Größtes Windrad der Welt steht in Bremerhaven
Bild: Fraunhofer IWES / Jens Meier
von Ursula A. Kolbe
Mit großem Interesse lese ich immer das Fraunhofer-Magazin „weiter.voran“, die Zeitschrift für Forschung, Technik und Innovation. In der Ausgabe 1/18 blieben meine Augen am Titel „Gigant mit drei Blättern“ „hängen“ – die Experten mögen mir den saloppen Ausdruck verzeihen. Aber ich wollte mehr darüber wissen, über das größte Windrad der Welt. Über einen eng verknüpften Zukunftsfaktor für Wirtschaft, Gesellschaft und unsere Umwelt.
Es steht im Süden Bremerhavens, auf dem ehemaligen Flugplatz. Der Prototyp, betrieben vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES, wird künftig wichtige Messdaten liefern, um die Offshore-Windparks der Zukunft wirtschaftlicher und zuverlässiger zu bauen.
IWES-Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Andreas Reuter: „Es ist die größte rotierende Maschine, die die Menschheit je gebaut hat.“ Die Gondel habe die Ausmaße eines Mehrfamilienhauses, und in die Rotorblätter könne man 50 Meter weit hineinlaufen, ohne den Kopf einziehen zu müssen. Mit einer Gesamthöhe von über 200 Metern, fast 50 Meter höher als der Kölner Dom, ist dieser Prototyp ein Symbol für den nächsten Schritt in die Zukunft. Interessant auch, dass er mit seinem Rotordurchmesser von 180 Metern – etwa der doppelten Spannweite eines Airbus 380 – beachtliche 16 Meter größer als der bisherige Rekordhalter ist.
Der Riese namens „Adwen AD 8-180“ ist das jüngste Großprojekt des Fraunhofer IWES. Mit seiner Leistung von acht Megawatt kann er bei gutem Wind rund 15.000 Haushalte mit Strom versorgen. Gebaut hat ihn die Firma Adwen, das Bundeswirtschaftsministerium unterstützte die Einrichtung eines Testfeldes mit 18,5 Millionen Euro.
„Offshore sind die Riesen besonders wirtschaftlich“
Windenergieanlagen wie die AD 8-180 sind für den Einsatz auf hoher See konzipiert. „Offshore sind die Riesen besonders wirtschaftlich“, sagte Reuter. „Denn der Aufwand für Transport, Montage und Netzanbindung ist für große Turbinen kaum größer als für kleine, und durch ihre höhere Leistung bringen sie mehr Ertrag.“
Der Trend weist stetig aufwärts: Hatten die ersten Offshore-Turbinen Anfang der 2000er Jahre noch eine Nennleistung von zwei Megawatt, schaffen die aktuellen Modelle fünf bis sechs, heißt es im Beitrag weiter. Nun wagen die Hersteller den Schritt zur nächsten Generation – Anlagen im Leistungsbereich von acht Megawatt.
Für diese Generation ist die AD 8 -180 ein wichtiger Prototyp. Um die Anlage leicht zugänglich zu halten, wurde sie, wie in der Branche üblich, nicht auf hoher See platziert. Stattdessen steht sie an Land in Bremerhaven, nur wenige hundert Meter entfernt von einer anderen IWES-Einrichtung, dem Gondelprüfstand DyNaLab. Hier hatten die Ingenieure den Antriebsstrang der AD 8-180 zuvor auf Herz und Nieren getestet.
Jetzt steht die Anlage auf einem 1700-Kubikmeter Betonfundament im Fischereihafen und lässt sich unter realen Bedingungen testen – bei lauen Lüftchen ebenso wie bei starkem Wind. Und je realitätsgetreuer die Resultate auf dem Prüfstand sind, umso besser können sie langwierige und kostspielige Feldtests ergänzen oder sogar ersetzen. Das hat für Hersteller den Vorteil, dass sie die für die Zertifizierung erforderlichen Tests schneller und besser planbar durchlaufen – und dadurch früher die Marktreife erreichen können.
Ein weiterer Schwerpunkt ist auch die Netzverträglichkeit. „Gerade große Windenergieanlagen können einen massiven Einfluss aufs Stromnetz haben“, erläutert Andreas Reuter. „Und je mehr Windstrom eingespeist wird, umso besser muss man verstehen, wie er sich aufs Netz auswirkt.“ Um das detailliert zu untersuchen, führt eine Stromleitung vom neuen Riesenwindrad zum DyNaLab. Dadurch sind beide in einem gemeinsamen virtuellen Netz miteinander verbunden.
Die Fraunhofer-Experten haben neue Methoden entwickelt, mit denen sich die Netzverträglichkeit im Prüfstand schneller untersuchen lässt. Diese Laborverfahren sollen nun mit den Daten der AD 8-180 abgeglichen werden – und dadurch die mehrere Monate dauernden Tests noch aussagekräftiger machen.
Forschungsplattform für neue Konzepte
Umgekehrt reagieren auch die Windturbinen auf Schwankungen und Fehler im Netz. Im Extremfall können unvermittelte Netzschwankungen sogar Bauteile in der Anlage beschädigen. Um diese Gefahren auszuloten, provozieren die Fachleute künstliche Netzfehler und schauen nach, wie der Prototyp darauf reagiert. „In einem öffentlichen Netz lassen sich solche Tests nur schlecht machen“, erklärt Reuter. „Dagegen können wir in unserem virtuellen Netz Fehler simulieren, ohne dass in der Nachbarschaft Rechner abstürzen.“
Auf lange Sicht soll die AD 8-180 auch als Forschungsplattform dienen, um innovative Betriebskonzepte zu erproben. Insbesondere Zulieferer interessieren sich für solche Projekte. Die Erkenntnisse sollen helfen, Offshore-Windenergieanlagen noch wirtschaftlicher betreiben zu können und das Design weiter zu verbessern.
Noch ist der Gigant aus Bremerhaven die derzeit größte Windenergieanlage der Welt. Aber: „Ich gehe davon aus, dass dieser Rekord nicht lange hält“, meint der Institutsleiter. Denn der Trend geht zu noch größeren und leistungsstärkeren Turbinen. Die Hersteller von Offshore-Windenergieanlagen tüfteln bereits an Modellen in der Leistungsklasse zehn und zwölf Megawatt mit Rotordurchmessern von mehr als 200 Metern. Erste Prototypen werden in ein bis zwei Jahren erwartet.
Geben wir noch dem Geschäftsführer der BIS Wirtschaftsförderung Bremerhaven, Nils Schnorrenberger das Wort, der sich von den enormen Chancen überzeugt zeigt: „Wenn es gelingt, die Kosten für Offshore-Windenergie dank effizienterer Technologien und Prozesse zu minimieren, kann die Branche ihre unbestreitbaren Vorteile voll ausspielen.“ Bremerhaven als Produktions- und Forschungsstandort trage dazu bei, diese Chance zu nutzen. „Wie das Fraunhofer IWES ist die gesamte Bremerhavener Wissenschaftslandschaft sehr stark geprägt von industrienaher, anwendungsorientierter Forschung und von intensiver Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft“.
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