Wird Sterbehilfe zur Straftat?

Eine junge und eine alte Hand berühren sich - die Zeit läuft

von Ursula A. Kolbe

Eine Frage, heute aktueller denn je, seit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im Sommer 2014 ankündigte, jede Form von organisierter Sterbehilfe verbieten zu wollen. Seitdem ist viel Bewegung in die seit Jahren festgefahrene Debatte gekommen.

Ja, dieses Thema bedarf einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. Das Thema Tod nimmt in unserem Alltag einen immer klareren Platz ein, ist längst kein Tabu mehr. Denn zum Leben gehört genauso der Tod.

Zu denjenigen, die sich für ein selbstbestimmtes Sterben engagieren, gehört die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben, die DHGS, die sich mit ihren 25.000 Mitgliedern als eine Patientenschutz-Organisation sowie Bürgerrechts- und Menschenrechtsbewegung seit ihrer Gründung im Jahre 1980 dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen bis zum Ende verpflichtet fühlt.

Im breiten Konsens ist ihr Streben darauf gerichtet, den Betroffenen ein unerträgliches und sinnloses Leiden zu ersparen, ihnen auch im Sterben ihre Menschenwürde zu bewahren. Die jüngste Podiumsdiskussion stellte die DGHS unter das Motto „Wird Sterbehilfe zur Straftat?

Erst wenige Tage zuvor hatten führende Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer in einer Stellungnahme eindeutig Position gegen jegliche Verschärfung des Strafrechts bei der Suizidhilfe und für eine einheitliche liberale Berufspolitik der Ärzteschaft bezogen. (Wortlaut dieser Resolution mit den Namen der mehr als 140 Unterzeichner unter www.dghs.de)

Der Einladung zu dieser DGHS- Podiumsdiskussion im Jacob- und-Wilhelm –Grimm-Zentrum der Humboldt Universität zu Berlin waren führende deutsche Strafrechtler gefolgt. In Statements, Rede und Gegenrede mit den rund 100 Teilnehmern gingen sie dieser aktuellen Debatte nach.

Suizid an sich ist ja seit über 150 Jahren in Deutschland straffrei. Mit dieser tiefverwurzelten Tradition aber bricht, stellte u a. Prof. Dr. jur. Frank Saliger, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsphilosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen, fest, wer die organisierte Freitodbegleitung durch Sterbehilfevereine unter Strafe stellen will.
Statt neuer Strafvorschriften sollten Rechtssicherheit, Pflege, Palliativmedizin, Hospize und Suizidprävention gefördert, der ärztlich assistierte Suizid ausdrücklich gesetzlich frei gegeben werden.

Viele Gesichtspunkte müssen bedacht werden. So machte Prof. Dr. jur. Torsten Verrel, Prof. an der Universität Bonn und Direktor des Kriminologischen Seminars, deutlich, dass eine Kriminalisierung der organisierten ärztlichen Suizidhilfe keine Suizide verhindere, sondern deren Prophylaxe erschwere. Außerdem drohe ein Missbrauch des Strafrechts zur Durchsetzung von religiösen Anschauungen über die Unverfügbarkeit des Lebens oder zur Absicherung einer (angeblichen) ärztlichen Standesethik.

Die enormen Fortschritte in der medizinischen Technik haben dazu geführt, dass menschliches Leben weit über das früher Mögliche hinaus verlängert werden kann, stellte Prof. Dr. phil. Dr. jur. Eric Hilgendorf, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg, in den Raum. Es gehe doch auch um das Pro und Kontra der widerstreitenden Positionen, vor allem verständlich für Nichtjuristen.

Auf eine eklatante Divergenz zwischen der Meinung der Bevölkerungsmehrheit zur sogenannten „aktiven“ Sterbehilfe und der „öffentlichen Meinung des politischen Apparats“ verwies Prof. Dr. jur. utr. Thomas Fischer, Germanistik-, Jura- und Soziologie-Studium, u. a. Vorsitzender des 2. Strafsenats.

Es bestehe eine gravierende Divergenz zwischen dem Anspruch des Einzelnen auf Selbstbestimmung über den (eigenen) Tod und der Bereitschaft, diese Selbstbestimmung bei anderen Personen anzuerkennen.
Nicht Rationalität, Leid- und Schreckensbeispiele über das Sterben war ein Tenor. Um eine lebensbejahende Diskussion gehe es, um Aufklärung und Sicherheit für Ärzte in solchen Fragen waren die Worte einer anwesenden Schweizer Ärztin, die sich persönlich damit konfrontiert sieht.

Eine Abgeordnete des Bundestages war dankbar für solch eine Veranstaltung, die ihr weitere Klarheit und Argumente gebracht hätte.
Ein Fazit: Es könne kein Allheilmittel geben, keine für alle befriedigenden Lösungen. Auf keinen Fall aber dürfe es zu Verschärfungen im Strafrecht kommen und vor allem keinen Druck durch berufsrechtliche Verbote.

Grundposition der DGHS sei: „Der sterbewillige Patient muss die Wahlfreiheit für alle zulässigen Formen der Sterbehilfe einschließlich des eigenverantwortlichen Suizids mit Unterstützung anderer behalten. … Ein entsprechendes Beratungsangebot trägt dazu bei, Ängste in Bezug auf Sterben und Tod abzubauen und Suizide zu verhindern.“

Und auch das: „Palliativ- und Hospizversorgung müssen ausgebaut werden und für jeden unabhängig von Person, Status und finanziellen Möglichkeiten verfügbar sein.“

Diese Versorgung weiter zu verbessern, hat die Bundesregierung Ende April ein neues Gesetz beschlossen. Demnach werden sich voraussichtlich die Ausgaben von derzeit 400 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro erhöhen. Konkret sollen die Kassen künftig bei Hospizen für Erwachsene 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten tragen, d. h. der Mindestzuschuss von 198 auf 255 Euro pro Tag steigen.

Auch der Ausbau der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung steht im Blick.
PS: Diese Veranstaltung fand mit Unterstützung des Bündnisses für Selbstbestimmung bis zum Lebensende statt. Dazu gehören: Die DGHS e. V., die Giordano-Bruno-Stiftung, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, der Humanistische Verband Deutschlands, die Humanistische Union, der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaftenn, der Bund für Geistesfreiheit Bayern sowie KORSO – Koordinierungsrat säkulärer Organisationen e. V.

Wortmeldungen aus der Ärzteschaft

Übrigens: Eine der jüngsten aktuellen Pressemeldungen der DGHS zur Sterbehilfe hat die Kernaussage: Fast jeder zweite niedergelassene Arzt möchte Suizidhilfe leisten dürfen. Der Einzelne wolle selbst entscheiden, ob sie schwerstkranken unheilbaren Patienten Suizidhilfe leisten – oder nicht, so die von der DGHS in Auftrag gegebene Studie des Nürnberger Marktforschungsinstituts (GFK).

Dass praktizierende Suizidbeihilfe durch den Arzt nicht das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten mindere, darin ist sich jeder dritte befragte Befürworter sicher. Der Großteil der befragten Ärzte, die in Großstädten praktizieren, sieht sogar keine Gefahr darin, dass das Vertrauensverhältnis Schaden nehmen könnte.

Anders als Bundesärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery es Mitte Dezember vor Journalisten im Haus der Berliner Pressekonferenz konstatiert hat, besteht keineswegs eine Einigkeit unter den Ärzten bezüglich der Sterbehilfe.

„Sieben von 17 Landesärztekammern folgen nicht dem Verdikt Montgomerys, dass Ärzte beim Sterben, aber nicht zum Sterben helfen sollen“, betont in diesem Zusammenhang Elke Baezner, DGHS-Präsidentin. „Und das aus gutem Grund. Sie wollen ihre Gewissensfreiheit behalten. Daher setzen wir uns dafür ein, ein Sterbehilfe-Verbotsgesetz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Co. zu verhindern.“

Und auch auf diesen Offenen Brief, (nur wenige Tage vor dem 118. Ärzte-Kongress in der „Ärzte-Zeitung“ veröffentlicht), sei verwiesen, in dem sich 180 deutsche Ärzte für Freitodbegleitung einsetzen und den „autokratischen Führungsstil“ der Bundesärztekammer scharf kritisieren.

Montgomery spreche nicht im Namen der gesamten Ärzteschaft, wenn er behaupte, Freitodbegleitungen seien mit dem ärztlichen Berufsethos unvereinbar. Unvereinbar sei jedoch dessen Äußerung, Suizidbegleitungen könnten gegebenenfalls von „Klempern“ durchgeführt werden. Er habe damit das Anliegen der betroffenen Patienten lächerlich gemacht und dem Ansehen des Arztberufes geschadet“.