Hände weg vom „roten Knopf“!

Zerstörtes Haus

von Waltraud Käß

27 Jahre nach Ende des kalten Krieges strotzt die Welt noch immer von Tausenden von Atombomben bzw. atomaren Sprengköpfen als Mittel der Abschreckung und Kraftmeierei.

Laut einer Studie des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) verfügten die Atommächte Anfang des Jahres 2017 über 14.935 nukleare Sprengköpfe, die sich wie folgt aufteilen: Russland 7 000 Stück, die USA 6.800 Stück, Frankreich 300 Stück, China 270 Stück. Über weitere nukleare Sprengköpfe verfügen die Staaten Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea.

Die USA besitzen in folgenden Ländern Lagerstätten für nukleare Waffen: Niederlande, Belgien, Italien, Türkei und auch in Deutschland. Letztere befinden sich in einer Anzahl zwischen 10-20 Stück in Büchel in der Eifel. Ein Teil all dieser nuklearen Waffen wird weltweit „einsatzbereit“ oder in „erhöhter Einsatzbereitschaft“ gehalten.

Wir Menschen dieser einzigartigen Erde sitzen also alle auf dem Pulverfass der atomaren Rüstung. Doch braucht es Tausende nuklearer Sprengköpfe, wenn schon 100 Interkontinentalraketen ausreichen, die Erde unbewohnbar zu machen, wie die Experten einschätzen? Wie das aussehen würde, musste Japan schwergeprüft in Hiroshima und Nagasaki erleben. Wurden die Auswirkungen als Mahnung verstanden? Nein!

Die jüngeren politischen Geschehnisse haben den Umgang mit atomaren Waffen wieder in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Die unaufhörlichen Raketentests in Nordkorea stellen eine allgemeine Bedrohung nicht nur für die Länder Südostasiens dar, sondern sie können einen Weltenbrand auslösen. Die wortgewaltigen Drohgebärden des amerikanischen Präsidenten gegenüber Nordkorea, gepaart mit gemeinsamen Übungen der US- und südkoreanischen Streitkräfte an der Grenze Nordkoreas werden den Druck im Kessel noch weiter erhöhen, wenn es nicht gelingt, auf diplomatischem Wege zu einem Stillstand der Eskalation zu kommen.

Schon im Jahre 1958 hat Albert Schweitzer vor einem Atomkrieg gewarnt: „Die durch das Aufkommen von atomaren Raketenwaffen gesteigerte Kriegsgefahr wird größer noch dadurch, dass der Atomkrieg wohl kaum auf Grund einer Kriegserklärung von Seiten einer Atommacht stattfindet, sondern durch irgendein Vorkommnis zufällig zum Ausbruch kommen wird. Schuld daran ist die nunmehr dem Faktor Zeit zukommende Bedeutung…

Mit der Schnelligkeit, mit der entschieden werden muss, was das auf dem Radarschirm sichtbar Werdende bedeutet, ist die Möglichkeit eines verhängnisvollen Irrtums gegeben, der unter Umständen den Ausbruch eines Atomkrieges zur Folge haben kann.“ (Auszug aus der Zeitschrift „Rotfuchs“ Nr. 236/Seite 3/September 2017).

Vielleicht schaffen es der amerikanische Machthaber Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un gerade noch, sich gegenseitig über Twitter über den Erstschlag zu informieren. Weitere Nachrichten wird es dann nicht mehr geben, wenn möglicherweise auch andere „rote Knöpfe“ gedrückt werden.

Vor diesem Hintergrund muss es wichtigstes Anliegen der Staaten dieser Welt sein, die atomare Bedrohung immer mehr einzudämmen. Die Weltöffentlichkeit muss wieder einmal aus der Sicherheitszone geholt werden, in der sie sich eingerichtet hat. Das hat man bei der UN wohl erkannt.

Die groß aufgemachte Meldung, dass am 7. Juli 2017 bei den Vereinten Nationen in New York 122 Staaten einen „Vertrag zum Verbot von Atomwaffen“ verabschiedet haben, habe ich allerdings in den Medien vermisst. Damit wird aber eine klare Botschaft an die Atomwaffenstaaten gesandt: Die internationale Staatengemeinschaft akzeptiert den bisherigen Sonderstatus der Atommächte nicht länger!

Neben der Herstellung, dem Einsatz und Besitz von Atomwaffen verbietet das völkerrechtlich verbindliche Abkommen auch die Drohung mit einem Nuklearschlag sowie die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten. Nachstehend zitiere ich aus einem Beitrag von Xanthe Hall und Birte Vogel vom IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs): „Aus der Präambel des Vertrags ist zu entnehmen, dass die katastrophalen Folgen und die Risiken, die die schlichte Existenz der Atomwaffen mit sich bringen, ein Verbot von Atomwaffen rechtfertigen…

Auch Hilfeleistungen zu Besitz und Lagerung ist Staaten untersagt. Darunter fällt beispielsweise die nukleare Teilhabe der NATO, in deren Rahmen die US-Atomwaffen in fünf europäischen Ländern gelagert sind…. Ein Atomwaffenstaat, der plant, dem Vertrag beizutreten, muss alle Informationen über seinen Atomwaffenbestand offenlegen, seine Atomwaffen außer Betrieb nehmen, und einen Plan vorlegen, wie sie zerstört werden…

Für die Staaten, die momentan im Rahmen der nuklearen Teilhabe Atomwaffen lagern und Infrastruktur sowie Trägersysteme zur Verfügung stellen (siehe Bundesrepublik Deutschland), gibt es explizit einen Weg zum Beitritt, indem sie zuerst und innerhalb einer bestimmten Zeit den Abzug der Atomwaffen veranlassen…

Der Vertrag muss sich zunächst im internationalen Völkerrecht etablieren und argumentativ angewendet werden. Dies wird sicherlich im Rahmen der Konferenzen zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags geschehen… Auch die Zivilgesellschaft kann den Vertrag nutzen und fordern, dass die Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner sich nicht nur auf schwache Argumente wie „Realpolitik“ stützen.

Sie sind nun politisch verpflichtet, sich mit dem Atomwaffenverbot auseinanderzusetzen. Künftige Regierungen und Parlamente werden immer wieder prüfen müssen, ob sie nicht doch mit der Mehrheit der Staaten einig werden und Atomwaffen ein für alle Mal abschaffen wollen.“ (Zeitschrift „Rotfuchs“, Heft 236/Seite 2/September 2017 – auch unter www.rotfuchs.net).

Auch wenn in den zurückliegenden Jahren der Bestand an Atomwaffen langsam reduziert wurde, muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass die Bestrebungen zur Abschaffung von Atomwaffen unterlaufen werden. Die Atommächte arbeiten bereits an der Modernisierung bzw. Neuentwicklung nuklearer Waffensysteme. Das zeigen die jüngsten Atomtests. Es gibt also Gründe, wachsam zu bleiben. Wir haben nur diese eine Erde.

Am 20. September 2017 tickerte die Meldung durch die Medien, dass die ersten 50 Staaten den genannten Vertrag unterschrieben hätten. Allerdings befanden sich die Atommächte nicht unter ihnen!

Das Nobelpreiskomitee in Stockholm hat am 6. Oktober 2017 ein starkes Zeichen gesetzt. Der diesjährige Träger des Friedensnobelpreises ist die „Internationale Campagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen“ (ICAN), durch deren Initiative der genannte UN-Vertrag zustande kam. Das wird die Atommächte zwar nicht zu Friedensengeln machen, dennoch müssen sie diese Tatsache zur Kenntnis nehmen.

Machen wir also unserer „neu gewählten Regierung“ die Hölle heiß, damit Deutschland atomwaffenfrei wird – durch die parlamentarischen Auseinandersetzungen im Bundestag, durch Publikationen, durch den Druck der Straße – und vielleicht auch über Twitter? Hier die Führungsrolle in der Welt zu übernehmen, würde Deutschland sicher gut zu Gesicht stehen.