Jungstöre nun auf ihrem Weg in Richtung Nordsee

Jungstöre werden ausgesetzt

von Ursula A. Kolbe

Der Stör soll in hiesigen Gewässern wieder heimisch werden. Dieser Urfisch, denn älter als der Dinosaurier, gehört nicht zuletzt wegen seines Kaviars zu den meistbegehrten, aber zugleich auch gefährdeten Speisefischen.

Nachdem sie seit fast einem halben Jahrhundert aus unseren Flüssen wie überhaupt in weiten Teilen Europas bis auf einen geringen Bestand im Südwesten Frankreichs verschwunden waren, sollen sie nun im Brandenburgischen wieder angesiedelt werden. Ein Prozess über Jahrzehnte hinweg, der nur gelingt, sagen die Experten, wenn Besatzmaßnahmen kontinuierlich fortgesetzt werden.

Wie das jüngste Beispiel, als Agrarminister Jörg Vogelsänger, Potsdams OB Jann Jakobs, Jörn Gessner vom Leibnitz-Institut für Gewässerschutz und Binnenfischerei Berlin-Friedrichshagen (IGB) gemeinsam mit Potsdamer Schülern 250 junge Störe in die Havel aussetzten. Sie sind im Leibniz-Institut aufgezogen, aber in Frankreich geboren worden, da es bislang in Deutschland keine geschlechtsreifen Tiere gibt.

Jetzt sind die markierten Fische also auf ihrer Reise in Richtung Elbe und dann in die Nordsee, von der sie nach etwa 15 Jahren zum ersten Mal in ihre neuen Heimatgewässer zum Laichen zurückkehren werden. Als Projektpartner mit an Bord ist auch der Landesfischereiverband Brandenburg. Mit der Markierung ist auch die Bitte an die Fischer verbunden, zufällig gefangene Fische schonend zurückzusetzen und die Fänge zu melden.

Diese Fangdaten wiederum helfen den Wissenschaftlern, den Weg und das Wachstum der Tiere nachzuvollziehen, geben so wichtige Informationen über den Erfolg des Wiedereinbürgerungsprogramms.

Aktuell untersuchen die Forscher vor allem Parameter zur Lebensraumnutzung der Fische, die Auswirkung von Umweltfaktoren und die Identifizierung von Gefährdungspotenzialen. Bis zum Aufbau einer stabilen, sich selbsterhaltenden Population ist es aber noch ein langer Weg, auf dem Wissenschaftler wie auch Angler einen langen Atem brauchen und die jungen Störe vor allem viel Glück auf ihrer langen Reise. Der Artenschutz wird’s ihnen danken.

Schuld an der jetzigen Situation ist einerseits die Überfischung, Stichwort Lieferant für den begehrten Kaviar, aber auch die aufkommende Industrialisierung im 19. Jahrhundert und der zunehmende Bau von Wehren in den Flüssen, die es den Fischen unmöglich machten, an ihre Laichplätze zurückzukehren.

Auch für die jetzt ausgesetzten Jungstöre ist Voraussetzung, dass ihnen für die Reise in Richtung Nordsee ein Weg geebnet wird und an den Wehren Fischbrücken entstehen, damit sie die Hindernisse auch flussaufwärts überwinden können, denn im Gegensatz zum Lachs kann ein Stör schon aufgrund von Größe und Gewicht nicht springen. Das soll bis 2027 geschehen. Derzeit gibt es nur eine geeignete Fischtreppe in der unteren Elbe Geesthacht.

Ich gebe es zu, bisher habe ich auch nicht gewusst, dass der Stör der größte europäische Wanderfisch ist; ein Wanderer zwischen Flüssen, Seen und Meeren – und in Anbetracht seiner Evolutionsgeschichte auch ein Wanderer zwischen den Welten.

Als lebendes Fossil besiedelt er bereits seit 200 Millionen Jahren die Erde. Er kann auf eine Länge von bis zu fünf Metern heranwachsen und ist damit unser größter Süßwasserfisch. Schon über einhundert Jahre alte Tiere wurden nachgewiesen, beeindruckende Lebensalter also.

Die heute bekannten 27 Arten sind fast alle gefährdet oder vom Aussterben bedroht. In vielen Fällen ist das Überleben nur noch durch die Nachzucht in Haltung möglich.

Übrigens soll in Berlin der letzte Stör 1868 an der Kurfürstenbrücke gefangen worden sein. Von Einzelfängen an der unteren Havel wird noch bis in die 1930er Jahre berichtet, ehe Wehranlagen diesem Wanderfisch den Weg versperrten.

Auch dieser Fakt: Für die Wiedereinbürgerung des Störs haben sich Wissenschaftler, Praktiker, Vereine und Behörden in einem bundesweiten Forschungsverbund zusammengeschlossen. Im Zuge der Verbesserung von Wasser- und Gewässerqualität war auch mit Versuchen und Projekten zur Wiederansiedlung des Störs begonnen worden.

Seit Mitte der 1990er Jahre ist am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin-Friedrichshagen ein Laichfischbestand im Aufbau. Die Tiere stammen ursprünglich aus einem Restbestand in der französischen Gironde. 2008 erfolgte der erste Stör-Besatz an der Elbe bei Lenzen. Seitdem wurden 18.000 kleine Störe in die Elbe und ihr Einzugsgebiet besetzt.
Nun braucht es viel ökologischen Sachverstand, Geduld und – sicher auch Glück.