Freitag der 13. - Frau Gläubig macht sich Gedanken...

buehne_Ein junger Mann welcher nachdenklich seine Hand in seinen Schoß stützt

von Waltraud Käß

Frau Gläubig liebt diesen Moment zwischen den Zeiten.

Der Körper noch schläfrig, das Gehirn schon ein wenig aktiv und mit den notwendigen, alltäglichen Aufgaben beschäftigt.

Doch an diesem Morgen wird sie durch das Bellen ihres Weckers frühzeitig aus dem Schlaf gerissen. Dieser bellende Wecker ist der Schäferhund aus ihrem Nachbarhaus.

Armer Hund, denkt Frau Gläubig, hat dich Herrchen schon wieder allein gelassen. Vielleicht sollte sie dem Nachbarn vorschlagen, für ihn täglich als Hundesitterin zu arbeiten?

Aber was würde dann aus ihren anderen Aktivitäten werden?
Vielleicht wäre es einfacher, dem Nachbarn einen bösen Beschwerdebrief in den Briefkasten zu werfen und Abhilfe zu verlangen? Wieso eigentlich soll sie sich mit dem Köter herumärgern? Aber dann müsste der Hund vielleicht in ein Tierheim?

Das kann sie dem Tier doch auch nicht antun. Kein Wunder, denkt sie, der Tag fängt schon so blöd an. Schließlich ist heute der 13. Und dazu noch Freitag. Aber gestern hast du dich doch auch schon darüber aufgeregt, hört sie ihre innere Stimme. Sie wird wohl weiter über dieses Problem nachdenken müssen.

Während der Kaffee durch die Maschine läuft, schaltet sie wie immer das Radio an. Es ist ihr Leib- und Magensender. Heute ist der letzte Tag der Umfrage. Die Hörer sollen raten, wie viele Musikstücke der 70-er oder 80-er Jahre in einer Stunde gespielt werden.

Das Telefon hat sie schon bereit gelegt, die Nummer ist eingespeichert, sie muss nur auf die Taste drücken. Da, jetzt, da war wieder dieser Sound. Schnell einen Strich auf der Liste machen. Seit vier Tagen hat sie richtig geraten und sofort angerufen Manchmal hat sie eine halbe Stunde in der Warteschleife gehangen.

Und dann hat eine andere Hörerin das Rennen gemacht. O geil, ach super, hört sie die fremde Stimme freudig erregt aus den Lautsprechern. Vielleicht war sie ja eine Sekunde zu spät. Heute muss es klappen, denkt sie. Schließlich geht es um Alles oder Nichts. Eine 8-tägige Reise zusammen mit weiteren 3999 Passagieren auf einem Kreuzfahrtschiff ist im Spiel.

Punkt acht Uhr drückt sie auf die Taste. Eine freundliche Stimme bittet sie, sich zu gedulden. Verdammt, denkt sie, warum haben die keinen Anrufbeantworter? Da könnte ich meine Antwort auf Band sprechen und käme mit in die Auslosung. Überhaupt: Warum kommen alle anderen durch, nur ich nicht? Geht das überhaupt mit rechten Dingen zu?

Haben die vorher die Hörer schon bestimmt, die bei ihnen anrufen sollen? Was springt eigentlich für den Sender heraus, wenn viele Anrufer in der Warteschleife hängen? Ihr Widerspruchsgeist erwacht. Sie wird sich beschweren. Und dann wird sie den Sender wechseln.

Der Bissen bleibt ihr bald im Hals stecken, als die erste Nachricht um 8.00 Uhr über den Sender kommt. Peer Steinbrück hat den Stinkefinger gezeigt. Ja um Gottes Willen, wem denn? Es soll in allen Zeitungen stehen, es ist die Nachricht des Tages.

Ja gibt es denn keine wichtigeren Themen, z.B. den Krieg in Syrien? Der Mann ihrer Wahl hat sich so gehen lassen? Ist das nun peinlich oder mutig? Nee, denkt sie, der ist doch cool, sagt nicht nur, was er denkt, sondern zeigt es auch noch. Aber von alleine kommt der doch nicht auf so eine Idee. Sie haben ihn bestimmt provoziert.

Sie rennt zum Computer. Na bitte, da steht es doch im Internet. Das Foto wurde schon Ende Juli gemacht. Warum bringen sie das gerade jetzt, grade mal eine Woche vor der Wahl? Das wird ihn doch Stimmen kosten, garantiert. Mein Gott, vielleicht wusste er, dass er nicht gewinnen kann und hat noch einen drauf gesetzt?

Ihr ist ganz wirr im Kopf. Sie will ihn ja immer noch wählen. Er hat ihr schließlich in seinen Wahlreden aus dem Herzen gesprochen. Obwohl: Neulich ist er bei der Rente mit 67 schon einen Schritt zurück gegangen. Er wolle sich, wenn er Kanzler wäre, erst einmal die Entwicklung betrachten.

Frau Gläubig schüttelt den Kopf. Aber das konnte er doch schon all die Jahre tun, seitdem er im Bundestag ist, denkt sie. Aber vielleicht hat er sich überlegt, dass er für seine Vorschläge keine Unterstützer findet. Das wird so sein. Was soll sie denn nun machen? Wenn er sowieso nicht gewinnt, braucht sie ihn auch gar nicht zu wählen. Und wenn er nicht gewählt wird, will er ja auch nicht mit Frau Merkel.

Das kann Frau Gläubig verstehen. Sie möchte auch nicht mit dieser Frau. Also diese schwarz-rot-goldene Halskette, das war ja nun wirklich geschmacklos. Obwohl: Mutig ist sie ja, muss sich in diesem Männerverein behaupten, denkt sie. Das ist bestimmt nicht leicht. Und klug ist sie auch.

Und eine von uns, also aus der DDR. Die hat doch in diesem Staat ihre sozialen Wurzeln gehabt. Das kann sie doch nicht alles vergessen haben. Und gut gemacht hat sie es die letzten vier Jahre auch. Aber irgendwie ist sie auch durchtrieben. Wie viele Minister sind in ihrer Amtszeit schon über die Klinge gesprungen?

Aber sie hat das Kapital hinter sich. Sollte man sie bei diesem schweren Job nicht doch unterstützen? Natürlich hat sie auch nicht alles gehalten, was sie vor vier Jahren vor der Wahl versprochen hat. Trotzdem: Was man hat, das hat man. Was will man mit dem Spatz Steinbrück in der Hand, wenn die Taube Merkel schon auf dem Dach sitzt?

Aber was danach kommt, steht sowieso in den Sternen. Oder sollte ich doch wieder die Partei wählen, die ich vor vier Jahren schon ausgesucht hatte, überlegt Frau Gläubig. Die konnten zwar auch nicht viel bewirken, aber als Stachel im Bundestag waren sie gut geeignet. Und den braucht dieser Laden. Man kann sich ja nicht alles gefallen lassen.

Ich habe ja noch eine gute Woche Zeit zum Überlegen, denkt sie. Denn heute, am Freitag, dem 13. will sie so eine schwere Entscheidung nicht treffen. Schließlich ist sie noch nach der Wahl mitverantwortlich für das Ergebnis. Aber danach will es sowieso keiner gewesen sein. Das hat sie inzwischen auch gelernt.

Sie hört, dass Facebook an die Börse gehen will. Frau Gläubig weiß nicht, was sie davon halten soll. Womit verdienen die eigentlich ihr Geld? Na sicher doch mit der Werbung. Sie hat gelesen, dass die Werbung bei Facebook den Kunden auf den Leib geschneidert wird. Es soll ja sogar eine Software geben, die aus den Beiträgen der Nutzer deren Wünsche heraus filtert und sie dann ganz individuell bedient. Und das merken die nicht einmal.

Alle reden davon, dass es ein soziales Netzwerk ist, in dem man viele Freunde finden und mit den Politikern brisante Themen diskutieren kann. Mit den Freunden kann man dann über die eigenen Gefühle schreiben, über Freude, über Trauer, über Wut, man kann den ganzen persönlichen Frust ablassen.

Und dann bekommt man viele Antworten von vielen, anonymen Freunden bei Facebook oder Twitter, oder wie die Netzwerke alle noch so heißen. Niemandem kann man dabei in die Augen sehen. Wäre es denn nicht besser, sich aktiv einzumischen, in den Parteien, in den Vereinen, auf der Straße, anstatt einen anonymen Shitstorm loszutreten?

Warum regen sich die Menschen bei all diesem Tun aber darüber auf, dass auch andere, z.B. die Geheimdienste, ihre Mitteilungen lesen und ihre Daten ausspähen? Daran sind sie doch selbst schuld. Die verraten doch Dinge von sich, die eigentlich niemanden was angehen. Sie z.B. macht kein Online-Banking, da läuft sie lieber die 10 Minuten zur Sparkasse.

Man soll ja im Alter auch in Bewegung bleiben und nicht dauernd vor dem Computer hocken. Sie weiß, dass auch Bankdaten schon ausgespäht wurden. Wo ist man denn überhaupt noch sicher? Sie hat noch nie im Internet irgendwelche Waren bestellt, die sie dann vielleicht wieder zurück schicken muss. Denn sie hat gehört, dass damit schon viel Schindluder getrieben wurde.

Menschen, die da mitspielen, machen sich doch selbst zum gläsernen Objekt der Begierde. Wer in dieser virtuellen Selbsthilfegruppe von Facebook oder Twitter alles über sich verrät, aus dem dieses Netzwerk auch noch Gewinn schlägt, braucht sich doch über nichts mehr zu wundern. Wie arm sind doch die Menschen, die ihre Freunde nur im Netz suchen, denkt sie.

Da lobt sie sich doch ihre Freunde und Bekannten, mit denen sie persönlich reden kann, die sie anfassen kann, mit denen sie sich treffen kann, die sie auch einmal in den Arm nehmen, und von denen sie weiß, dass sie ihnen vertrauen kann. Aber von gestern ist sie auch nicht. Sie weiß, dass die technische Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Aber sollten die Menschen nicht achtsamer damit umgehen? Sie hat da so ihre Zweifel.

An diesem Tag passiert noch eine ganze Menge. Es gibt keine guten Nachrichten, und manchmal hat sie keine Lust mehr, sich über diese Meldungen ihren Kopf zu zerbrechen. Sie kann es ohnehin nicht verhindern, dass Menschen sich die Köpfe einschlagen. Alle lügen. Eine Seite schiebt der anderen Seite die Grausamkeiten zu.

Die eine Seite macht was dazu, die gegnerische Seite lässt was weg. Das ist doch auch Lüge. Und wen trifft es immer? Die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Manchmal wünscht sie sich, dass die Politiker, die Krieg befehlen, nur mal einen Tag lang im Kriegsgetümmel zubringen müssen, als einfache Soldaten, oder gar als Flüchtlinge, und nicht geschützt von ihren Bodyguards. Der Krieg wäre sehr schnell zu Ende.

Dann hört sie gespannt hin, als die Moderatorin bekannt gibt, dass heute ein Haufen Schnee auf dem Alexanderplatz gelegen hat. Und das soll sie nun glauben? Möglichst gleich wieder anrufen? Andererseits: In den Alpen ist auch schon der erste Schnee gefallen.

Aber hier hat wohl ein Schelm einen kleinen Haufen Kunstschnee auf dem Alex platziert, und niemand weiß, wer es gewesen ist. Vielleicht wollte er darauf aufmerksam machen, dass es bald Winter wird und dass Weihnachten vor der Tür steht. Aber das haben ja schon die Supermärkte getan, denkt Frau Gläubig.

Schließlich stapeln sich schon seit Wochen die Christstollen und Pfefferkuchen und Spekulatius in den Regalen. Sie lässt sich davon nicht einfangen. Sie wird wie immer erst zum Nikolaus die ersten Dominosteine kaufen.

Am Abend überlegt sie, was all die Nachrichten mit Freitag, dem 13. zu tun hatten. Nichts ist schlimmer geworden durch dieses Datum. Eigentlich war es doch ein Tag wie jeder andere in diesem Jahr, denkt sie. Es war der ganz normale Wahnsinn, über den sie sich Gedanken gemacht hat.