Vor 100 Jahren: Ende des Ersten Weltkriegs

Britische 60-Pfund-Kanone am Kap Helles, Gallipoli 1915

von Tristan Micke

In einem Eisenbahnwagen in einem Wald in der Nähe von Paris unterzeichnete am 11. November 1918 der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger die Waffenstillstandsbedingungen, die der französische General und Oberbefehlshaber der Alliierten, Ferdinand Foch, vorgelegt hatte. Dieser Waffenstillstand beendete den über vier Jahre andauernden Ersten Weltkrieg und kommt einer bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs gleich. Diesem Waffenstillstand folgte 1919 der Versailler Friedensvertrag.

Hier ist die Bilanz des vierjährigen sinnlosen Mordens: In den direkten Kampfhandlungen starben insgesamt 8,5 Millionen Soldaten, mehr als 21 Millionen wurden verwundet. In den Kriegsgefangenenlagern waren fast 65 Millionen Soldaten interniert. Hinzu kamen die Opfer, die durch indirekte Auswirkungen, Hungerblockaden, Krankheiten und Angriffe auf die Zivilbevölkerung ums Leben kamen. Die größten Verluste hatte das Deutsche Reich mit etwa 1,8 Millionen Gefallenen zu beklagen, gefolgt von Rußland mit 1,7 Millionen. Infolge der Hungerblockaden durch die britischen Seestreitkräfte starben im Deutschen Reich etwa 763 000 Zivilisten an Unterernährung und deren Folgen. 2 600 Zivilisten kamen durch Luftangriffe ums Leben.

Erstmals hatte ein Krieg auf höchstem technischem Niveau stattgefunden, der ganze Landstriche in Mitteleuropa verwüstete und in dem neuentwickelte Waffen eine entscheidende Rolle spielten. Bei ihrem Einsatz ging es darum, die Truppen des Gegners ausbluten zu lassen. Besonders bestialisch waren die neuentwickelten Giftgase, gegen die es kaum Schutzmaßnahmen gab. Sinnbild der todbringenden Technik wurden die erstmals eingesetzten Panzer. Die Entwicklung von Bombenflugzeugen ermöglichte die Ausweitung der Kampfhandlungen auf die Bevölkerungen der Kriegsgegner.

Als Anfang August 1914 deutsche Soldaten in den Krieg zogen, waren die meisten von ihnen überzeugt, nach erfolgtem Sieg Weihnachten wieder zu Hause zu sein. Entsprechend gelöst war die Stimmung auf den Bahnhöfen und in den Eisenbahnzügen, als sie an die Front fuhren. Es herrschte eine Stimmung, als würde man in die Sommerfische fahren. Ende 1914, Anfang 1915 hatte sich Ernüchterung eingestellt, die Hoffnung auf ein schnelles und siegreiches Ende war verflogen.

Nach fünfmonatiger Kriegsdauer waren die Neujahrsappelle von Durchhalteparolen geprägt. Man begann sich auf einen längeren Krieg einzustellen. Grund war das Scheitern der Westoffensive. Die deutsche Führung hatte außerdem den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten an die Ostfront verlegt. Auch hier war zu Beginn des Jahres 1915 der Bewegungskrieg in einen Stellungskampf übergegangen.

An die Ostfront hatte es auch Alfons (geboren 1895 in Berlin), den jüngsten Bruder meiner Großmutter verschlagen. Man erzählte in der Familie, dass er sich aus Liebeskummer freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte. Ich bin im Besitz einer Feldpostkarte von ihm, die er am 30. März 1915 in Königsberg geschrieben hatte.

Es ist eine Fotografie, auf der 19 deutsche Soldaten abgebildet sind, die sich für den Fotografen mit ihren Waffen in Position gebracht haben. Jung, mit Pickelhaube und kleinem Schnurrbart, sehen sie sich alle ähnlich. Deshalb hat jemand aus der Familie auf die Pickelhaube von Alfons ein kaum sichtbares Kreuz gemalt. Auf der Rückseite der über hundert Jahre alten Karte steht ein mit Bleistift geschriebener Text, in dem Alfons der lieben Schwester Ella und dem Schwager Fritz ein fröhliches Osterfest wünscht und herzlichst bis zu einem frohen Wiedersehen grüßt.

Zu diesem Wiedersehen ist es jedoch nicht mehr gekommen, denn nachträglich ist folgende Zeitungsanzeige aufgeklebt worden: “Fern der Heimat starb am 24. Mai den Heldentod fürs Vaterland unser lieber Bruder und Mitbegründer des Vereins Alfons Wassermann im blühenden Alter von 23 Jahren. Dies zeigen wir zu seinem heutigen Geburtstag an und werden sein Andenken stets in Ehren halten.

Die Mitglieder des Theater-Vereins Edelweiß 1912. I. A. Ella Micke, als Schwester, Fritz Micke, als Schwager.”

Alfons war knapp zwei Monate nach dem Schreiben der Karte in Russland gefallen.
Wie sinnlos war doch der Tod von Alfons und all der anderen Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Gelernt hat man nichts daraus; bald wurde in einen noch grausameren Krieg gezogen. Und heute gibt es wieder besorgniserregend viele Kriegsherde auf der Welt.