Mein Recht auf Selbstbestimmung

Bühnenbild Blick in die gut besuchte Diskussionsrunde

Blick in die gut besuchte Diskussionsrunde

_von Ursula A. Kolbe_

Eines steht wohl fest: Die Diskussion um das eigene selbstbestimmte Leben löst sich in unserem Alltag immer mehr aus der Grauzone des Schweigens heraus. Wie kann ich leben, aber auch das Ende, wenn die Gebrechlichkeit kaum eine Alternative mehr zulässt, selbst über Leben und Tod zu entscheiden?

Eine Gewissensfrage, eine sehr große. Aber sie bewegt immer mehr Menschen. Und so habe ich auch wieder einmal die große Resonanz auf die Einladung der Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in die Technische Universität Berlin zum Thema „Selbstbestimmt sterben. Neue Ansätze für ein Umdenken in Deutschland“ verstanden.

Nur am Rande: Der ursprünglich vorgesehene Hörsaal erwies sich schnell als zu klein, und die Ersten hatten enttäuscht schon wieder die ehrwürdige Alma Mater verlassen, als dann nach kurzem Umzug auch mit Rollatoren und anderen Lebenshilfen in einen größeren Saal die fast 200 Interessierten aufmerksam kritisch zum Thema kamen.

Im Raum standen Fragen z. B. an welchen Arzt ich mich wenden kann, wenn ich ein selbstbestimmtes Ende mit ärztlicher Hilfe haben möchte. Drohen dem Hausarzt Sanktionen, wenn er mir ein entsprechendes Präparat ausstellt? Ist einem Arzt klar, welche Pflichten er gegenüber seinen Patienten hat?

Voraus: Der Feitod, und dieser Meinung schließe ich mich der des Publizisten Dr. Jur. Manfred von Lewinski an, scheint noch immer von stark überkommenen religiösen Anschauungen geprägt zu sein. Natürlich verdient dies Respekt. Aber es muss doch der Stolz unseres Gemeinwesens sein, jedem, getreu seiner weltanschaulichen Auffassung, zu gestatten, selbst am Ende seines Lebens über weiteres Sein oder Nichtsein zu entscheiden.

Ich habe dabei noch Lewinskis Worte im Ohr, der übrigens im vergangenen Jahr mit seinem Buch „Freiheit zum Tode – Annäherungen und Anstöße“ zu den DGHS- Preisträgern mit dem Arthur-Koestler-Preis gehörte, als er feststellte, dass es in einer, seit Jahrzehnten gefestigten demokratischen Rechtsgemeinschaft, die aus der unseligen deutschen Geschichte und den entsetzlichen Entgleisungen im Umgang mit menschlichem Leben, gelernt habe und dem Schutz des Individuums einen besonders hohen Stellenwert einräume, möglich sein sollte, sich mit dieser Erwägung selbstbestimmten Sterbens auseinanderzusetzen – umsichtig und mit Augenmass, ergebnisoffen, aber ohne weltanschauliche Scheuklappen.

Das Podium war repräsentativ besetzt. So verwies der bekannte Münchner Medizinrechtsanwalt Wolfgang Putz auf die völlig “klare Rechtslage“, die lediglich die aktive Tötung unter Strafe stellt. Jeder Patient habe „ein einklagbares Recht, wenn er z.B. nicht mehr beatmet werden möchte“. In seiner Anwaltstätigkeit gebe es einen starken Anstieg von durchgeführten Suizidassistenzen, die durch ihn rechtlich abgesichert werden.

Ich begrüße den Standpunkt von Dr. Ulrich Meyer, auch Mitglied des DGHS-Präsidiums, der sich für die Einrichtung von Suizidpräventionsberatungsstellen ausspricht, die dem Hilfesuchenden alle Möglichkeiten von Alternativ-Behandlungen aufzeigen sollen, aber auch eine wohlüberlegte Selbsttötung letztendlich akzeptieren, als einen Weg in die richtige Richtung.

Der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns weiß wohl wovon, wenn er aus seinem alltäglichen Umgang mit Sterbenden von einer breiten Palette von Hilfestellungen spricht, von Schmerzmittel und Sedierung (Beruhigungsmittel). Aufgrund seiner Suizidbegleitung hat ja mittlerweile der Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold bundesweit Bekanntheit erlangt. Wenn er betont, dass viele Ärzte Repressionen durch ihre jeweilige Berufsvertretung fürchten, höre ich da für meine Begriffe wohl einander abweichende Standpunkte heraus.

Einen Blick ins Nachbarland Belgien, auch hier nur ein Beispiel, verdeutlichte Prof. Dr. Jan Bernheim. Hier wird Sterbehilfe als integraler Bestandteil der Palliativpflege behandelt und auch die Tötung auf Verlangen unter Umständen nicht strafverfolgt. Widerspruch vom Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst: „Ich möchte keine holländischen Verhältnisse haben, dass Menschen entsorgt werden“. Er gehe stets davon aus, dass der Patient Hilfe wünsche, aber das Selbstbestimmungsrecht und die Patientenverfügung zu respektieren seien. In seiner Region verbiete das Berufsrecht den Ärzten nicht absolut eine Assistenz beim Suizid, ebenso drohe kein Approbationsentzug, aber kein Mediziner könne dazu verpflichtet werden.

Die rege, zum Teil aufgewühlte Diskussion machte vor allem die Angst des einzelnen vor einer entwürdigenden Situation am Lebensende deutlich, das eigene Nicht-Mehr-Können nach Erlösung von Belastung für sich selbst, mehr noch aber für das persönliche Umfeld. Für den, die Betroffene (n) ein Bannkreis?

Dieser Abend für mich jedenfalls war ein weiteres Stück aufrechten Ganges zum selbst bestimmten Ende in Würde. Und um noch einmal den Blick ins Ethische zu heben – ob Abtreibung, Homosexualität oder Sterbehilfe – all diese Fragen werden von unserer Gesellschaft immer mehr in die Selbstbestimmung des Einzelnen gelegt. Es geht um nicht mehr oder weniger als um Toleranz.

Und beim Beschäftigen mit diesem Thema fiel mir ein Beitrag aus dem Magazin der Berliner Zeitung in die Hand, in dem die Autorin die letzten Jahre ihres Großvaters in einem Pflegeheim skizzierte, zuvor die Suche nach einem Platz dafür, als eine Betreuung im familiären Umfeld einfach nicht mehr möglich war.

Und sie brachte dabei auch die Patientenverfügung ins Spiel. Lassen Sie mich dies zitieren: _„An einem dieser kalten glanzlosen Februartage hörte mein Großvater plötzlich auf zu essen und zu trinken. Das Pflegepersonal wollte ihn ins Krankenhaus auf die Intensivstation bringen lassen. Zum Glück hatte er eine Patientenverfügung unterschrieben, und so konnte es meine Mutter gerade noch verhindern. Sie ließ einen Palliativmediziner kommen, der dafür sorgte, dass mein Großvater ohne Schmerzen einschlief. Es war ihr letzter Kampf um ein bisschen Würde für ihren Vater.“_