Begegnungen

Viele Menschen, die sich an den Händen halten

von Christa-Dorit Pohle

Das alte Jahr liegt nun hinter uns. Die sehr milden Temperaturen haben ja nicht so recht Winterstimmung aufkommen lassen. Ich nehme an, dass die meisten Kinder sich Schneetreiben gewünscht hätten, während wir Senioren doch eher froh sind über jeden Wintertag, der uns nicht in Rutschgefahr bringt. Aber einmal hat uns Petrus ja noch im alten Jahr mit einem Flockenwirbel überrascht und sofort waren viele Kinder auf der Straße mit Schlitten unterwegs.

Am Heiligen Abend war sehr unangenehmes Wetter, alles grau in grau, eisiger Wind und Regen. Eigentlich wollte ich ja daheim bleiben, aber Bewegung in frischer Luft tut doch auch gut und so startete ich in Richtung S-Bahnhof Mahlsdorf, um einen Karpfen zu kaufen.

Ein Mann und eine Frau hatten ihren Verkaufsstand in der Nähe der Bushaltestelle, die Karpfen schwammen in einem Gefäß und ein großer Schirm sollte die Verkäufer vor dem Regen schützen. Aber durch die Windböen wollte der Schirm entfleuchen und musste von dem Mann festgehalten werden. Für die Frau war es auch nicht so einfach durchzuhalten, bis alle Karpfen verkauft waren.

Ich wollte den Karpfen zu meiner Freundin bringen und während ich auf den Bus wartete, stand neben mir eine alte Dame, die ich vom Sehen her kenne. Sie hatte keine Kopfbedeckung auf, die weißen Haare wurden vom Regen durchnässt, ein langer seidiger Rock, ein kurzes Jäckchen und zarte Lederschuhe schützten sie bestimmt nicht vor der Auskühlung.

Das Gesicht war fast faltenlos, der Blick gedankenverloren in die Ferne gerichtet. Sie spürte wohl Wind und Regen nicht, schien glücklich in der Erinnerung an frühere Zeiten.

Nach einigen Stationen mit dem Bus stieg ich Riesaer Straße in die Straßenbahn um. Mit mir stieg ein junges Mädchen ein, 17 Jahr, langes, blondes Haar, weißer, kurzer Anorak, ein hauchdünnes Sommerkleidchen mit Blumenmuster, dünne, weiße Strumpfhosen, rosa Plateauschuhe mit Lackschleifen. Ich dachte, Alice aus dem Wunderland würde mir begegnen.

Und einigen jungen Männern in der Straßenbahn sah man auch an, dass sie erstaunt waren. „Alice“ wollte am Fahrscheinautomaten ein Ticket kaufen. Sie hatte ihre Geldbörse in der Hand, hielt diese ganz dicht vor ihre Augen und steckte nach und nach viele, kleine Münzen in den Schlitz. Ich war in der Versuchung, ihr ein Ticket zu kaufen, aber inzwischen hatte sie den Betrag zusammen.

Endlich kam das Ticket aus dem Automaten und sie musste schon wieder aussteigen. Ich wünschte „Alice“, dass jemand aus ihrem Bekanntenkreis erkennt, dass sie dringend eine Brille braucht.

Als ich den Karpfen bei meiner Freundin abgegeben hatte und noch in einem Einkaufszentrum vorbei schaute, um Obst und Gemüse einzukaufen, traf ich dort einen netten, älteren Herrn. Er stand vor dem Regal mit den Prämien der Treuepunkt-Sammelaktion. Er suchte vielleicht noch nach einem Weihnachtsgeschenk. Eine Karte mit aufgeklebten Treuepunkten hielt er in der Hand und hatte auch schon eine Prämie ausgewählt.

Ich hatte das Gefühl, er hätte gerne noch eine zweite Prämie. Ich sprach ihn an und fragte, ob er noch eine Karte gebrauchen könne, ich könnte ihm eine geben. Er hat sich sehr gefreut über dieses Angebot, aber wohl noch mehr über die Ansprache. Wir haben uns noch ein Weilchen unterhalten und das tat ihm sichtlich gut.

Meine Einkaufstasche war dann doch wieder etwas schwerer als beabsichtigt. Ich kam aus dem Einkaufszentrum, der Regen setzte gerade wieder ein. Ein junger Mann sprach mich an und fragte, ob ich in Richtung Bushaltestelle möchte, und ob er meine Tasche tragen darf. Er war bei seinen Eltern eingeladen und musste in die gleiche Richtung wie ich.

So konnte ich kurz vorher etwas Freude bereiten, nun spürte ich die Hilfsbereitschaft des jungen Mannes. Das sind die kleinen Lichtblicke im Alltag, aber sehr wichtig für uns Senioren, und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Vor uns liegt nun das neue Jahr mit allen guten Vorsätzen, die in den meisten Fällen schnell wieder vergessen werden.

Herr Dr. Eckardt von Hirschhausen hat einen guten Ratschlag für uns. Er empfiehlt, dass wir uns unsere Vernunft nicht als einen großen Chef im Gehirn vorstellen sollen. Die Vernunft sollten wir wie einen schmächtigen Reiter auf einem Elefanten des Unterbewusstseins und automatischen Handelns sehen.

Und da sich ein Elefant nicht mit Gewalt bewegen lässt, sondern mit kleinen Belohnungen für jede Bewegung in die richtige Richtung, können wir Menschen daraus lernen, dass die kleinen Veränderungen langfristig große Wirkung bringen. Mit Gewalt kommen auch wir nicht zum Ziel. Wenn wir uns aber zum liebevollen Dompteur unserer selbst entwickeln, dann stärkt es uns als Reiter, aber auch den Elefanten. Versuchen wir es doch mal mit diesem Ratschlag, an unser Ziel zu kommen.