Kind im Brunnen – Deckel erst drauf

Ein alter Ziehbrunnen auf einem Bauernhof

von Rudolf Winterfeldt

Über einen Verkehrsunfall an einem unbeschrankten Bahnübergang machte ich mir Gedanken. Es bewegte mich, welch Leid bei solchen Unfällen entsteht und warum es dazu kommen kann. In dem Bericht über diesen Unfall hieß es, dass der herannahende Zug nicht gesehen und gehört wurde und es deshalb zu dem Zusammenstoß gekommen sei.

Der Kommentar: „Es müssen alle Bahnübergänge mit Schranken versehen werden“. Ein 83-jähriger Geisterfahrer rast auf der A19 frontal in ein Fahrzeug. Kommentar: „Senioren sollen ihren Führerschein abgeben“. Immer wenn das „Kind in den Brunnen“ gefallen ist, versucht man mit untauglichen Mitteln „einen Deckel drauf“ zu machen.

Ich selbst habe meinen Führerschein seit 1952 und 1955 einen selbst verursachten Auffahrunfall gehabt. Seither fahre ich unfallfrei und bin dafür auch schon geehrt worden. Gefahren habe ich PKW, LKW und Bus (mit dem Bus bis 10.000 km im Monat) und viele Jahre auch Einsatzfahrzeuge der Berufsfeuerwehr. Daher behaupte ich, dass ich die Gefahren im Straßenverkehr kenne.

Was nun unbeschrankte Bahnübergänge betrifft, lernte ich einmal, dass man das Andreaskreuz beachten muss, notfalls vor dem Kreuz anzuhalten und sich vor dem Überfahren davon zu überzeugen hat, dass sich kein Zug nähert. Dazu gehört auch, die Seitenscheibe öffnen bzw. das Radio leise zu stellen, um ein Signal des Zuges hören zu können. In der jetzigen STVO sind diese Gebote allerdings nicht mehr enthalten. So hat nun jeder persönlich die Verantwortung zu tragen und sein Verhalten entsprechend einzurichten.

Wie aber sieht es da mit der Eigenverantwortung aus? Oft kommen mir ernsthafte Zweifel, dass eine Vielzahl unserer Menschen sich dieser Verantwortung bewusst ist. Wie oft werden Verkehrszeichen nicht beachtet. Ganz besonders ist das bei Geschwindigkeitsbegrenzungen festzustellen. Fahr ich im Stadtverkehr 50 km/h, bin ich schon ein „Verkehrshindernis“ oder bin zu alt um „richtig“ fahren zu können. Wie fahren Radfahrer im Straßenverkehr?

Oft sogar auf dem Fußweg ohne Rücksicht auf die Fußgänger und dann auch noch mit „Höchstgeschwindigkeit“. Wie steht es mit dem „Sozialen Denken“ und der Gesetzestreue bei unseren Mitbürgern? Es geht wohl immer weiter zurück. Von Rücksichtname gegenüber den älteren Menschen gar nicht zu reden.

Meine Meinung ist, dass hier der Begriff der Demokratie falsch verstanden wird. Demokratie bedeutet ja wohl Volksherrschaft. Viele gehen deshalb davon aus, dass sie ja das Volk sind und somit selbst bestimmen können, was sie dürfen und was nicht. Leider gibt es in dieser Hinsicht eine Reihe schlechter Beispiele bei hochrangigen Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft.

Warum soll nicht auch der „Kleine „ das tun, was die „Großen“ vormachen? Die Gier nach Macht und Geld steuert viele Menschen und dabei bleibt alles andere am Wegesrand liegen. Es liegt mir fern, an dieser Stelle von Anarchie zu sprechen, wäre auch wohl nicht richtig. Aber ein Stück Anomie (Gesellschaftliche Unordnung) ist sicher dabei.

Der Staat ist nicht in vollem Umfang in der Lage, die von ihm erlassenen Gesetze auch durchzusetzen. Vandalismus, Randale und Kriminalität nehmen besorgniserregend zu. Die Aufklärungsquote bei Einbrüchen liegt bei 5 bis 10 %. Die Anzahl der Menschen, die den Staat nicht ernst nehmen steigt, die Wahlbeteiligung sinkt zunehmend und das ist, nach meiner Ansicht, eine Degenerationserscheinung der Demokratie.

Jeder von uns sollte darüber nachdenken, was er selbst tun kann um dieser Entwicklung entgegen zu wirken.
Johann Gottlieb Fichte richtete sich einmal mit diesem Gedicht von Albert Matthai an jeden Deutschen:

Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben,
an deines Volkes Aufersteh’n;
Laß diesen Glauben dir nicht rauben,
trotz allem, was gescheh’n.
Und handeln sollst du so als hinge
von dir und deinem Tun allein
das Schicksal ab der deutschen Dinge
und die Verantwortung wär dein.

Man kann sicher auch für unsere Zeit daraus etwas lernen.