Weitra – Perle und Lebensader im Waldviertel

Weitra: Rathausplatz und Schloss aus der Vogelperspektive

von Ursula A. Kolbe

Für Bierkenner ist dieser Ortsname garantiert ein Begriff – Weitra, die älteste Braustadt Österreichs. Die Bezeichnung geht auf ein Privileg von 1321 zurück, das das Bierbrauen im Umkreis einer Meile um die Stadt verbot.

Seitdem wurde das Brauen zur wirtschaftlichen Lebensader für die Bewohner der Region, deren Klima für Obst- und Weinanbau zu rau war, die aber mit weichem Wasser und böhmischem Hopfen die Braukunst kultivieren konnten. Klimatische Vorzüge, die die Waldviertler zu schätzen und klug einzusetzen wussten.

Die größte Blütezeit erlebte Weitra im 17. Jahrhundert, als es neben dem Städtischen und dem Hofbräuhaus, dem heutigen Brauhotel, weitere 33 bürgerliche Brauhäuser gab. Und das Braurecht war jeweils mit dem Haus (Bürgerhaus mit Braugerechtigkeit) und nicht mit dem Bewohner verbunden.

Neugierig auf diese Perle des Waldviertels geworden, rüsteten wir uns zu einer kleinen Entdeckungstour durch die mittelalterliche Stadt des Ministerialiengeschlechts der Kuenringer, das im 12. Jahrhundert mit der Kolonialisierung des Gebiets um Weitra begann.

Ernest Zederbauer, seines Zeichens Nachtwächter zu Weitra, übrigens der dienstälteste in der „Deutschen Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren“, wartete schon vor dem historischen Rathaus am gleichnamigen Platz auf uns. Zünftig gerüstet mit Hellebarde (auch Nachtwächterspieß genannt), Laterne und Pompadour (für Schlüssel etc.) – und los ging’s.

Es machte Spaß, den lebendigen Erklärungen über die 800jährige historische Altstadt zu folgen, die von einer Wehrmauer umschlossen und ihr Wahrzeichen das weit in die Landschaft ragende Renaissanceschloss ist.

Das Sgraffitohaus – ein unvergängliches Zeugnis klassischer Kultur

Schon die Sicht um den Rathausplatz: Beeindruckend der in städtebaulicher Hinsicht wohl einmalige Anblick seiner Häuser, quasi eine architektonische Zeitreise über verschiedene Zeitepochen hinweg. Stichwort Sgraffitohaus aus der Zeit der Renaissance.

Vor der schönsten Fassade des Hauses am Rathausplatz Nr. 4 bleibt Ernest Zederbauer mit uns stehen. Hier sehen wir Szenen aus der römischen Frühgeschichte nach Titus Livius. Die unterste Bilderreihe zeigt den Mann in seinen Lebensjahrzehnten und vergleicht ihn in jeder Dekade mit einem Tier.

Dieses Haus ist in der Tat ein unvergängliches Zeugnis klassischer Kultur, vermittelt eine beeindruckende Ansicht. Das Haus Nr. 13 zeigt mit einigen personifizierten Tugenden die vermutlich ältesten Sgraffiti. Spärliche Reste, mit einer Venus samt Cupido und Mars, finden sich noch am Haus Nr.48. Auf den einzigen akustischen Spion an einem Wohnhaus machte uns unser Nachtwächter dann am Rathausplatz 11 aufmerksam.

Weiter führt der Weg zum höchsten Punkt der Stadt, dem Renaissanceschloss, das Hadmar II. von Kuenring Anfang des 13. Jahrhunderts im Süden, am höchsten Punkt des stufenförmig abfallenden Granitplateaus anlegen ließ. Wissen muss man dazu, dass die Burgstadt seit ihrer Gründung die militärische, administrative, gerichtliche und kirchliche Funktion im sogenannten „Districtus Witrensis“ besaß sowie zentraler Marktort und Zufluchtsstätte in Kriegszeiten war.

Seit 2006 überdachen vier gigantische Trichterschirme den prächtigen Renaissance Arkadenhof des Schlosses. Diese in Europa außergewöhnliche Konstruktion ist Wetter- und Regenschutz – und in seiner Einzigartigkeit eine Attraktion für sich. Ein Anziehungspunkt für sich ist ebenso das Schlosstheater mit seiner Programmvielfalt.

Schlossmuseum mit 800-jähriger Stadtgeschichte

Im hier beheimateten Schlossmuseum leben mehr als 800 Jahre Stadtgeschichte, mit Exponaten und Kunstwerken sowohl die wechselvolle der Kuenringer und heutigen Hausherren, der Fürstenberger, als auch mit Einblicken ins Waldviertler Handwerk und in die regionale Wirtschaftsgeschichte.

Und natürlich das Braumuseum in den weitläufigen Kellergewölben mit einer Dauerausstellung. Zahlreiche historische Gegenstände und Werkzeuge des Brauhandwerks, aber auch viele gehütete Sammlerschätze aus Privatbesitz und jahrelang zusammengetragene „Bierreliqien“ machen neugierig auf eine jahrhundertealte Bierkultur, überhaupt auf Wissenswertes und Genussvolles rund um Bierspezialitäten der Stadt auf der Weitraer Biertour mit dem Nachtwächter zu Weitra. (Termine und Anmeldungen in der Gästeinformation Weitra, Tel. 02856/2998; info@waldviertel.incoming.at).

Dann spazierten wir an der guterhaltenen Stadtmauer weiter, erfuhren, dass sie,1292 erstmalig erwähnt, vorwiegend aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammt. Sie folgt im Westen der Geländestufe, im Osten bestand ein mit Teichwasser zu füllender Graben. Von den ehemaligen Türmen ist jener bei der „Glockengießerei“ erhalten; ein Turmrest im Westen trägt eine kleine „Aussichtswarte“. Graben und Zwinger im Osten wurden um 1790 aufgelassen.

Unser nächster Anlaufpunkt war die Stube des Auhofes mit ihrem besonderen Juwel – die gotische Balkendecke. Von deren ursprünglich 20 Balken sind noch 16 im Original erhalten, vier sollen einem Brand zum Opfer gefallen sein.
Es werden noch immer wieder neue Entdeckungen gemacht, wie die Anfang der 90er Jahre bei Bauarbeiten in einem der Keller am Rathausplatz: eine in den Fels gehauene Zisterne mit gotischem Rippengewölbe aus der Zeit um 1300, die lange Zeit der Wasserversorgung innerhalb der Stadtmauern diente.

Sehr informativ ist ebenso das Museum Alte Textilfabrik. Hier arbeitete seit 1843 das Waldviertler Textilunternehmen, kann man hier heute Arbeitsalltag und Lebenswelt der Arbeiter- und Fabrikantenfamilien vor und um 1900 ein wenig nachvollziehen.

Apropos älteste Braustadt. Bei einem solchen Rundgang darf natürlich nicht das i-Tüpfelchen fehlen – der Genuss des köstlichen „Gesöffs“.
Schließlich gibt es heute immer noch zwei Brauereien im Ort: Die Bierwerkstatt Weitra vor dem Stadttor und eine der kleinsten Hausbrauereien im Brauhotel am Rathausplatz. Die Brautradition lebt also weiter: Rund 8.000 Hektoliter im Jahr kommen aus der Bierwerkstatt.

Nachtwächter Zederbauer kehrte also mit uns ins Brauhotel ein, wo wir bei einem kleinen Schmaus und Biobier, was mich bei letzterem im ersten Moment schon überraschte, aber durchaus angenehm, und ließen den Abend ausklingen.
Steht aber noch die Frage im Raum, wie alt denn das Bier nun ist und woher es eigentlich kommt, das seit Jahrhunderten einem ganzen Berufsstand seine Existenz und Einkommen gibt.

Nun, Bier ist ja eines der ältesten alkoholischen Getränke überhaupt und der Menschheit vermutlich bekannt, seit im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes vor etwa 10.000 Jahren begonnen wurde, Getreide zu sammeln. Eine zufällige Entdeckung dabei war, dass Getreidebrei, den man einige Tage stehen ließ, zu gären anfing. Etwa gleichzeitig entdeckte man auch die Gärung von Honig (Met) und Fruchtsaft (Wein).

In Mesopotamien und im alten Ägypten war alkoholarmes Bier neben Brot das wichtigste Grundnahrungsmittel. Entsprechend streng waren schon damals die Gesetze zum Schutz der Bevölkerung: Im Codex Hammurabi, dem ältesten Gesetzeswerk der Welt, steht geschrieben: Bierwirtinnen, die beim Herstellen und Ausschenken des Getränks unsaubere Methoden anwenden, sollen ertränkt werden.

Die Griechen und Römer kannten das Bier zwar ebenfalls, zogen aber das Geschenk des Gottes Dionysos, den Wein, allem anderen vor. Kelten und Germanen dagegen sollen dem Alkohol aus dem gekeimten Getreide sehr zugesprochen haben. So wunderten sich in Überlieferungen römische und arabische Geschichtsschreiber über deren enormen Konsum von Met und Bier.