Kühlungsborn im Laufe der Zeiten – Urlaubserinnerungen aus Kindertagen und aus jüngster Vergangenheit
Bild: Wolfgang Prietsch
von Christa und Wolfgang Prietsch
Im Jahre 1941 war ich als ein kleiner Junge zum ersten Mal in Kühlungsborn.
Ich erhielt eine Reise nach Kühlungsborn.
Gemeinsam mit vielleicht zehn anderen Eisenbahnerkindern aus Frankfurt (Oder) fuhren wir – natürlich mit der Eisenbahn, nicht wie vielleicht heute üblich mit einem Bus – zunächst bis Bad Doberan, und dann natürlich mit dem Molli bis Kühlungsborn-West.
Wir Kinder trugen jeder ein mit dem Briefkopf der Frankfurter Reichsbahndirektion versehenes Schildchen mit dem eigenen Namen und mit unserem Reiseziel. Begleitet wurde die Gruppe von zwei Mitarbeiterin des damaligen Feriendienstes der Deutschen Reichsbahn.
Die Fahrt mit dem Molli war schon ein tolles Erlebnis für uns Jungen, allerdings waren uns Dampflokomotiven auch von den damaligen Personen-, Eil- und D-Zügen im Gegensatz zu heute durchaus vertraut. Und als Eisenbahnerkinder kannten wir vom Frankfurter Bahnknotenpunkt mit großem Verschiebe- und Personenbahnhof auch die „Flaggschiffe“ der Bahn, wie z. B. die repräsentative Dampflock-Baureihe 01.
Es erstaunte mich damals, dass es in Kühlungsborn – einem, wie ich dachte, doch ganz kleinem Ostseebadeort – mehrere Bahnhöfe gab. Obwohl es mit dem Lesen bei mir damals noch nicht weit her war, buchstabierte ich doch auf den Bahnhofsschildern neben der Ortsangabe „Kühlungsborn“ noch die alten Ortsnamen „Brunshaupten“ oder vielleicht auch „Arendsee“: Der neue Name „Kühlungsborn“ war damals erst vor wenigen Jahren (1938) eingeführt worden.
Nach insgesamt einigen Stunden Fahrt kamen wir in Kühlungsborn-West an. Dann ging es zu Fuß nur einige Meter an der Bahnlinie entlang zum Kindererholungsheim in der Fritz- Reuter-Str.6. Unser Gepäck wurde mit einem Handkarren ins Ferienheim transportiert.
In einem der Schlafräume, in der ersten Etage, wurde mir mein Bett und eine Seite eines Schrankes zugewiesen. Im gleichen Raum schliefen noch vier weitere Jungen.
Nur wenige Erinnerungen habe ich noch an den Ferienaufenthalt.
Es gibt eine Ansichtskarte mit dem handgeschriebenen Datum 25.6.1941. Darauf habe ich meiner Mutter mit noch ungelenker Schrift berichtet, dass wir schon zweimal baden waren.
Wir sind, wenn das Wetter einigermaßen gut war, nach dem gemeinsamen Frühstück zu Fuß durch den Stadtwald in Richtung See gelaufen. Manchmal sind wird aber auch auf der Straße, wahrscheinlich auf der jetzigen Hermannstraße in Kolonne auf dem Fahrdamm zum Strand gegangen.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass es damals im Juni 1941 sehr heiß war. Obwohl wir grundsätzlich mit Sandalen oder leichten Schuhen laufen sollten, hatten wir Jungen in unserem Zimmer beschlossen, barfuß zu gehen. Zumindest eine der Straßen war asphaltiert, ich spüre noch heute die brennenden Fußsohlen (die Sandalen hatten wir „vorsichtshalber“ nicht mitgenommen!).
Am Strand wurden Sandburgen gebaut, Ballspiele waren angesagt und natürlich wurde im Wasser getollt. Die Aufsicht führten zwei oder drei junge Frauen aus dem Heim. Bild 1 (von einer noch vorhandenen Ansichtskarte) zeigt die damalige Strandpromenade im Bereich Ost.
Die Mahlzeiten haben wir immer in einem hölzernen Pavillon links neben dem Ferienheim eingenommen. Dort wurde auch bei schlechtem Wetter gespielt und gesungen. Dieses Holzhäuschen gibt es jetzt nicht mehr.
Die größeren Jungen haben es damals als wohltuend angesehen, dass es im Jacobi – Heim keinen „Dienst“ für uns Jungen gab, außer Hilfstätigkeiten wie Geschirr aufstellen, Betten machen und helfen beim Essen – und Getränke austeilen. Auch beim Laufen auf der Straße ging es leger zu.
Wer von uns schon mindestens 10 Jahre alt war, musste ja zu Hause im Heimatwohnort wenigstens einmal/Woche zum „Dienst“ im Jungvolk absolvieren. Da waren die meisten von uns eingebunden, und da ging es straff militärisch zu, mit lauten Kommandos, strammem marschieren, sehr anstrengenden „Geländespielen“. Die älteren Jungen erzählten immer davon. Ein besonderes Ereignis war für uns das Auftauchen (nicht wörtlich zu verstehen, dazu war der küstennahe Bereich zu wenig tief) eines U- Bootes. Ein älterer Schüler aus unserem Heim hatte einen Fotoapparat mit am Strand, er fotografierte das U- Boot, und wir erwarben alle einen Fotoabzug.
Alles in allem war es in meiner Erinnerung ein sehr schöner Ferienaufenthalt in Kühlungsborn.
Damals ahnte ich noch nicht, dass dieser Reise noch viele weitere Urlaube folgen würden.
In der DDR- Zeit, es war 1988, erhielten wir eine FDGB- Ferienreise nach Röbel/Müritz. Von dort sind wir am 22. September mit dem Trabant zu einem Tagesausflug nach Kühlungsborn gefahren. Es gab in dieser Zeit schon vom Feriendienst für die Urlauber ausgegebene Essenmarken, nach deren Vorlage man auch in einem anderen Ferienheim des FDGB in bestimmten Orten an der Ostseeküste Mittag essen konnte. Nach dem baden und einem Spaziergang entlang der Promenade haben wir im „Miramare“ in der Ostseeallee am dortigen Heimessen teilgenommen. Ein gesichertes Mittagessen war damals schon sehr wichtig, einfach so irgendwo essen zu gehen, war fast unmöglich, wollte man nicht sehr lange darauf warten, „plaziert“ zu werden.
Die damalige Promenade zeichnete sich durch einen sehr schlechten Wegbelag aus, war stark ballig, man musste stets auf den Weg achten, wollte man nicht stolpern.
Und als zwar der damaligen angespannten Material-und Baukapazität geschuldet, aber keineswegs akzeptabel, fielen die Abluftkanäle und Schornsteine an den Außenwänden der Heime negativ ins Auge, auch am Miramare, und sogar an den ebenfalls vom Feriendienst genutzten Villen in Heiligendamm.
Nach unserer Erinnerung (die nun verwendete Mehrzahl -„unsere“- ist jetzt berechtigt, denn diesen Kühlungsborn-Aufenthalt haben wir gemeinsam erlebt) war Strand und Promenade voller Menschen, auch in beiden Ortszentren wimmelte es nur so von Urlaubern mit Kind und Kegel. Die Strandkörbe waren damals noch nicht abgeschlossen, aber man fand kaum einen, der nicht besetzt war. Es wurde jede nur mögliche Unterbringung für die Urlauber genutzt, gab es doch außerhalb der DDR nur sehr beschränkt Urlaubs-Reisemöglichkeiten.
Das Kurhaus am Baltic- Platz war voll in Betrieb, wir haben dort Kaffee und Kuchen genossen, es herrschte ein reger Betrieb. Dieses architektonisch nicht uninteressante Gebäude steht nun bereits seit Jahren still, die Zeit der großen Bälle vor dem 2. Weltkrieg ist zwar endgültig vorbei, aber irgendeine den neuen Bedürfnissen entsprechende Nutzung müsste doch eigentlich zu finden sein.
Im Jahre 1998 wollte ich unbedingt nochmal das Ostseebad wiedersehen, in dem ich 1941 schöne Ferien erlebt habe. Wir haben nach dem Ende der DDR zunächst mal die Möglichkeit genutzt, auch andere Teile Deutschlands und Europas kennen zu lernen.
Während dieses Spätherbst- Urlaubs haben wir Kühlungsborn und Umgebung ausführlich erlebt und erwandert. Die wunderbare Ruhe und der starke Klimareiz zu dieser Jahreszeit war beeindruckend! Bei dieser Reise entstand der Entschluss, jährlich im Spätherbst wieder zu kommen, um lange Küstenwanderungen bei unnachahmlichem Licht zu unternehmen.
Und das machen wir nun schon seit Jahren.
Aber zurück zum Jahre 1998: Wie sah es da in Kühlungsborn aus?
Die Kurpromenade war inzwischen noch desolater geworden (seit Jahren waren keine grundlegenden Sanierungen mehr durchgeführt worden), in der Ostseeallee und anderswo sah man noch viele nicht-renovierte Gebäude, aber doch auch schon einige sanierte Häuser mit frischem Farbanstrich.
Die Baumaßnahmen an der Kurpromenade warfen bereits ihre Schatten (will sagen: ihr Licht) voraus. Das Ostseehotel an der Landungsbrücke und viele inzwischen fest in das Ostseebad integrierte Neubauten standen noch nicht. Aber die Schwimmhalle war im Gegensatz zu heute noch mehrere Jahre in Betrieb, was besonders an Regentagen von den Urlaubern, auch von uns, sehr geschätzt wurde.
Der Wanderweg an der Steilküste nach Heiligendamm war voller Rillen und Vertiefungen, das Heiligendammer Hotelensemble war noch nicht fertiggestellt, aber man konnte noch durch das Wäldchen, dem sogenannten Kleinen Wohld, am aus Spielfilmen bekannten Pavillon vorbei am Hochufer bis auf die (damals noch alte) Kurpromenade laufen. Heute muss man ja entweder über die extra neu gebaute Brücke am Strand oder auf der Straße neben dem (gesperrten) Hotelparkgelände zur Heiligendammer Landungsbrücke laufen.
Im Westen von Kühlungsborn standen noch lange Zeit bis etwa 2008 die damals schon lange verlassenen und inzwischen desolaten Militäranlagen und Gebäude, ein gespenstischer Anblick (siehe dazu auch den Beitrag im Kühlungsborner Jahrbuch 2013, S.65).
In den folgenden Jahren ging es Stück für Stück aufwärts! Die Kurpromenade wurde einschließlich der Schutzmauern zum Meer völlig neu gestaltet, heute ist sie die längste Flaniermeile an der Ostseeküste, für Urlauber und Einheimische eine Glanzstrecke (einmal hörten wir von Kurgästen den Namen “Brighton des Ostens“). Immer wieder hört man lobende Worte über die zahlreichen, Gebühren – freien Toilettenanlagen an der Promenade: Keine Selbstverständlichkeit, wenn man das mit anderen Ostseebädern vergleicht!
Ein von den Urlaubern gern beobachtetes Baugeschehen war der Neubau des Yachthafens. Die Transport- und Bugsiervorgänge mit den tonnenschweren Findlingsblöcken aus Skandinavien faszinierten immer wieder die Zuschauer, besonders auch unseren 5jährigen Enkel, der mit seiner Mutter übers Wochenende zu Besuch kam und in der schönen, durchaus zweckmäßig eingerichteten und zentral liegenden Jugendherberge wohnte. Hafenanlage und dazu gehöriger Promenadenteil mit den Restaurants und Geschäften ist heute ein von den Touristen sehr gern aufgesuchter Bereich des Ostseebades.
Vieles könnte hier erzählt werden, die letzten Vorhaben waren der Um- und Neubau des ehemaligen Krankenhauses an der Ostseeallee zur Appartement- Anlage. Auch unsere „Mittagsstelle“ aus DDR- Zeiten, das Miramare ist inzwischen voll saniert, der „prächtige“ Abluft-/Abgaskanal an der Außenmauer ist verschwunden.
Was machen Urlauber wie wir, wenn sie doch über Jahre immer wieder nach Kühlungsborn kommen, und das im Spätherbst, wo man höchstens noch mit den Füßen in die See eintauchen kann? Solche Menschen wandern!
Wer das nicht wenigstens einmal versucht, weiß nicht, was ihm an wunderbaren Landschaftseindrücken entgeht, hier wo die Trias Wind- Wolken- Wellen bei schon schrägem Spätherbstlicht unnachahmlich ist. Sie lesen schon: Wir kommen ins Schwärmen! Es sind aber ja auch Ostseegedichte hier entstanden, einige finden sich in den Kühlungsborner Jahrbüchern 2013 und 2014. Und bei Gedicht-Lesungen, z. B. in der Kühlungsborner Pfarrscheune, und im Haus Rolle der Kurverwaltung haben einheimische Zuhörer mit sichtlicher Freude das Lob ihrer heimatlichen Landschaft aus fremden Munde aufgenommen.
Wir könnten noch von vielen Wanderwegen berichten, die wir Jahr für Jahr beschreiten:
Außerordentlich reizvoll ist zweifellos der Hochufer-Küstenweg über Heiligendamm, Börgerende (auch hier entsteht ein neues Wohngebiet, dort, wo früher das große FDGB-Ferienheim „Waterkant“ stand),durch den Nienhagener Gespensterwald (Nomen est omen, besonders, wenn es neblig – diesig ist!), am Kap Stoltera vorbei bis zum alten Leuchtturm in Warnemünde (5 ½ Std.-Wanderung).
Sehr zu empfehlen ist auch eine Wanderung über Heiligendamm (immer an der Küste entlang), zur Jemnitzer Schleuse, dann rechts ab über die Straße, auf den Wanderweg entlang des Mühlenfließes durch die Conventer Niederung, genannt „Die Salzen“, dann rechts ab auf dem Fischersteig durch den „großen Wohld“ und entlang des prächtigen Lindenallee nach Bad Doberan (eine Tour etwa 14 km).
Nun aber genug der Reiseerinnerungen. So oft wie möglich wollen wir auch weiterhin in Kühlungsborn Wanderurlaub machen, sofern das gesundheitlich möglich ist, wenn man sich im 86. Lebensjahr befindet.
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