Fünf Namen und eine Geschichte
Bild: Kempen Dettmann
von Kempen Dettmann
Vor kurzem hatte ich eine zufällige Begegnung mit einem Bekannten auf dem Flughafen Frankfurt/Main. Er war auf dem Weg nach Teneriffa, wieder mal Urlaub auf den Kanaren.
„Und wohin geht deine Reise?“, fragte er natürlich.
„Ich fliege zu einer Konferenz der Organisation ‚Nevada-Semei‘ nach Nur-Sultan.”
Nach einigen ungläubigen Blicken musste er aber schließlich eingestehen, dass er weder Nur-Sultan noch die Organisation Nevada – Semei kannte. Dabei ist Nur-Sultan die Hauptstadt eines Staates, die Hauptstadt Kasachstans! So kamen wir vor unserem Abflug in verschiedene Richtungen zu einem sehr interessanten Gespräch mit doch vielen erstaunten Blicken meines Bekannten. Kasachstan ist z.B. siebeneinhalbmal größer als Deutschland. Wusste er nicht. Auch sind aus Kasachstan seinerzeit viele Deutsche wieder nach Deutschland umgesiedelt. Nicht wenige von ihnen wohnen heute auch in Marzahn-Hellersdorf.
Zu einer gewissen Ehrenrettung meines Bekannten: die Hauptstadt Kasachstans heißt erst seit 2019 Nur-Sultan, also erst seit gut einem Jahr. Die Stadt hat seit ihrer Gründung 1830 schon oft ihren Namen geändert, sie ist damit wohl einmalig in der Welt.
Im Norden von Kasachstan gelegen entstand sie als Staniza von Kosaken. Wegen der wichtigen infrastrukturellen Lage verliefen bald wichtige Handelsrouten über diesen Ort, was zu seiner rasanten Vergrößerung führte. Als Akmolinsk erhielt sie 1830 Stadtrecht. Sie war somit unmittelbar mit der Entwicklung und der Erschließung Kasachstans verbunden. 1940 lebten allerdings erst etwa 30 000 Einwohner in der Stadt.
Das war dann auch in den darauffolgenden Dekaden der Fall. Eine besondere Stellung nahm die Erschließung von Neuland Kasachstans in den 1950er und 1960er Jahren ein. Das Neuland (Zelina) sollte zur zweiten Kornkammer der Sowjetunion ausgebaut werden, was über eine landesweite Jugendbewegung zur großen Ansiedlung von Menschen aus allen Landesteilen der Sowjetunion führte. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 1950 bis 1970. Und die Stadt erhielt ihren zweiten neuen Namen als Anerkennung für die Neulanderoberer: Zelinograd.
Diesen Namen trug die Stadt dann 30 Jahre lang. Auch in dieser Zeit wuchs sie rasant. 1990 lebten schon 300 000 Menschen in der Stadt. Sie war sehr geprägt durch den architektonischen Stil der Sowjetzeit. Die komplizierte klimatische Lage machte damals auch noch einen recht unüblichen Baustil notwendig. Alle Kommunikationsleitungen, inklusive der für Heizung und Warmwasser mussten oberirdisch auf Stelzen verlegt werden. Das war schon ein recht eigenartiges Stadtbild. Wohl damals aber notwendig, denn im Winter können die Temperaturen schnell auch mal minus 40 oder gar minus 50 Grad erreichen. Und im Sommer ist es schon mal mit plus 40 glühend heiß. Kontinentalklima eben mit einer flachen Steppenlandschaft um die Stadt herum.
Nachdem Kasachstan wie alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken selbstständig wurde besann man sich auch verstärkt wieder der kasachischen Geschichte des Volkes. Auch kasachische Bezeichnungen wurden wieder mehr eingeführt. So wurde aus Zelinograd dann auch das kasachische Akmola, was so viel wie „helles Grab“ bedeuten soll. So ganz einig ist man sich darüber wohl bis heute noch nicht. Ursächlich soll der weiße Kalkstein der Gegend daran schuld sein. Es gibt aber auch andere Begründungen. Während meiner früheren Besuche in der Stadt war aber immer vom „hellen Grab“ die Rede.
Mit Erringung der Unabhängigkeit nahm Kasachstan unter seinem Präsidenten Nursultan Nasarbajew eine sehr beachtliche wirtschaftliche Entwicklung durch. Mit seinen reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen, den riesigen Kupferminen und…… Ja eigentlich hat Kasachstan alle erdenklichen Rohstoffe, die natürlich zu der starken Wirtschaftskraft beitragen. Die Hauptstadt Almaty als Wirtschafts- und Politikzentrum erlebte einen rasanten Aufschwung, stieß aber an gewisse Grenzen.
So wurde im Jahre 1998 die Hauptstadt von Almaty nach Akmola verlegt. Da man eine Hauptstadt schlecht als „helles Grab“ bezeichnen konnte erhielt sie erneut einen neuen Namen: Astana, was auf kasachisch schlicht und einfach „Hauptstadt“ bedeutet. Diese Verlegung der Hauptstadt zog dann für Astana eine Entwicklung nach sich, die man sicher auch als Neugeburt der Stadt bezeichnen kann. Von den alten Gemäuern rechts des Flusses Ischim, der durch die Stadt fließt, ist fast nichts mehr zu sehen. Links des Ischim entstand praktisch eine neue Stadt mit allen wichtigen Gebäuden für die Regierung und die großen Wirtschaftsunternehmen.
Aber auch für die Bildung mit international anerkannten Universitäten und modernen Wohnvierteln, die in Teilbereichen etwas an unseren Stadtbezirk erinnern – nur höher und moderner. Südkoreanische Architekten haben hier die bei den Einwohnern als „kluge Häuser“ bezeichneten Wohnviertel mit modernster IT-Technik konzipiert. Der bekannte englische Architekt Norman Foster konnte sich hier auch austoben. In manchem erinnert die Hauptstadt heute an Dubai. Das größte Zelt der Welt entstand hier mit Einkaufszentrum, Hotel und Aquapark innendrin. Seit 2019 heißt Astana nun zu Ehren ihres früheren Präsidenten Nur-Sultan. Mit aktuell 1,13 Millionen Einwohnern nimmt sie nach Almaty nun den zweiten Platz ein.
Neben dem Unabhängigkeitspalast entstand ein beeindruckendes Denkmal. In der Nähe der rund 800 km von Nur-Sultan entfernten Stadt Semiplatinsk (heute wieder Semei) wurden zu Sowjetzeiten über Jahrzehnte hinweg die Atombombenversuche durchgeführt bis eine Gesellschaftsbewegung deren Einstellung erwirkte und dafür ein Beispiel gab, dass derartige Versuche auch international geächtet wurden, auch in den USA, wo derartige Versuche größtenteils in Nevada durchgeführt wurden. So entstand dann auch die Organisation „Nevada – Semei“, deren 30. Jahrestag wir in Nur-Sultan nun begehen konnten.
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