Rechnungskontrollbehörde zu ziehen. Das war eine wesentliche Erkenntnis von Saemischs Modernisierungsprogramm gewesen 25.

Das überörtliche Gemeindeprüfungsamt, das aus preußischer Zeit stammte, hatte im Krieg seine Tätigkeit eingestellt. Der Jahreskassenabschluss für das Jahr 1944 war nicht mehr durchgeführt worden. In den Monaten April und Mai 1945 hatte es Mehrausgaben von 90 Mio. RM (Reichsmark) gegeben, für die keine Haushaltspläne bestanden. Diese Mittel waren vor allem für die Aufgaben verwendet worden, die die Rumpfverwaltung Berlins zur Verteidigung der Stadt ausführte. Hitler hatte am 9. März 1945 befohlen, dass die Stadt „bis zur letzten Patrone“ zu verteidigen sei. Dafür sollten Verteidigungsringe außerhalb der Stadtgrenze und besonders gesicherte Zonen im Stadtgebiet beitragen. Dazu kam die Beseitigung der Schäden durch sowjetischen Artilleriebeschuss sowie britische und US-amerikanische Luftangriffe, die parallel zum Vorrücken der sowjetischen und polnischen Bodentruppen erfolgten. Es herrschte ein großer Kompetenzwirrwarr. Berlin hatte in den Wochen nach Hitlers „Patronen-Befehl“ drei militärische Kriegskommandanten: Hellmuth Reymann, Ernst Kaether und Helmuth Weidling, der am 2. Mai kapitulierte. Zugleich war Joseph Goebbels bis zu seinem Suizid am 1. Mai Gauleiter von Berlin und seit Juli 1944 auch Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz. In dieser Funktion sollte er alle zivilen Ressourcen und sämtliche staatliche Infrastruktur den militärischen Notwendigkeiten unterordnen. Speer war immer noch Generalbauinspektor, zugleich aber auch seit 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition. In dieser Funktion konnte er jeden und jede zu Aufgaben heranziehen, die ihm kriegswichtig schienen. In der Praxis hieß das: Goebbels und Speer ordneten an, die Kommunalverwaltung führte Aufgaben aus, für die kein Posten im kommunalen Etat vorgesehen war 26. Diese chaotische Praxis vollzog sich auf der Grundlage einer bereits seit Jahren geduldeten Korruption durch „Aushöhlung der öffentlichen Haushalte durch Sonderfonds, schwarze Kassen oder Stiftungen.“ 27 Nach dem Ende des Krieges gingen die Aufräumarbeiten weiter; diesmal auf sowjetischen Befehl, aber immer noch ohne Etat.

In der Schlacht um Berlin war neben vielen anderen Dienststellen die Stadthauptkasse im Roten Rathaus zerstört worden. Vorerst gab es Behelfsräume in der Elisabethstraße 28 28. Im Schlussbericht für die Rechnungsjahre 1945 und 1946, den das im Herbst 1945 neu geschaffene Hauptprüfungsamt verfasst und die Stadtverordnetenversammlung bestätigt hatte, las sich das so: „Die Räume der Stadthauptkasse lagen zu ebener Erde, waren völlig ungesichert und boten gegen Eindringlinge überhaupt keinen Schutz. Die Fenster waren ungesichert und nur mit Bizella 29 und Pappe abgedichtet; Eisengitter fehlten. Bis zu 1.000.000,— RM täglich wurden in einem kleinen Geldschrank primitivster Art aufbewahrt. Die Bewachung durch einen Wächter war unzureichend. Bei Eintritt eines Schadensfalles durch Beraubung wäre der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht überzeugend zu widerlegen gewesen.“ 30

Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hatte die Reichshaushaltsordnung (RHO) aufgehoben und das Rechnungsprüfungsamt der Stadt zerschlagen. Die SMAD verfolgte damit als Teil der antifaschistischen Neuausrichtung eine grundsätzliche Abkehr von der Haushaltstradition bürgerlicher Gesellschaften, also von der Gewaltenteilung und dem Etatrecht des Parlaments. Den Reichrechnungshof schaffte sie ab. Seine Aufgaben übernahm im Herbst 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Zentralfinanzverwaltung als Keimzelle einer deutschen obersten Behörde für diesen Bereich 31. Von den 200 planmäßigen Beschäftigten des Rechnungsprüfungsamtes von Berlin waren acht übrig geblieben, die in der Finanzverwaltung der Stadt arbeiteten. Die übrigen waren entweder bereits während des Krieges eingezogen worden 32, – „Personalfreimachung“ im Sprachgebrauch des NS-Regimes 33 -, tot durch Kriegseinfluss oder durch Suizid, in die Westzonen geflohen oder interniert. Es gab keine gültigen Verwaltungsvorschriften mehr, insbesondere keine Kassenordnung, Wirtschaftsordnung und Rechnungsordnung.

Unter diesen Bedingungen unternahm Berlin die ersten Schritte zurück zu einer regulären Haushaltsführung. Für den 1. Juni bis 31. August 1945 stellte der Magistrat einen Haushaltsplan auf. Wie man ihn prüfen wollte, blieb offen. Berlin hing in der Luft. Es hatte vor 1933 dem preußischen Kommunalrecht unterlegen. In Einzelfragen hatte auch die Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922 gegolten 34. Eine staatliche Ebene aber gab es nicht mehr. Welche Gesetze galten, war unklar. Zwei weitere Vierteljahrespläne bis einschließlich März 1946 folgten. Die neun Monate ab April 1946 wurden in einem Haushaltsplan zusammengefasst.

Im Schlussbericht für 1945 und 1946 hieß es: „Es stellte sich, wie nicht anders zu erwarten, heraus, dass manche der aufgedeckten Mängel in den Wirrnissen der besonderen Zeitumstände ihre Erklärung fanden oder durch unabwendbare Ereignisse hervorgerufen wurden.“ 35 An anderer Stelle hieß es: „Einzelne Buchhalter haben – unüberlegt – vielfach Buchmanipulationen vorgenommen, die in normalen Zeiten ihre fristlose Entlassung zur Folge gehabt hätten.“ 36 „Unter Berücksichtigung der besonderen durch den Zusammenbruch verursachten Umstände“ 37 ergab sich für das Jahr 1945 ein Fehlbetrag der ordentlichen Verwaltung von 236.591.906,29 RM.

Dieser Bericht zog eine Bilanz des Schreckens und blendete die Schrecken zugleich aus. Seine Sprache war von einer geradezu tiefgefrorenen Sachlichkeit 38. Der heutigen Generation mag die Aussage, dass für die Kosten der Schlacht um Berlin auf deutscher Seite im April und Mai 1945 Mehrausgaben von etwa 90 Mio. Reichsmark anfielen, ebenso bizarr vorkommen wie die Feststellung, dass es für diese Kosten keinen Haushaltsplan gab. Dieser Tonfall entsprach aber der externen Prüfperspektive, die die Rechnungsprüfungsbehörden unter demokratischen Bedingungen hatten einnehmen sollen. In dieser kühlen Bilanzierung steckte die Prämisse, dass alles staatliche Handeln seine Entsprechung in einem Haushaltstitel finden muss. Der Schlussbericht für 1945/1946 gab dem festen Vorsatz Ausdruck, weg zu kommen von der anlassbezogenen, hektischen, willkürlichen, regelmäßig extralegalen Verwaltungspraxis des NS-Systems, das mit seinen sektoralen Sonderbehörden und seiner Entstaatlichung vieler Bereiche die Unkontrollierbarkeit immer weiter getrieben hatte. Es gab bei den Bericht erstattenden Beamten den Wunsch nach „Ordnung und Sparsamkeit der Verwaltungs- und Wirtschaftsführung, Sauberkeit der Geschäftsführung in den Kassen.“ 39 Das war nicht die „Ordnung des Terrors“, die Wolfgang Sofsky in seinem gleichnamigen Standardwerk über Konzentrationslager untersucht hat. Es war auch nicht die „Sauberkeit“ des Hygienefanatikers Heinrich Himmler. Die Begriffe waren dieselben, meinten aber etwas anderes. Die Spitzen der von den Alliierten eingesetzten Verwaltung wollten zu Prinzipien wie Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit zurückkehren, die das NS-System im totalen Krieg ab 1942 endgültig preisgegeben hatte. Zugleich bedeutete dieser Bericht auch die Rationalisierung einer beispiellosen Zerstörung, für der der gesamte deutsche Staatsapparat die Verantwortung trug.

Die Entscheidungsgewalt hatten die Siegermächte inne. Am 7. Juli 1945 hatten sie die Alliierte Kommandantur geschaffen. Die Briten kümmerten sich wie in den Westzonen federführend um das Rechnungswesen. Am 24. August 1945 erhielt die Abteilung für Finanz- und Steuerwesen des Magistrats eine Mitteilung aus dem Rechtsbüro der Abteilung für Personalfragen der Verwaltung des Magistrats: „Auf Vorstellung [Mitteilung] von alliierter Seite (britische Zone) geben wir folgendes bekannt: Keine deutsche Behörde darf eine Verfügung oder ein Gesetz erlassen, die vor der Besetzung die Zustimmung einer Ministerial-, gesetzgebenden oder einer anderen nicht mehr bestehenden Behörde erfordert hätten. Vorschläge für ein Gesetz dieser Art müssen der Militärregierung unterbreitet werden.“ 40 Das Dokument trägt im Archiv den Eingangsstempel „Rechnungsprüfungsamt Berlin“. Der Stempel war noch da, das Amt gab es nicht mehr.

Arthur Pieck (KPD), Leiter des Amtes für Personal und Verwaltung, November 1945

Unterzeichnet hatte die Bekanntgabe Arthur Pieck (1899-1970). Der Sohn des späteren DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck war aus dem Moskauer Exil mit der Roten Armee bis nach Berlin gezogen und hatte im Stab von Marschall Georgi Schukow u.a. als Dolmetscher fungiert. Nach seiner Entlassung im Range eines Hauptmanns bestätigte Stadtkommandant Nikolai Bersarin Pieck am 19. Mai als Stadtrat. Walter Ulbricht hatte ihn für dieses Amt vorgeschlagen. Im Magistrat war Pieck Leiter der Abteilung Personal und Verwaltung. Nach der Wiederzulassung der KPD durch die SMAD schloss er sich dieser erneut an. Im April 1946 war Pieck Delegierter auf dem Vereinigungsparteitag von SPD und KPD, danach Mitglied der SED. 41 Dem Magistrat gehörte Pieck bis 1946 an. Der erste Stadtkämmerer nach dem Krieg war der Sozialdemokrat Erich Siebert 42, der das Amt bis 1947 innehatte.

Ohne Zustimmung der Alliierten konnte Berlin keine Gesetze erlassen. Die Frage nach einer Neuregelung blieb offen. Stattdessen gab es etwas später eine Umbenennung, die zugleich eine Aufgabenerweiterung war. Am 6. September 1945 teilte Pieck der der Abteilung Finanz- und Steuerwesen mit: „Das Rechnungsprüfungsamt führt zukünftig die Bezeichnung „Hauptprüfungsamt“ und gehört organisatorisch zur Abteilung für Personalfragen und Verwaltung.“ 43 Im Personalamt koordinierte Pieck die Zusammenarbeit mit den Personaldezernenten der Bezirke und war für die Entlassung NS-belasteter kommunaler Beschäftigter verantwortlich 44. Seine Entscheidung, die Haushaltsprüfung seiner mächtigen Abteilung zuzuordnen, entsprach dem Führungsanspruch der KPD-Funktionäre, die in Moskau im Exil gewesen waren und weitere Schlüsselpositionen besetzten 45. Der Begriff Hauptprüfungsamt bedeutete, dass die Kommune jetzt auch Aufgaben zu übernehmen hatte, die vorher zur staatlichen Verwaltung gehört hatten, insbesondere Justiz, Polizei und Finanzämter.

Diese neuen Kompetenzen bildeten sich auch im Haushaltsplan vom 1. Juni 1945 ab. Er unternahm es, die alte kommunale Gliederung mit den neu übernommenen staatlichen Aufgaben abzugleichen und unterteilte sich in die Kapitel I bis XXIII. Die Kapitel I bis IX waren für die Haushalte der 20 Bezirksämter bestimmt, die wie bisher ausschließlich kommunale Aufgaben übernahmen. Kapitel I a umfasste für jeden Bezirk die Allgemeine Verwaltung, I b Arbeit, I c Ernährung. Kapitel III war der Bauverwaltung vorbehalten. Es folgten weitere Kapitel für die verschiedenen Fachbereiche.

Die Hauptverwaltung, also die Ebene des Magistrats, belegte die Kapitel XI bis XIX. Entsprechend der Zuordnung in den Bezirken war Kapitel XI a für die Allgemeine Verwaltung vorgesehen, XI b war Arbeit, XI c Ernährung, XIII die Bauverwaltung für die Stadt als Ganzes. Kapitel XII umfasste Polizei, Feuerwehr und Justiz. Für diese in Preußen vor 1933 staatlichen Verwaltungen waren die Bezirke nicht zuständig. Deshalb blieb Kapitel II unbesetzt. Kapitel XX bis XXII waren für Finanzen und Steuern vorgesehen, auch das war staatliche Verwaltung, die die Stadt übernommen hatte. Das letzte Kapitel XXIII war den Besatzungskosten zugeordnet 46.

Am 13. Oktober 1945 hieß es in dem Artikel „Steuerpfennige unter die Lupe genommen“ in der von der Liberal-Demokratischen-Partei (LDP) des sowjetischen Sektors herausgegebenen Zeitung „Der Morgen“: „Eine der wichtigsten Aufgaben des Hauptprüfungsamtes wird es sein, die sogenannte Jahresrechnung der gesamten Verwaltung zu kontrollieren und die Beschlussfassung der Körperschaften vorzubereiten, die die Entlastung erteilen. […] Zu alledem führt das Hauptprüfungsamt auch noch die eigentliche Kassenprüfung durch.“ 47 Eine Körperschaft, die die Entlastung erteilen konnte, eine Stadtverordnetenversammlung, gab es allerdings erst ein Jahr später.

Der neugewählte Oberbürgermeister Dr. Otto Ostrowski bei seiner ersten Ansprache am 5. Dezember 1946

3. Kommune im Umbruch (1947)

Am 4. September 1946 erließen die Siegermächte eine „Vorläufige Verfassung von Berlin“ (VVB). Sie war die Voraussetzung dafür, dass am 20. Oktober die Berliner Bevölkerung die erste und einzige Stadtverordnetenversammlung für die gesamte Stadt bis 1990 wählen konnte. Stärkste Partei wurde die SPD. Ihr gehörte Otto Ostrowski (1883-1963) an, den die Stadtverordnetenversammlung am 5. Dezember 1946 zum Oberbürgermeister wählte. Ostrowski war zwar gegen die Vereinigung von KPD und SPD, legte aber Wert auf gute Kontakte zur Sowjetischen Militäradministration und zur SED. Als er sich weigerte, die SED-Mitglieder aus seinem Magistrat zu entlassen, initiierte seine eigene Fraktion, die dem Abgrenzungskurs von Ernst Reuter (1889-1953) und anderen folgte, am 17. April 1947 einen Misstrauensantrag. Dieser scheiterte mit zwei Stimmen an der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit. Ostrowski trat dennoch zurück und erklärte dazu: „Durch die von der Stadtverordnetenversammlung eingenommene Haltung bin ich in eine von mir nicht verschuldete Zwangslage gebracht worden, die mich nötigt, mein Amt unter Beachtung der verfassungsmäßigen Bestimmungen zur Verfügung zu stellen. Ich gehe bei dieser Entscheidung von meiner Verantwortung vor der Berliner notleidenden Bevölkerung aus.“ 48 Ostrowskis Abwahl war nominell gescheitert, er hielt es aber für falsch, gegen eine Mehrheit in der eigenen Partei sein Amt weiter innezuhaben. Stadtverordneten-Vorsteher Otto Suhr (1894-1957, SPD) gab zu Protokoll: „Wenn sich die Mehrheit des Hauses in den letzten Monaten manchmal außerstande sah, der politischen Linie des Herrn Oberbürgermeisters zu folgen, so versagt doch kein Stadtverordneter dem Herrn Oberbürgermeister seine Achtung als befähigtem Verwaltungsfachmann, der bemüht war, sein Bestes für den Wiederaufbau von Groß-Berlin zu geben.“ 49

Nach dem Rücktritt Ostrowskis lehnte die SMAD Ernst Reuter als Oberbürgermeister ab, weshalb Luise Schroeder (1887-1957, SPD) am 8. Mai 1947 das Amt kommissarisch übernahm.

Während die politischen Frontstellungen des Kalten Krieges die Kommunalverwaltung allmählich in die Spaltung trieben, legte das Hauptprüfungsamt fast genau ein Jahr nach der Wahl, am 22. Oktober 1947, als „Vorlage 480 zur Kenntnisnahme und Beschlussfassung“ der Stadtverordnetenversammlung seinen ersten Prüfbericht vor. Grundlage war Art. 30 Abs. 2 VVB. Der Prüfbericht für 1945 und 1946, den die Stadtverordnetenversammlung bestätigte und damit die Verwaltung entlastete, lag nur im Original vor. Aufgrund von Papiermangel war der Druck in einer höheren Auflage nicht möglich. Er bilanzierte die Schäden, die hier in Abschnitt 2 dargestellt sind. Dazu kam die eigentliche Prüfung.

Seit Oktober 1945 hatte die Leitung des Hauptprüfungsamtes bereits fünfmal gewechselt. Die Behörde hatte jetzt 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Soll lag zum 1. Januar 1948 bei 191 Stellen. Das Hauptamt der Behörde gliederte sich in vier Dezernate, dazu gab es 21 Prüfstellen, 20 für die Bezirke, eine für die Hauptverwaltung. Die erste unangemeldete Prüfung der Stadtkasse hatte im Juni 1946 stattgefunden. Mittlerweile führten die Bezirksprüfstellen dreimal jährlich unangemeldete Prüfungen bei allen großen und mittleren Kassen sowie die Vorprüfung der Jahresrechnung durch. Das Hauptamt war für eine einmalige unangemeldete Prüfung sowie ergänzende und abschließende Prüfung der Jahresrechnung zuständig. Die Bezirksfinanzverwaltungen prüften die kleinen Kassen. 50

Trotz der Startschwierigkeiten kritisierte der Bericht eine personelle Überbesetzung: „Besonders in der Zeit nach dem Zusammenbruch ist der Personalbestand, gemessen an den Aufgaben, zu hoch gewesen. Auch unter Berücksichtigung der Erschwernisse, die sich z.B. anfangs durch den Ausfall der Verkehrsmittel und des Fernsprechers für die Verwaltung ergaben und zahlreiche sonst vermeidbare Wege zur Folge hatten, wurde zu großzügig in der Personalausstattung [des Hauptprüfungsamtes] verfahren.“ 51 Auf der anderen Seite war es schwierig, geeignete Prüfer oder Prüferinnen für bestimmte Fachgebiete zu finden. Bezüglich der Kraftfahrzeuge empfahl der Bericht die Beschränkung auf „lebensnotwendige Fahrten“ und die Einrichtung einer Reparaturwerkstatt für das Hauptprüfungsamt 52.

Erste Sonderprüfungen umfassten die Feststellung über den Zahlungseingang und die Verrechnung der Einnahmen auf die russischen Lebensmittellieferungen im Mai 1945 53. Im November 1945 hatte die Abteilung für Personalfragen und Verwaltung des Magistrats den Auftrag erteilt, die Bezirksverwaltung Mitte in allen Abteilungen und Dienststellen auf Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Die Kosten lagen pro Einwohner und Einwohnerin bei 4,40 RM 54. Nach Steglitz war Mitte der teuerste Bezirk im Bereich der Arbeitsverwaltung. Allerdings waren in Steglitz 70 kommunale Beschäftigte für die US-Militärverwaltung tätig. Diese Personalkosten waren als Besatzungskosten zu verbuchen 55.

Für Kapitel XIII (Bauverwaltung der Gesamtkommune) kritisierte der Bericht mehr als 1000 im Rechnungsjahr 1945 geleistete und nicht korrekt verbuchte Abschlagszahlungen. Ferner problematisierte der Bericht, dass Rechnungen für alliierte Bauvorhaben meist ohne Titelangabe und Kostenvoranschlag bezahlt worden seien. „Es handelt sich hierbei meistens um Bauvorhaben für eine Besatzungsmacht, bei denen wahrscheinlich die Mittelbewilligung dringlich war, ohne dass zu diesem Zeitpunkt schon ein Kostenvoranschlag vorlag.“ 56

Die Justizverwaltung, die Berlin übernommen hatte, war zum ersten Mal Gegenstand einer Prüfung: „Die jetzige Jahresrechnung der Berliner Justiz ist nach den Prüfungsgrundsätzen des Rechnungshofs [des Reiches] und unter Zugrundelegung der bisherigen Gesetze, Verordnungen und Vorschriften der früheren Reichsjustizverwaltung geprüft worden,“ 57 hieß es. Nicht immer ging es regelkonform zu. Ein Angehöriger der Staatsanwaltschaft hatte von der Polizei beschlagnahmte „Plünderware“ an die Angestellten in seiner Behörde weiterverkauft 58. Die Justizverwaltung hatte durch einen Raubüberfall mit Waffengewalt ein Dienstfahrzeug verloren. Das es noch nicht bezahlt war, musste sie den Kaufpreis an den Verkäufer leisten. „Weiter musste beanstandet werden, dass an 2 Ehefrauen von Justizbediensteten, die von der russischen Besatzungsmacht verhaftet worden sind, aus Besoldungsmitteln laufende Unterstützungen gezahlt worden sind, und zwar mit monatlich 150 RM und 250 RM. So tragisch diese Einzelfälle auch liegen mögen, sind die Zahlungen aus dem Besoldungsfonds hier unzulässig, Auch bestehen gegen die Höhe insofern Bedenken, als sie die Rentensätze der städtischen Versicherungsanstalt übersteigen. Wir sind der Ansicht, dass die fraglichen Personen nicht aus Justizmitteln, sondern aus Mitteln des Sozialamtes zu unterstützen sind.“ 59

4. Die Briten sagen „Nein“ (1949)

Sofort nach der Einrichtung des Hauptprüfungsamtes kamen von dort verschiedene Entwürfe, die in der Verabschiedung eines Gesetzes ihre Vollendung finden sollten. Im September und Oktober 1945 sprachen sie wahlweise vom „Wiederaufbau des Rechnungsprüfungsamtes“ 60, von der „Neuorganisation des Hauptprüfungsamts“ 61 oder zielten auf eine „Ordnung des Prüfungswesens“ 62 ab. So wechselhaft die Bezeichnungen waren, so unklar blieben zunächst Struktur und Kompetenzen, einschließlich der Rollenverteilung zwischen städtischer und Bezirksebene.

Bei den Bemühungen um einen Neubeginn auf der Grundlage einer kommunalen Struktur blickte man in der Finanzverwaltung auch auf die rechtlichen Regelungen für das alte Rechnungsprüfungsamt zurück. Dazu gehörte auch die Vorläufige Geschäftsordnung für das Rechnungsprüfungsamt der Stadt Berlin vom 30. August 1938. Dieses Dokument stammte zwar aus der Zeit des NS-Regimes, allerdings aus einer Zeit, bevor Albert Speer als Generalinspektor für die Reichshauptstadt die Kommunalverwaltung faktisch entmachtet hatte. Vielleicht konnte man sie, von ideologischen Formulierungen befreit, als Blaupause nutzen und der Kommune ihre Autonomie teilweise zurückgeben 63.

Der Nachfolger von Arthur Pieck und neue Verantwortliche im Hauptamt Personal und Verwaltung war Martin Schmidt (1905-1961, KPD/SED). Er gehörte dem Magistrat Ostrowski an und war später Präsident der DDR-Notenbank 64. Schmidt lehnte Prüfungsstellen bei den Verwaltungsabteilungen der Hauptverwaltung des Magistrats und den Bezirksverwaltungen ab und schrieb im November 1945: „Die Rechnungsprüfung kann nur von einer zentralen Stelle aus, dem Hauptprüfungsamt, durchgeführt werden.“ Ein Entwurf eines Mitarbeiters aus dem August 1946 wollte in der jetzt als „Hauptorganisationsamt“ bezeichneten Abteilung des Magistrats den Bezirken eigene Prüfungskräfte zugestehen 65. Er befürwortete eine Rückkehr zur kommunalen Prüfungsstruktur, sobald Berlin eine neue Verfassung hatte, an deren Entwurf auch deutsche Stellen arbeiteten. Im September 1946 fasste der Magistrat einen Beschluss zur Durchführung der Kassen- und Rechnungsprüfung. Berichterstatter war Friedrich Haas (1896-1988, CDU), damals kommissarischer Stadtkämmerer, später Finanzsenator von West-Berlin. Mit Einverständnis von Schmidt durfte auch die Versammlung der Bezirksbürgermeister diesen Beschluss erörtern. Nach wie vor planten die Verantwortlichen im Hauptprüfungsamt und dem Hauptorganisationsamt des Magistrats kommunal. Die Diskussion im Frühjahr 1947 zur Frage der Einrichtung von Außenstellen des Hauptprüfungsamtes bezog auch die Ortssatzung vom April 1932 mit eine, eine der letzten kommunalrechtlichen Regeln für Berlin vor der NS-Zeit 66.

Mit der Verabschiedung der Vorläufigen Verfassung wurde die Planung zweigleisig – staatlich und kommunal. Ein Entwurf I vom 4. Oktober 1946 für eine Rechtsgrundlage war auf die Vorläufige Verfassung zugeschnitten. Dazu gehörte erstmals ein Entwurf für eine Geschäftsordnung, die die eigentlichen Prüfungsabläufe regeln sollte. Ein Entwurf II vom selben Tag war überzeitlich formuliert und ließ den Rechtsstatus Berlins (Kommune oder Land) offen. Im Dezember 1946 entstand ein Entwurf für eine „Verordnung über den Rechnungs- und Prüfungshof von Groß-Berlin“. Hier tauchte zum ersten Mal die Bezeichnung „-hof“ auf. Nach der langen Diskussion über Zentralismus (Magistrat) vs. Devolution (Bezirke) trat jetzt die Frage der Unabhängigkeit im Vergleich zu einem untergeordneten „-amt“ stärker in den Vordergrund. Danach setzte sich die Bezeichnung „Rechnungshof“ sehr schnell durch.

Neben diesen internen Dokumenten finden sich in der Überlieferung auch externe Konzepte, zum Beispiel ein letztendlich nicht umgesetzter Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung einer Prüfanstalt für Gemeinden des Deutschen Städtetages (Bad Godesberg) vom Januar 1948 mit einer Begründung aus dem Januar 1947. Die Idee der Wiedereinführung überregionaler kommunaler Strukturen fand in den Westsektoren Berlins allerdings ebenso wenig Widerhall wie in den Westzonen. Eine britische Perspektive lieferte die Übersetzung eines Beitrags von Osbert Peake in der „Sunday Times“ vom Februar 1948 zum britischen Rechnungswesen, die sich in den Akten befindet 67. Peake war ein hoher Beamter des Schatzamtes.

Am 8. Oktober 1947 ernannte der Magistrat Ostrowski zum Leiter des Hauptprüfungsamtes. Ob dies der Versuch war, Ostrowski ruhig zu stellen, wie Podewin es deutet 68, oder ob SED und SPD den weiterhin politisch sehr regen „befähigten Verwaltungsfachmann“ 69 zielgerichtet mit einer sinnvollen und notwendigen Aufgabe betrauen wollten, lässt sich nicht eindeutig sagen. Seine pragmatische Haltung im eiskalten Winter 1946/1947, die ihn zu einer Kooperation mit dem sowjetischen Stadtkommandanten Kotikow gebracht und ihm das Amt gekostet hatte, sprach für ihn in der Rolle als Chef der obersten Prüfungsbehörde. Fest steht, dass sich Ostrowski diesem Amt mit Feuereifer widmete und in den Debatten um die Schaffung eines Rechnungshofs bis zur Verabschiedung des Gesetzes eine prägende Rolle einnahm. Die Verfassung von Berlin sah zwar dessen Unabhängigkeit vor, allerdings berichtete der Telegraf im April 1948 zum Diskussionsstand: „Der Rechnungshof der Stadt Berlin ist nach der künftigen Verfassung unabhängig. Er hat die Rechnungslegung auf Grund des Haushaltsplanes und der Haushaltsprüfung zu prüfen und das Prüfungsergebnis alljährlich dem Abgeordnetenhaus vorzustellen. Das Abgeordnetenhaus und der Senat können dem Rechnungshof besondere Prüfungsaufträge erteilen. Der Präsident des Rechnungshofs wird auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus für sechs Jahre gewählt und untersteht der Dienstaufsicht des Regierenden Bürgermeisters.“ 70

Dieser letzte Halbsatz sollte sich als Knackpunkt erweisen. Im Mai 1948 erfolgte die Diskussion und Überarbeitung der aktualisierten Entwürfe. Man schien fast am Ziel, als einen Monat später die Berlin-Blockade und die Luftbrücke das Vorhaben ein weiteres Jahr verhinderten. Erst am 8. Juni 1949 stimmte der Magistrat dem „Gesetz über den Rechnungshof von Gross-Berlin“ in der von der Stadtverordnetenversammlung am 6. Mai beschlossenen Fassung zu 71. Auch wenn „Gross-Berlin“ noch im Titel des Gesetzes auftauchte, bezog es sich nach der Spaltung der Stadtverwaltung im November 1948 und der Wahl zur nach Charlottenburg bzw. Schöneberg ausgewanderten Stadtverordnetenversammlung nur noch auf die Westsektoren.

Am 9. Juli 1949 jedoch lehnte die Alliierte Kommandantur in Person des britischen Oberstleutnants G. M. Oborn das Gesetz ab. Die Briten verlangten eine vollständige Unabhängigkeit des Rechnungshofs, eine Festschreibung der Qualifizierung seiner Mitglieder und deren Immunität, den Ausschluss von aktiver Teilnahme an politischer Tätigkeit, die Einrichtung eines Senats, wovon der Präsident nur der Vorsitzende sein durfte und „dass der Hof den Gesetzen und nicht den Exekutiven gegenüber verantwortlich ist“. Der Befehl BK/O (49) 145 schloss mit der Bemerkung: „Die Alliierte Kommandantur legt Ihnen nahe, unter Berücksichtigung des obigen, einen neuen Gesetzentwurf auszuarbeiten.“ 72 Es dauerte wieder mehr als ein Jahr, ehe die Spitzen der West-Berliner Verwaltung mit dieser Ausarbeitung begannen.

Walther Schreiber (CDU) mit Frau Ada Schreiber, 1951

5. Das Gesetz über den Rechnungshof von Berlin (1951)

Am 6. Juni 1950, knapp ein Jahr nach dem Ende der Berlin-Blockade, beauftragte Oberbürgermeister 73 Reuter vier Beamte damit, die Forderungen der Briten umzusetzen. Neben Ostrowski und Haas waren es Valentin Kielinger (1901-1969, CDU), der Leiter des Rechtsamts und spätere Justizsenator sowie Otto Karl Theuner (1900-1980, SPD) von der Abteilung Personal und Verwaltung, später u.a. Senator für Verkehr und Betriebe und für Inneres. Nach dem Geschäftsverteilungsplan der West-Berliner Regierung war Walther Schreiber (1884-1958, CDU) mit den Belangen des Rechnungshofs befasst. Ihm arbeiteten die vier zu.

Otto Theuner (SPD), hier 1956 als Verkehrssenator bei der Besichtigung des U-Bahn-Stellwerks Kurt-Schumacher-Platz

Ursprünglich hatte Reuter mit einer Durchführungsverordnung das gescheiterte Gesetz von 1949 reparieren wollen. Schreiber setzte im Oktober 1950 die Stadtverordnetenversammlung förmlich über die Einwände der Alliierten vom Juli 1949 in Kenntnis und wich dabei von Reuters Ausbesserungsansatz ab. Am 19. März 1951 schrieb er an Haas, Kielinger, Ostrowski und Theuner: „Unter Zugrundelegung des am 24. Juni 1950 fertiggestellten Entwurfes der Abteilung Rechtswesen zu einem Gesetz über den Rechnungshof übersende ich Ihnen in der Anlage einen überarbeiteten Entwurf, den ich möglichst bald als Senatsvorlage einbringen möchte. Ich schließe mich dabei der von dem Herrn Senator für Justiz in seinem Schreiben vom 24. Juni 1950 geäußerten Ansicht an, dass eine Ergänzung des seinerzeit durch die Stadtverordnetenversammlung beschlossenen, aber infolge des Vetos der Alliierten Kommandantur nicht in Kraft getretenen Gesetzes durch eine vom Senat zu erlassende Durchführungsverordnung nicht tunlich ist; ich halte gleichfalls die Vorlage eines vollkommen neu gefassten Gesetzes für richtig.“ 74

Dr. Valentin Kielinger (CDU), hier 1956 als Justizsenator

Die vier Protagonisten in diesem Gesetzgebungsprozess bildeten keine Kommission, sie sprachen aus der Perspektive ihrer jeweiligen Behörde. Der Konflikt zwischen der größtmöglichen Unabhängigkeit, die Ostrowski für den Rechnungshof anstrebte und dem Ziel, irgendwo noch eine Kontrolle für die Exekutive abzusichern, für die vor allem Theuner und Haas kämpften, zeitigte bis in den Herbst 1951 mehrere Entwürfe und ein Feilen an den letzten Formulierungen buchstäblich bis zum letzten Tag vor der Abstimmung, die deswegen auch noch einmal auf den 25. Oktober 1951 verschoben wurde. Die größte Schnittmenge der Positionen fand sich in den Entwürfen von Kielinger.

Anders als beim ersten Entwurfsverfahren, das bis Ende 1947 noch geprägt war von Ansätzen, das Rechnungswesen zu den alten preußisch-kommunalen Modellen zurückzuführen, trat jetzt, auch beeinflusst von der Erfahrung der Luftbrücke, die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen in den Vordergrund. In den von den Westalliierten kontrollierten Ländern waren, beginnend mit Bayern, Hessen und Württemberg-Baden, bereits ab Mai 1945 Prüfungsbehörden geschaffen worden, die zum Teil auch als Rechnungshöfe bezeichnet wurden. Hamburg als neu geschaffenes Bundesland schloss die Einrichtung eines Rechnungshofs im Dezember 1950 ab. Diese Erfahrungen flossen in die Arbeit in West-Berlin ein. Inhaltlich maßgeblich waren bei der westzonalen Diskussion ebenfalls die Briten. Auch hier gab es den Widerspruch zwischen Kontrolle durch die Verwaltung und größtmöglicher Unabhängigkeit. Dass das am 27. November 1950 verabschiedete Gesetz über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofs der Unabhängigkeit den Vorzug gab, beeinflusste die Diskussionen in West-Berlin. Die starke Stellung des Bundesrechnungshofs leuchtete auch denjenigen Experten ein, die sich eine letzte Kontrolle der Kontrolleure durch die Exekutive gewünscht hatten.

6. Routine unter besonderen Umständen (1954)

Durch das neue Gesetz besaßen die Mitglieder des Rechnungshofs quasi richterliche Unabhängigkeit. Mit dem Beginn des neuen Rechnungsjahres 1952 bewirtschaftete der Rechnungshof seine Mittel erstmalig selbst und stellte einen eigenen Haushaltsplan auf. 1951 war das Hauptprüfungsamt noch der Wirtschaftsstelle „Bürgermeister von Berlin“ zugeordnet gewesen. Anfang 1952 erfolgte der Umzug von den Räumen in der Heerstraße 18-20 (Charlottenburg) in die Mecklenburgische Straße 57 (Wilmersdorf). Ende 1954 lag die Personalstärke laut Stellenplan bei 197, das Ist bei 186. Das entsprach in etwa der Ausstattung vor 1945. West-Berlin war zwar deutlich kleiner als Groß-Berlin, mittlerweile waren Justiz, Polizei und Finanzämter aber integraler Bestandteil des Stadtstaates sui generis.

Am 1. Februar 1952 übergab Ostrowski die Geschäfte an den ersten, vom Abgeordnetenhaus gewählten, Präsidenten des Rechnungshofs, Erich Lange (1893-1980 75). Lange war seit 1925 in kommunalen Diensten und seit 1947 Leiter des Amtes für Kriegsschäden und Besatzungskosten 76. Er war seit 1920 mit Hedwig Matzdorff verheiratet. In der NS-Zeit wurde sie als jüdisch verfolgt, blieb aber durch ihren nichtjüdischen Ehemann von der Deportation verschont. Sie starb 1971 77. Bürgermeister Schreiber führte Lange am 2. Februar in sein Amt ein, das er bis 1958 innehatte. Seine erste formelle Sitzung hielt der Rechnungshof, noch mit drei Mitgliedern, am 5. Juni 1952 ab. Die Berufung der übrigen Mitglieder erfolgte im Lauf des Jahres. Entsprechend der Geschäftsordnung vom Oktober 1952 war jedes der Mitglieder für eines der sechs Prüfungsgebiete zuständig. Der Präsident war u.a. für Sonderprüfungen verantwortlich.

Dr. Erich Lange, der erste Präsident des Rechnungshofs von Berlin

Im Mai 1952 nahm Lange erstmals an einer Arbeitstagung der Obersten Rechnungsprüfungsbehörden des Bundesgebiets in Düsseldorf teil. Diese Tagungen fanden seit 1947 78 zweimal im Jahr statt. Sie trugen zur Bildung eines westdeutschen Staates mit Ländern und einer Bundesebene erheblich bei und banden in den Jahren danach West-Berlin eng an die Bundesrepublik. Vom 3. bis 6. Mai 1954 lud Lange seine Kollegen nach West-Berlin ein. Diese Arbeitstagung dauerte zwei Tage länger als üblich. Auf dem Programm standen zwei öffentliche Vorträge. Einen hielt Kurt Heinig (1886-1956) zum Thema „Die Rechnungsprüfungsbehörden und ihr Verhältnis zu Exekutive und Legislative im internationalen Vergleich“. Der SPD-Finanzexperte der Weimarer Republik war mit seiner als jüdisch verfolgten Frau 1933 aus Deutschland geflohen und lebte seit 1940 in Stockholm. Heinig hatte schon 1950 auf einer der Arbeitstagungen vorgetragen. Den anderen Vortrag hielt der frühere Präsident des Rechnungshofs des Deutschen Reichs in der Britischen Zone 79, Franz Haaser (1886-1971), unter dem Titel „Die deutschen Rechnungshöfe und ihr Verhältnis zu Exekutive und Legislative“ 80. Alle Tagungen bisher hatten lediglich der internen Absprache gedient. Lange machte die Vorträge zu öffentlichen Veranstaltungen, um die Arbeit der Rechnungshöfe einem Publikum außerhalb des engen Kreises von Spezialisten auf den Arbeitstagungen nahe bringen zu können. Die Chronik notierte: „Um den Tagungsteilnehmern einen möglichst genauen Eindruck von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen Berlins zu verschaffen, fand eine ausgedehnte Rundfahrt statt.“ 81 Lange nutzte sein Amt also, um aus diesem fachspezifischen Anlass geschichtspolitische und deutschlandpolitische Akzente zu setzen.

Dass sich das Verhältnis von Senat und Rechnungshof noch einspielen musste, zeigte ein Konflikt kurz vor Ende der ersten Wahlperiode des Abgeordnetenhauses. Lange monierte, dass das Landesbeamtenrecht dem Senat ein Zustimmungsrecht für die Ernennung von Beamten des Rechnungshofs ab einer gewissen Besoldungsgruppe einräumte. Dies war aus seiner Sicht nicht mit der Unabhängigkeit der Behörde vereinbar. Daher änderte das Abgeordnetenhaus den damaligen § 8 Abs. 1 LBG. Das Ernennungsrecht lag nun allein beim Präsidenten. Schreiber hatte Lange 1952 in seiner Funktion als Bürgermeister und damit als Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter ernannt. Nachdem der Rechnungshof keiner Senatsverwaltung mehr untergeordnet war, legte ein neu eingefügter § 8 Abs. 3 LBG fest, dass die Ernennung des Präsidenten allein durch den Regierenden Bürgermeister zu vollziehen sei. Dieses Feilen am Zeremoniell, vor dem Hintergrund einer meist konstruktiven Zusammenarbeit in diesen Jahren, war gewissermaßen ein Echo der Diskussionen, die die beiden Gesetzgebungsphasen 1945 bis 1949 und 1950 bis 1951 mitgeprägt hatten.

7. Die Prüfung der „Flüchtlingshilfe“ 1952 – Ein Fallbeispiel

Zu den Aufgaben des Rechnungshofs gehörten von Anfang an Sonderprüfungen oder Einzelgutachten zu haushalterisch oder politisch komplizierten Fragen. Dazu erteilte die Verwaltung dem Rechnungshof einen entsprechenden Auftrag. Im Bestand im Landesarchiv gibt es für den Untersuchungszeitraum etwa zehn dieser Einzelprüfungen, unter anderem zur BVG, der Städtischen Oper, zum Schlachthof in Spandau und den Markthallen, den Stadtforsten und den Berliner Hafen- und Lagerhaus-Betrieben Behala.

Im März 1953 beauftragte der Senator für Soziales den Rechnungshof mit der Überprüfung der Ausgaben des Flüchtlingsdienstes für die Lagereinrichtung, der der Abteilung IV zugeordnet war 82. Anhand der Flüchtlingshilfe im Jahr 1952 lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen von Kontrolle und Beratung im Kontext der zunehmend engeren Verbindung West-Berlins mit der Bundesrepublik nachzeichnen.

Die Erstversorgung von Flüchtlingen war wie vieles andere in den ersten Jahren West-Berlins (Spaltung der Stadtverwaltung 1948, Luftbrücke, Wohnungsnot), geprägt von einem gewissen Maß an Improvisation. Anders hätte die Verwaltung auf die außergewöhnlichen Situationen nicht reagieren können. Der Prüfbericht merkte an: „Oftmals war die aufgewendete Arbeit der SV [Senatsverwaltung] nutzlos, weil Maßnahmen, die nach manchmal zeitraubenden Besprechungen beschlossen worden waren, in dem Zeitpunkt, in dem sie in Form einer Weisung schriftlich festgelegt werden sollten, durch neue Tatsachen wieder überholt waren.“ 83 Die erste ungeschriebene Regel des Verwaltungshandelns ¬- „Das haben wir schon immer so gemacht“ – war unter diesen Bedingungen nicht anwendbar. Stattdessen hieß es in der Prüfung: „Die nachstehend dargestellte Entwicklung zeigt die lange Zeit tastenden Versuche zur Lösung des Flüchtlingsproblems.“ 84

Geflüchtete Artisten aus der DDR im Flüchtlingslager Jebensstraße (Charlottenburg), April 1953

Der Prüfungszeitraum umfasste das Rechnungsjahr 1952, ferner außerdem das zweite Quartal 1953 (April bis Juni). 1952 war das erste vollständige Jahr nach der Schaffung des Rechnungshofs. Die Prüfung umfasste die Verwaltung sowie exemplarisch drei der mehr als 90 von der öffentlichen Hand und privaten Trägern betriebenen Durchgangs- und Wohnlager 85. Dabei berücksichtigte der Bericht stets die Auswirkung auf die Bundesrepublik, die West-Berlin mit umfangreichen Geldzahlungen am Leben erhielt. Rechtliche Grundlage für die Flüchtlingshilfe war das Notaufnahmegesetz vom 21. Dezember 1951. Die auf dieser Grundlage geschaffene Kategorie des „Zuwanderers“ umfasste den anerkannten „ehemaligen Bewohner im sowjetischen Machtbereich“ sowie den „Zuwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung“. Den Begriff „Flüchtling“ kürzte der Prüfbericht mit „Fl.“ ab.

Bis Mai 1952 flohen pro Monat etwa 5.000 Menschen in den Westen. Im zweiten Halbjahr 1952 stieg diese Zahl auf 15.000 an. Ursachen waren die Abriegelung gegen das Bundesgebiet und eine „Verschärfung der Diktatur“ 86. Im Juli 1952 hatte Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED eine „Verschärfung des Klassenkampfes“ angekündigt. Die Auflösung der Länder im selben Monat brachte eine Modernisierung des 1950 gegründeten Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), bei dem jetzt 15 Bezirksverwaltungen die Zentrale in Berlin unterstützten. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des MfS verdoppelte sich bis Jahresende auf 8.800 Personen 87.

Der Nadelöhr-Effekt, der neun Jahre später die SED zum Bau der Berliner Mauer veranlasste, zeigte sich in diesen Monaten zum ersten Mal. Im März 1953 erreichte die Zahl der Flüchtlinge den Höchstwert von 49.000, und sank in den Monaten danach auf ca. 35.000 pro Monat. Der Volksaufstand vom 17. Juni nach dem Tod Stalins am 5. Mai führte zu einer vollständigen Abriegelung zwischen dem Ost- und den Westsektoren, die die Sowjetunion am 9. Juli 1953 wieder aufhob 88. Im September 1953 kamen wieder 15.000 Flüchtlinge nach West-Berlin.

Einschlägig waren ferner das Gesetz über den Zuzug nach Berlin und das Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in Berlin. Nach dem Zuzugsgesetz hatten anerkannte Flüchtlinge Anspruch auf eine Zuzugsgenehmigung, mit deren Erteilung sie die Rechte eines Berliner Einwohners beanspruchen konnten. Ebenfalls relevant war das Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet von 1950, das West-Berlin 1952 übernommen hatte: „Die die Notaufnahme durchführende Dienststelle ist eine Bundesbehörde.“ Nach dem damaligen „Uelzener Schlüssel“ 89 übernahmen die Bundesländer 80% der notaufgenommenen Flüchtlinge, 20% blieben in West-Berlin. Ab dem 19.12.1952 kamen 96% ins Bundesgebiet, 4% blieben in Berlin. Zwischen dem 1. Januar 1949 und dem 4. Februar 1952, dem Beginn des Notaufnahmeverfahrens waren in West-Berlin 200.000 Flüchtlinge gemeldet, 75.000 als politische Flüchtlinge anerkannt worden.

Nach der Darstellung der Rahmenbedingungen prüfte der Rechnungshof Organisation, Personal, Inneren Dienst, Haushalts- und Wirtschaftswesen sowie die Flüchtlingslager, Spenden, Kulturelle Betreuung und Sonstiges, zum Beispiel Schuhreparaturen 90. Die Empfehlungen finden sich in den einzelnen Prüfungsabschnitten, die der Bericht am Ende noch einmal zusammenfasste.

Die Schlussbemerkungen 91 waren geprägt von den Eindrücken des Umbruchs und setzten die beiden Prüfungszeiträume, das Jahr 1952 und das zweite Quartal 1953, noch einmal ins Verhältnis. Der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen machte sich unter anderem beim Personal bemerkbar. Das Soll im Haushaltsunterabschnitt HUA J 4010 des Sonderkontos Kriegsfolgenhilfe Rechnungsjahr 1953 Teil b – Notaufnahmelager sah für Planmäßige Beamte und Angestellte: 5 bzw. 100 Stellen, für nichtplanmäßige Angestellte 61 Stellen vor. Das im Prüfbericht festgestellte Ist lag bei den planmäßigen Beamten bei 5, bei den Angestellten bei 47. Die Zahl der „nichtvollbeschäftigen Angestellten und Zeithilfen“ lag bei 367. Dazu merkte der Prüfbericht an: „Der RH [Rechnungshof] hat aus den verschiedentlich dargelegten Gründen (T 12) [s.o.] davon abgesehen, zu der Zahl des im Zeitraum der örtlichen Feststellungen beschäftigt gewesenen Personals und zu dessen Eingruppierung und Besoldungs- und Vergütungsgruppen Stellung zu nehmen. Sen Inn [Senator des Innern] hat nach örtlicher Prüfung unter dem Eindruck des Andrangs von Fl. den jeweiligen Anträgen des Sen Soz auf Personalverstärkung entsprochen. Eine Personalrichtzahl wurde nicht festgesetzt. Die damaligen Entscheidungen des Sen Inn hat der RH als zutreffend unterstellt.“

Der Bericht empfahl, die Zahl der Zeithilfen nach dem 1. November 1953 um 120 zu verringern und führte aus: „Dass die SV Soz [Senatsverwaltung Soziales] alle Möglichkeiten, die sich bei einer erneuten Zunahme des Flüchtlingsstroms durch weitere unberechenbare Maßnahmen der Sowjetzonen-Regierung ergeben könnten, in Rechnung stellt, ist verständlich. Andererseits können jedoch, vor allem aus finanziellen Gründen, Einrichtungen und Maßnahmen, die unter Zugrundelegung der Zahl der im März angekommenen Fl. auf einen Zugang von täglich 1500 Fl. abgestellt sind, nicht auf die Möglichkeit einer erneuten starken Zunahme der Fl. hin auf unabsehbare Zeit aufrecht erhalten werden.“ Dieser Widerspruch zwischen Soforthilfe für Menschen in einer Notlage, die moralisch und politisch geboten ist, jedoch jeden Haushaltsplan zur Makulatur macht, ist auch heute eine der größten Herausforderungen für eine Verwaltung, die der Menschenwürde verpflichtet ist.

Der Rechnungshof prüfte ferner die Verträge mit den Trägern der Lager sowie deren Rentabilität. Er empfahl die Aufstellung eines Inventar-Hauptverzeichnisses sowie die Kennzeichnung der den nichtstädtischen Lagern geliehenen Einrichtungsgegenstände. Nichtstädtische Durchgangslager (A-Lager) waren zum Beispiel das Walter-Rathenau-Heim der Liga für Menschenrechte Am Sandwerder 33 (Wannsee) und das Heim des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Königin-Luise-Str. 13 (Dahlem).
Einen größeren Etatposten bildeten die sächlichen Kosten, die durch „Annahme und Verteilung ausländischer Liebesgaben an Fl.“ entstanden. Das waren Spenden aus der ganzen Welt für die Flüchtlinge. Im Prüfbericht hieß es: „In den HUA B 4000 Hst [Haushaltsstelle] 311 und B 4500 HSt 306 sind als „sächliche“ Ausgaben 240.000 DM für Miete und sonstige Ausgaben für Aufbereitung, Lager und Ausgabestellen der internationalen Liebesgaben und 30.600 DM als Zuschuss an den Berliner Zentralausschuss für die Verteilung von Liebesgaben veranschlagt. Der größte Teil dieser Mittel muss für die Lagerung und Verteilung der Auslandsspenden für die Fl. aufgewendet werden.

Im Hinblick darauf, dass Berlin einmal die Last der Folgen der politischen Maßnahmen der Sowjetzonenregierung überwiegend zu tragen hat, und andererseits der Bundeshaushalt durch die Verteilung der vielen in Berlin eingegangenen Spenden an die große Zahl der zunächst in Berlin untergekommenen Fl. mittelbar entlastet wird – z.B. durch Hinausschiebung der notwendigen Einkleidung von hilfsbedürftigen Fl. – wäre ein Antrag an die Bundesregierung berechtigt, als Sonderregelung für Berlin diese sächlichen Kosten ganz oder zumindest zum Teil auf Bundesmittel zu übernehmen.“ 92 Den Prüfberichten ist häufig nicht zu entnehmen, ob die Verwaltung die Empfehlungen auch umsetzte, insbesondere, wenn sie den Bund betrafen. Das entschied sich häufig erst Monate oder Jahre später. Einen Teilerfolg bei der Einsparung von Mitteln gelang West-Berlin allerdings, als der Bund aufgrund des Dritten Überleitungsgesetzes die Sozialkosten für Flüchtlinge übernahm.

8. Zusammenfassung

Nach dem Ende des Krieges benötigte das im September 1945 geschaffene Hauptprüfungsamt in Berlin zwei Jahre, um im Oktober 1947 zu einer zeitnahen Haushaltskontrolle zurückzukehren. Der gemeinsame Bericht für die Jahre 1945 und 1946 war in erster Linie eine Schadensbilanz, verwies nur vereinzelt auf Einsparungsmöglichkeiten und enthielt mangels Alternativen und Ressourcen kaum beratende Elemente. Das Dokument entsprach dem hybriden Charakter Berlins. Die Verwaltung war ebenso kommunal geprägt wie der Prüfbericht. Ehemals staatliche (preußische) Verwaltungen wie Justiz und Polizei waren dabei, integriert zu werden. Die Stadtverordnetenversammlung, der das Hauptprüfungsamt den Bericht vorlegte, war ein kommunales Gremium. Gross-Berlin, ohne staatlichen Überbau ein völkerrechtliches Gebilde sui generis, hatte aber von den Siegermächten schon eine Vorläufige Verfassung erhalten, die die Richtung zu einer staatsförmigen Struktur vorgab.

Trotzdem blieb die Rückkehr zu einem kommunalen Modell der Rechnungsprüfung in der ersten Phase der Arbeit an einem neuen Regelwerk 1947/1948 eine Option für Berlin. Die administrative Teilung der Stadt im Zuge der Berlin-Blockade 1948 und die ersten Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1950 verzögerten die Schaffung einer obersten Rechnungsprüfungsbehörde. Sie bedeuteten auch den endgültigen Abschied von den kommunalen Traditionen. Das Gesetz von 1951 versuchte nicht mehr, preußische Modelle wieder aufzugreifen, sondern orientierte sich an westdeutschen Vorbildern, vor allem am 1950 geschaffenen Bundesrechnungshof. Es ist eine wesentliche Errungenschaft der Bundesrepublik, dass der Staat schon lange nicht mehr automatisch mit Preußen in eins gesetzt wird. Der Föderalismus von 1949, 1990 und 2006 ist weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber viel besser ausbalanciert als der von 1871 und 1919.

Die Westbindung wurde zum prägenden Strukturmerkmal von West-Berlin. Die Inselstadt begab sich unter die finanziellen Fittiche der Bundesrepublik und die militärische Garantenstellung der Alliierten. Die Routine unter besonderen Umständen dieser frühen Jahre war geprägt von politischen Wechselfällen, die teilweise so massiv waren, dass die Verwaltung nicht immer adäquat reagieren konnte. Bei seinen Prüfberichten musste der Rechnungshof regelmäßig Abstriche bei den Sorgfaltsmaßstäben machen.

Die im Gesetz festgeschriebene Unabhängigkeit der obersten Rechnungsprüfungsbehörde hatten die Briten 1949 vorgegeben. Einige Vertreter West-Berlins griffen die strengen Vorgaben der Briten gerne auf. Trotzdem dauerte es einige Jahre, bis die Unabhängigkeit des Rechnungshofs auch im West-Berliner Senat etabliert und respektiert war. Die Unabhängigkeit ist bis heute ein zentrales Element im Selbstverständnis der Rechnungshöfe in Deutschland.

  • Fußnoten

    1 Die Verlegung des Dienstsitzes in die Mecklenburgische Straße 47 in Berlin-Wilmersdorf erfolgte zum 1. August 1952. Die Prüfungsgebietsdirektoren Erich Bode, Kurt Teufert und Erich Knüppel berief der Senat auf Vorschlag des Präsidenten am 4. September 1952. Damit war das Kollegium vollständig besetzt. Chronik 1963, S. 9, 12
    2 Das Landesarchiv Berlin (LAB) verwahrt den Bestand Rechnungshof von Berlin (B Rep. 091). Er umfasst 249 Bände aus der Zeit von 1945 bis 1990. Es handelt sich überwiegend um Prüfberichte und Gutachten. Die Bände 188 und 189 enthalten die Überlieferung zur Arbeit am Gesetz bis 1989; siehe Landesarchiv Berlin 2004. LAB B Rep. 091 Bd. 188, Bl. 211; als DrS 427 und 577 (Änderungen). Stenogr. Bericht Bd. I S. 730-734. Diese Akte mit über 600 Blatt gliedert sich in zwei große Abschnitte. Die Blätter in der ersten Hälfte der Akte sind nicht foliiert (mit Blattzahlen versehen). Für den zweiten Teil gibt es nach Bl. 233 [Zählung des Verfassers] ein Inhaltsverzeichnis. Diese Blätter ab Oktober 1950 sind foliiert; darauf bezieht sich die Blattzahl. Das Protokoll der Sitzung des Abgeordnetenhauses befindet sich am Anfang von LAB B Rep. 091, Bd. 189
    3 Müller 1987, S. 152
    4 König Friedrich Wilhelm I. richtete 1714 eine „General-Rechenkammer“ ein, die 1810 die Bezeichnung „Oberrechnungskammer“ erhielt. Diesen Namen trug die Behörde bis zu ihrer Auflösung durch die Sowjetische Militäradministration 1945, GStA PK 2019
    5 Ullmann 2021, S. 27
    6 LAB B Rep. 091, Bd 21, Textziffer T 16
    7 Preuss 1919, S. 374 ff.
    8 Huber 1951, S. 648
    9 Ullmann 2021, S. 373
    10 Ullmann 2021, S. 44
    11 Ullmann 2021, S. 43-44; § 102 RHO i.V.m. § 74 I Nr. 3 Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, RGBl. I, 1873, Nr. 10, Seite 61-90 ermöglichte Geldstrafe und Verweis, wenn Beamte den Verfügungen des Rechnungshofs nicht nachkamen.
    12 Ullmann 2021, S. 119
    13 Ullmann 2021, S. 65
    14 Ullmann 2021, S. 156 ff.
    15 Ullmann 2021, S. 197 ff.
    16 Ullmann 2021, S. 270 ff., 285 ff., 304 ff.
    17 Oberndörfer 2008
    18 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 19
    19 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 32
    20 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 20
    21 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 21
    22 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 24
    23 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 40
    24 LAB B Rep. 091, Bd. 21, T 43
    25 Ullmann 2021, S. 107
    26 Ullmann 2021, S. 325
    27 Ullmann 2021, S. 326
    28 Heute ist dieser Bereich überbaut im Karree Mollstraße/Otto-Braun-Straße.
    29 Bizella war ein von der I.G. Farben-Industrie herausgebrachtes gazeartiges Gewebe. Auskunft des Deutschen Technikmuseums vom 10.05.2022.
    30 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 17-18
    31 Ullmann 2021, S. 343
    32 Rebentisch 1989, S. 473 beziffert den kriegsbedingten Personalabbau im Reichsjustizministerium im Januar 1943 auf 37 Prozent bezogen auf 1933. Ullmann 2021, S. 52, weist darauf hin, dass die Beamten des Rechnungshofs des Deutschen Reichs durchschnittlich etwas dienst- und lebensälter waren als in der sonstigen Verwaltung. Ob das für das kommunale Prüfungsamt von Berlin auch so gilt, ist unklar.
    33 Ullmann 2021, S. 322 ff.
    34 Im Rahmen der Gleichschaltung (Verreichlichung der Länder) bewirkte das preußische Gesetz über die Staatshaushaltsordnung vom 15.12.1933 die Aufhebung der kommunalrechtlichen Vorschriften für die Rechnungsprüfung von 1824, 1872, 1898 und 1912 in Preußen. Diese wurden durch die entsprechenden Vorschriften der RHO ersetzt. LAB, B Rep. 091, Bd. 21, T 13
    35 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 4
    36 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 13
    37 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 4
    38 Ähnliches beobachtet Ullmann 2021, S. 242, in einer Denkschrift des Reichsrechnungshofs zum KZ Esterwegen.
    39 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 6
    40 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 18 [Zählung des Verfassers, ZdV]
    41 Heuer 2005, S. 47, 55
    42 Schumacher 1945, dort FN 72
    43 LAB B Rep. 91, Bd. 188, Bl. 22 [ZdV]
    44 Heuer 2005, S. 62
    45 Heuer 2005, S. 57
    46 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 7
    47 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 59 [ZdV]
    48 Stadtverordnetenversammlung April 1947 S. 2
    49 Stadtverordnetenversammlung April 1947, S. 3
    50 In LAB B Rep. 091, Bd 188, Bl. 60 [ZdV] befindet sich „Verzeichnis der bereits auftragsgemäß ausgeführten Prüfungen seit dem Neuaufzug des Amtes“ vom 02.11.1945. Das noch mit „Rechnungsprüfungsamt“ überschriebene Dokument enthält 14 Posten, darunter 1. Feststellung der Bestände der Stadtkasse Ende April und Mitte Mai 1945, 5. Status, Eröffnungsbilanz und Buchführung der „Berliner Zeitung“ und 10. Unvermutete Kassenprüfung in einigen Bezirken. Diese Ergebnisse flossen in den Prüfbericht von 1947 ein.
    51 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 21
    52 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 22
    53 Die Lebensmittellieferungen in LAB B RFep. 091, Bd. 188, Bl 60 [ZdV] als Nr. 9 aufgeführt.
    54 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 5
    55 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 23
    56 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 17
    57 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 28
    58 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 28
    59 Stadtverordnetenversammlung Oktober 1947, S. 28-29
    60 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 25-28 [ZdV]
    61 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 29-30 [ZdV]
    62 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 44-47 [ZdV]
    63 LAB, B Rep. 091, Bd. 188. Die Geschäftsordnung ist das erste Dokument in dieser Akte, die die wesentlichen Dokumente bis 1951 enthält. Sie ist in zwei Varianten überliefert: einmal als Fotokopie aus dem Dienstblatt von Berlin 1938 (S. 460-462), einmal als mit der Schreibmaschine erstellte Abschrift. Diese Abschrift trägt auf der ersten Seite den mit Bleistift handschriftlich hinzugefügten Vermerk: „natürlich ohne Berücksichtigung des Kollegialprinzips PA I“ (Prüfungsamt Abt. I). 1938 hatte auch im Leitungsgremium des kommunalen Prüfungsamtes das Führerprinzip gegolten, davon wollte man jetzt wieder weg.
    64 Podewin 2004, S. 176
    65 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 105 [ZdV]. Der Mitarbeiter hieß Schwartinski, der Vorname ließ sich nicht in Erfahrung bringen.
    66 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 114 [ZdV]
    67 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 172-173 [ZdV]
    68 Podewin 2004, S.235
    69 Stadtverordnetenversammlung April 1947, S. 3
    70 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 145 [ZdV]
    71 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 177-179 [ZdV]
    72 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 188 [ZdV]
    73 Seit der Einführung der (West-)Berliner Verfassung vom 1. September 1950 lautete die Amtsbezeichnung „Regierender Bürgermeister“.
    74 LAB B Rep. 091, Bd. 188, Bl. 71 [F = Foliierung durch das Landesarchiv, zweiter Teil der Akte]
    75 Der Tagesspiegel 01.02.1980, Todesanzeige Erich Lange
    76 Der Tagesspiegel 14.07.1953, Notiz zu Langes 60. Geburtstag
    77 Der Tagesspiegel 31.08.1971, Todesanzeige Hedwig Lange
    78 Erste gemeinsame Tagung aller Präsidenten der amerikanisch-britischen Zone am 8. und 9. September 1947 in Klingenberg/Main. Akte „Besprechung in Klingenberg a/M; G 1108 (Heft 8)“ im Archiv des Rechnungshofs Berlin
    79 Der Rechnungshof des Deutschen Reichs in der Britischen Zone war eine von den Briten im Dezember 1946 in Hamburg geschaffene Kontrollbehörde, in der vor allem ehemalige Beamte des in Potsdam aufgelösten Rechnungshofs des Deutschen Reichs tätig waren. Zu ihnen gehörte auch Haaser. Diese Prüfbehörde wurde im Zusammenhang mit der Einrichtung des Rechnungshofs der Bizone in Frankfurt/M. 1948 aufgelöst. Ullmann 2020, S. 348-349, 357
    80 Chronik 1963, S. 52
    81 Chronik 1963, S. 53
    82 LAB, B Rep. 091, Bd 26, jeweils zitiert nach Textziffer (T)
    83 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 12
    84 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 17
    85 LAB B Rep. 091, Bd. 26, Anlage 4 (Durchgangslager), Anlage 5 (Wohnlager)
    86 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 15
    87 Hasse 2010, unter Berufung auf die Forschung des Historikers Jens Gieseke, Mitarbeiter bei der BStU in Berlin
    88 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 16
    89 Gesetzlich geregelt war die Verteilung in § 31 II BVFG 1953, BGBl. I, S. 201. Die Ortsbezeichnung bezog sich auf das von den Briten 1945 eingerichtete Flüchtlingslager Uelzen-Bohldamm, neben Gießen (US-Zone) und Marienfelde (West-Berlin) eines der drei großen Lager für „Sowjetflüchtlinge“ aus der SBZ bzw. DDR. Der „Königsteiner Schlüssel“ in § 8 III BVFG 2007, BGBl. I, S. 1902 leitet sich ab vom Königsteiner Staatsabkommen 1949, in dem die finanzielle Beteiligung der Länder an gemeinsamen Aufgaben geregelt wurde.
    90 LAB B Rep. 091, Bd. 26, Inhaltsverzeichnis
    91 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 122, 123
    92 LAB B Rep. 091, Bd. 26, T 105

  • Literatur und Quellen

    Chronik: Chronik des Rechnungshofs von Berlin, unveröffentlichtes Manuskript 1963, Landearchiv B Rep. 091, Bd. 190; ebenfalls vorhanden im Archiv des Rechnungshofs von Berlin
    Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK): 1. HA Rep. 138 Oberrechnungskammer, Bestandsbeschreibung Einleitung 2019
    https://archivdatenbank.gsta.spk-berlin.de/midosasearch-gsta/MidosaSEARCH/i_ha_rep_138/index.htm [abgerufen 08.08.2022]
    Hasse, Beatrix: Die Stasi als „Schild und Schwert der Partei“, NDR 04.02.2010 https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Die-Stasi-Ueberwachungsapparat-von-1950-bis-1990,mfs108.html [abgerufen 01.08.2022]
    Heuer, Lutz: Arthur Pieck (1899-1970). Ein Leben im Schatten des Vaters, trafo Verlag, Berlin 2005
    Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.): Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit. Band 2: Deutsche Verfassungsdokumente der Gegenwart (1919–1951). Matthiesen, Tübingen 1951
    Landesarchiv Berlin: Findbuch Rechnungshof von Berlin, 2004. http://www.content.landesarchiv-berlin.de/php-bestand/brep091-pdf/brep091.pdf [abgerufen 01.08.2022]
    Müller, Uwe: Die Gründungsgeschichte des Rechnungshofs von Berlin, in: Theo Pirker (Hrsg.), Rechnungshöfe als Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung. Entwicklung und Bedeutung der Rechnungshöfe im 20. Jahrhundert, Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 131-154
    Oberndörfer, Ralf: Feindstrafrecht, Terror durch Normen, geduldete Devianz. Zur Rolle der Juristen im NS-System. Einige Anmerkungen zum Nürnberger Juristenprozess 1947, in: Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen/Villa ten Hompel (Hrsg.): Juristische Zeitgeschichte Band 16, Leipzig – Nürnberg – Den Haag. Neue Fragestellungen und Forschungen zum Verhältnis von Menschenrechtsverbrechen, justizieller Säuberung und Völkerstrafrecht, S. 40 – 47., Recklinghausen 2008
    Preuss, Hugo: Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919, (Reichsanzeiger 20.01.1919), in: Hugo Preuss, Staat, Recht und Freiheit, Georg Olms Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 1964, S. 368-394
    Podewin, Norbert: Otto Ostrowski – der gelöschte Oberbürgermeister. Ein Schicksal im Berlin des Kalten Krieges, Edition Luisenstadt, Berlin 2004
    Rebentisch, Dieter: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg, Steiner-Verlag, Stuttgart/Wiesbaden 1989
    Scholz, Friedrich: Berlin und seine Justiz. Die Geschichte des Kammergerichtsbezirks 1945 bis 1980, de Gruyter, Berlin 1982
    Schumacher, Kurt: Die Probleme der Sozialdemokratie in Deutschland. Rede auf der Konferenz in Hannover, 5. und 6. Oktober 1945; in Auszügen abgedruckt in: Sozialistische Mitteilungen – News for German Socialists in England Nr. 81, 1945; Mit editorischen Anmerkungen veröffentlicht auf https://library.fes.de/fulltext/sozmit/1945-081.htm [abgerufen 01.08.2022].
    Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors. Die Konzentrationslager, S. Fischer, 4. Aufl. Frankfurt/M. 1993
    Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin: Vorlage 480 zur Kenntnisnahme und Beschlussfassung über die Jahresrechnung 1945 vom 22. Oktober 1947.
    Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin: Ordentliche Sitzung vom 17. April 1947, Stenographischer Bericht Nr 26 https://digital.zlb.de/viewer/image/15975507_1947/1129/ [abgerufen 01.08.2022]
    Ullmann, Hans-Peter: Kontrolle und Beratung. Der deutsche Rechnungshof im Wechsel der politischen Systeme des 20. Jahrhunderts, Wallstein, Göttingen 2021