Gespräch mit Pamela Schobeß und Thomas Fues

Am 23. Juli 2019 wurden Pamela Schobeß und Thomas Fues als Vertreter*innen des Forum Rathausblock in des Obergutachtergremium des städtebaulichen Werkstattverfahren gewählt. Das Obergutachtergremium ist die Jury im städtebaulichen Werkstattverfahren. Ihr gehören Mitglieder aller Kooperationspartner*innen an.

Pamela Schobeß

Liebe Pamela Schobeß, herzlichen Glückwunsch zur Wahl in das Obergutachtergremium. Können Sie uns kurz erzählen, wer Sie sind, was Sie machen, und wie Ihr Bezug zum Rathausblock und dem Dragonerareal ist?

Ich bin Pamela, bin seit 2011 auf dem Dragonerareal ansässig mit dem „Gretchen“, das ich zusammen mit Lars betreibe. Wir waren vorher 15 Jahre im Prenzlauer Berg Clubbetreiber, sind da durch den Bau von neuen Wohnungen sozusagen weggentrifiziert worden und 2011 hierhergekommen.

Wir haben uns vorher genau überlegt, wo wir hingehen, nämlich in ein Gewerbegebiet und sind dann davon überrascht worden, dass auch hier Veränderungen stattfinden sollen. 2015 haben wir uns deshalb mit den anderen Gewerbetreibenden zusammengeschlossen und seitdem bin ich die Sprecherin des Zusammenschlusses der Gewerbetreibenden hier auf dem Dragonerareal. Es ist mir sehr wichtig, mich in den Prozess um die Entwicklung des Rathausblocks einzusetzen, da jede Veränderung, die hier stattfindet, sich auf uns Gewerbetreibende auswirkt.

Dabei geht es mir vor allem um die Sicherung der Existenz der Leute, die hier arbeiten. Viele, vor allem kleine Gewerbetreibende, könnten sich eine Mieterhöhung nicht leisten und auch anderswo in der Innenstadt keinen Platz mehr finden. Ich möchte mich insbesondere auch dafür einsetzen, dass so viele Menschen wie möglich etwas von dem entwickelten Gelände haben.

Wie genau würden Sie dann Ihre Rolle im Obergutachtergremium definieren? Was denken Sie, wird Ihr inhaltlicher Schwerpunkt sein?

Mein besonderes Augenmerk wird natürlich auf der Entwicklung des Gewerbeteils liegen. Als Sprecherin der Gewerbetreibenden denke ich, dass ich da eine entsprechende Verantwortung habe, die ich sehr gern annehme. Wir sind alle auch für Wohnen, Gemeinwohl und Grünflächen! Aber ich muss auch sagen, dass Lars und ich gebrannte Kinder durch den Verlust unseres ersten Clubs sind. Dort wurden wir in der Anfangsphase auch in die Planung des Neubaus miteinbezogen. Zunächst fühlten wir uns auch unterstützt von der Politik etc., aber am Ende hat es dann leider in der Praxis – also Wohnen und Clubbetrieb – nicht funktioniert.

Jetzt habe ich natürlich eine wahnsinnige Angst davor, dass uns das hier auf dem Gelände noch einmal passiert. Ich habe Angst davor, dass im städtebaulichen Werkstattverfahren etwas entwickelt und umgesetzt wird, das am Ende dann vielleicht doch nicht funktioniert. Die meisten Gewerbe hier auf dem Gelände gehören zu dem sogenannten „störenden Gewerbe“, Handwerksbetriebe zum Beispiel. Da gibt es natürlich die Gefahr der Lärmemission. Dennoch wollen alle Beteiligten, dass die Betriebe bleiben und sich auch noch Weitere ansiedeln, da diese aufgrund von Verdrängung in der Innenstadt leider keine Rolle mehr spielen. Mein Fokus liegt daher darauf, zu schauen, was geplant wird und ob das funktionieren kann.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wenn Anwohner*innen sich durch Gewerbetreibende gestört fühlen, es immer die Gewerbetreibende sind, die am Ende gehen müssen oder ausgetauscht werden. Das will ich unbedingt vermeiden! Kurz gesagt: Ich möchte darauf achten, dass so gebaut wird, dass man hier sowohl gut wohnen und auch gut arbeiten kann.

Meine nächste Frage bezieht sich konkret auf das städtebauliche Werkstattverfahren: Was ist Ihnen am und beim Prozess besonders wichtig?

Wir haben ja jetzt sehr lange im Vorfeld auf das städtebauliche Werkstattverfahren hingearbeitet, wir haben ein Leitbild entwickelt und dabei verschiedene Ideenstränge miteinander verwoben. Dabei haben wir versucht, so viele Bedürfnisse wie möglich abzudecken und ein rundes Bild zu kreieren. Mir ist es ganz besonders wichtig, dass dieses jetzt auch im städtebaulichen Werkstattverfahren umgesetzt wird. Dabei möchte ich vermeiden, dass man die einen Bedürfnisse über die anderen stellt. Gewerbe, Wohnen, Kultur und Freiflächen, alles soll gleichermaßen betrachtet werden. Es geht mir darum, gemeinsam ein wirklich rundes, schönes und harmonisches Quartier zu entwickeln. Ein Quartier mit Seele, das funktioniert und als solches auch genutzt wird.

Zum Abschluss habe ich noch eine assoziative Frage: Stellen Sie sich vor, Sie spazieren im Jahre 2030 über das Gelände. Was sehen Sie?

Oh, (lacht), also, wenn wir uns alle daranhalten, was wir abgesprochen haben, die Ziele umsetzen, die wir uns vorgenommen haben, dann sehe ich ein ganz gemischtes Quartier. Ein Wohnquartier, in dem viele unterschiedliche Leute, junge und alte, in unterschiedlichen Wohnformen miteinander wohnen, sich Räume teilen, kennenlernen und aktiv sind. Ein Quartier in dem man sich grüßt, wenn man über das Gelände läuft. Ich sehe ganz viele wuselige, umtriebige Handwerker, die tolle Sachen bauen. Für die Leute, die hier leben, aber auch für die Menschen außerhalb des Areals.

Ich sehe viele junge Leute, die hier lernen: Zum einen ein Handwerk, zum anderen aber auch wie gemeinwohlorientiertes und faires Wohnen und Leben in der Stadt funktionieren kann. Und natürlich sehe ich auch uns hier, dass wir immer noch Konzerte und Clubabende veranstalten, zu denen die Leute aus der Nachbarschaft und darüber hinaus kommen…

Und ich hoffe, dass die Leute, die neu hierherziehen, auch irgendwas finden, was Ihnen bei uns gefällt: tanzen, feiern, dass dies ein Ort ist, um neue Musiken zu entdecken und seinen interkulturellen Horizont zu erweitern. (Lacht) Ein bisschen phantasievoll, ich weiß…

Thomas Fues

Lieber Thomas Fues, herzlichen Glückwunsch zur Wahl in das Obergutachtergremium. Können Sie sich kurz vorstellen: Wer sind Sie, was machen Sie und wie ist Ihr Bezug zum Rathausblock und dem Dragonerareal?

Ich lebe im Möckernkiez, einer jungen Genossenschaft am Gleisdreieck-Park in unmittelbarer Nachbarschaft zum Areal. Ich war beruflich in der internationalen Nachhaltigkeitsforschung tätig und habe vor Kurzem das Rentenalter erreicht. Jetzt freue ich mich, dass ich meine neuen zeitlichen Spielräume als Jurymitglied für das Werkstattverfahren und als Delegierter des Forums Rathausblock im Zukunftsrat einbringen kann.

Ich finde die Geschichte des Ortes außerordentlich spannend und relevant für heutige gesellschaftliche Herausforderungen. Das Dragonerareal eignet sich nämlich hervorragend dazu, die deutsche Revolution von 1918/1919 aufzuarbeiten und zu präsentieren. Durch einen Geschichts- und Lernort auf dem Gelände könnte eine Lücke in unserer nationalen Erinnerungskultur geschlossen werden. Dabei meine ich nicht die Erhaltung der Gebäude im musealen Sinne, sondern die Schaffung einer Institution, die zur Auseinandersetzung mit dieser bedeutenden historischen Phase und ihren Folgewirkungen bis in die Gegenwart einlädt.

Ein anderer Punkt, der mich am Prozess rund um das Dragonerareal interessiert, ist die faszinierende Nutzungsmischung. Es geht darum, das bestehende Gewerbe zu erhalten und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Des Weiteren finde ich die Beteiligungsangebote und Mitwirkungsmöglichkeiten beispielhaft. Das Dragonerareal ist ein gelungenes Modellprojekt für gemeinwohlorientierte Quartiersentwicklung mit der Stadtgesellschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Wie genau würden Sie dann Ihre Rolle im Obergutachtergremium definieren? Was denken Sie, wird Ihr inhaltlicher Schwerpunkt sein?

Ich werde mich darauf konzentrieren, dass die verschiedenen Nutzungsansprüche und Erwartungen an dieses Gelände optimal in Einklang gebracht werden. Neben den Schwerpunkten Wohnen, Gewerbe und soziale Infrastruktur werde ich meinen Fokus auf die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes richten.

Weiterhin ist mir wichtig, dass hier unter ökologischen und sozialen Aspekten ein überzeugendes Vorhaben für umfassende Nachhaltigkeit entsteht. Ich denke beispielsweise an die Klimabilanz – nicht nur beim Bauen, sondern auch bei der späteren Nutzung, etwa im Hinblick auf Energieerzeugung und Energieverbrauch. Von Bedeutung ist dabei die Frage, wie das neue Quartier auf den unvermeidbaren Temperaturanstieg vorbereitet ist. Zur Nachhaltigkeit zählen aber auch soziale Faktoren wie inklusives, selbstverwaltetes Wohnen in der typischen Kreuzberger Mischung.

Meine nächste Frage bezieht sich konkret auf das städtebauliche Werkstattverfahren: Was ist Ihnen am und beim Prozess besonders wichtig?

Das hohe Niveau der zivilgesellschaftlichen Beteiligung hat für mich einen hohen Wert. Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Wissen und die Erfahrungen der Nachbarschaft und der organisierten Initiativen einfließen. Ich trete für umfassende Transparenz ein, zum Beispiel indem Zwischenergebnisse des Werkstattverfahrens im Forum Rathausblock und auf andere Weise öffentlich präsentiert werden.

Und, wie bereits angesprochen, möchte ich gemeinsam mit den engagierten Gruppen die geschichtliche Bedeutung des Ortes und sein Potential für eine bundesweite Erinnerungskultur zur deutschen Revolution 1918/19 herausarbeiten. Dieser Akzent sollte sich im Planungsprozess und in den baulichen Vorgaben niederschlagen. Weiterhin ist es mir ein Anliegen, dass der gesamte Prozess zügig vorangeht, damit der erste Spatenstich vor dem September 2021 stattfinden kann. Ich möchte, dass hier beispielhaft gezeigt wird, wie eine breite zivilgesellschaftliche Beteiligung keine Nachteile mit sich bringt, sondern zum wichtigen Produktivfaktor für eine lebenswerte Stadt werden kann.

Zum Abschluss habe ich noch eine assoziative Frage: Stellen Sie sich vor, Sie spazieren im Jahre 2030 über das Gelände. Was sehen Sie?

Ich sehe vor mir ein lebendiges Quartier mit bezahlbaren Mieten und hoher Lebensqualität. Ich sehe Menschen, die von außen reinkommen, um die soziale Infrastruktur zu nutzen und sich an den grünen Oasen und einladenden Begegnungsorten zu erfreuen. Ich sehe Interessierte aller Altersgruppen, die dort aus der deutschen Geschichte lernen wollen. Ich sehe engagiertes Kleingewerbe, das sich stark macht für die Entwicklung des gesamten Areals. Und ich sehe eine Stadtgesellschaft, eine Politik und Verwaltung, die rundum zufrieden sind mit diesem gemeinwohlorientierten Leuchtturmprojekt.

Die Gespräche führte Anna Lalla.