Der Hainich: Wo auch in unseren Weiten Wildnis noch erleb- und entdeckbar ist …

Auf dem Baumkronenpfad

von Ursula A. Kolbe

Meine erste Begegnung in der Welterberegion Wartburg Hainich, die das Städtedreieck Eisenach – Mühlhausen – Bad Langensalza verbindet – mit dem Weltnaturerbe, Nationalpark Hainich am Westrand des Thüringer Beckens, hatte ich im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin – in en miniature. Und war begeistert.

In meinem Messe-Beitrag schrieb ich damals u. a., dass man schon beim Schlendern durch die in der Blumenhalle 9 originalgetreue Nachbildung des naturbelassenen, alten Buchenwaldes im 7.500 großen Nationalpark die natürliche Schönheit erahnen konnte, wo auch in unseren Weiten Wildnis noch erleb- und entdeckbar ist.

Dass hier in dieser Region Weltgeschichte, Kultur und einmalige Natur so nahe beieinander liegen. Oder anders ausgedrückt Natur und Kultur nur einen Wildkatzensprung voneinander entfernt sind.

Kürzlich lernte ich diesen schützenswerten Naturraum in Natura kennen. Der Nationalpark Hainich gehört heute zum „Tafelsilber der deutschen Einheit“, wie der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer so treffend formulierte. Denn mit dem DDR-Ministerratsbeschluss vom 12. September 1990 war das Nationalparkprogramm der DDR mit fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservaten und drei Naturparks vollendet.

Seit 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe zählend, steht der Hainich auf einer Stufe mit dem Grand Canion, der Serengeti oder den Galapagos-Inseln.
Unter dem Motto „Natur Natur sein lassen“, so das Sinnbild aller Nationalparke hierzulande, zieht der „Urwald“ vor allem mit seinem alten Rotbuchenbestand, der das Bild der urwaldartigen Waldbestände prägt, die Besucher an; auch eingereiht in das Ensemble „Buchenwälder der Karpaten und Alte Buchenwälder Deutschlands“.

Überhaupt bilden die wertvollsten Relikte naturbelassener Buchenwälder in Deutschland zusammen mit zehn Buchenurwäldern in den Karpaten der Ukraine und der Slowakei eine gemeinsame UNESCO-Weltnaturerbestätte.

Auf den insgesamt 19 gut beschilderten Pfaden und Rundwanderwegen im Hainich können die jahrhundertealten Buchenwald-Relikte und imposanten Baumveteranen bewundert werden, hat doch im Kern des Nationalparks seit 50 Jahren kein Mensch mehr in die Natur eingegriffen. Und einer der schönsten Wege führt übrigens zur sagenumwobenen tausendjährigen Betteleiche.

Start im Nationalparkzentrum

Revierleiter Jens Wilhelm führte uns im Nationalparkzentrum am Forsthaus Thiemsburg (Wanderherberge und Gasthaus) in diese faszinierende, unberührte Landschaft mit seiner seltenen Pflanzen- und Tierwelt ein.

Er machte uns u. a. darauf aufmerksam, dass viele der bisher erfassten 800 Gefäßpflanzen-, 1.600 Pilz- und Vogelarten zu den für mitteleuropäische Laubwälder typische Arten gehören. Ebenso die anspruchsvollen Waldbewohner wie Wildkatze und Bechstein-Fledermaus, sieben Specht-Arten und stark gefährdete Totholzkäfer.

Allein die farbenprächtigen großen Bestände an Frühblühern erfreuen jedes Mal aufs Neue Augen und Sinne. Ja, dieser „Urwald mitten in Deutschland“ soll für die heutigen und auch die Generationen nach uns immer wieder erlebbar sein. Eine Verpflichtung.

Zentral gelegen, ist der Hainich umgeben von einem kulturellen Umfeld, das mit dem UNESCO-Welterbe Wartburg sowie Städten wie Bad Langensalza, Eisenach oder Mühlhausen Geschichte “ pur“ bietet und auch im Hainich, Werratal und Eichsfeld seine Spuren hinterlassen hat: Burgen und Wasserwege, Kunstvolles und Geschichtliches laden ein zu Ausflügen zwischen Natur und Kultur.

Die Ausstellung hier im Nationalparkzentrum stellt mit ihren interaktiven Präsentationen, Filmvorführungen und Modellen das Leben im und am Boden sowie die Kreisläufe der Natur dar. Ob der Kurzfilm über den „heimlichen“ Star, die Wildkatze, der Tresor zum Wert der Natur oder die verschiedensten Anzeigetafeln, sie alle wollen zum Nachdenken anregen und nachhaltiges Handeln fördern. Regen Phantasie und Naturverständnis an.

Phantastisches Gefühl auf dem Baumkronenpfad

Von der Ausstellung aus sind es nur noch wenige Schritte bis zum Baumkronenpfad, wo uns Jens Wilhelm in 24 Metern Höhe durch die Baumkronen führte, ein phantastisches Gefühl vermittelte und vor allem an den Erlebnisstationen diesen vielfältigsten Lebensraum der Erde nahe brachte; die Kleinsäuger, Vögel, Käfer, Spinnen oder Schmetterlinge.

Auch über kleine Hängebrücken konnte man gehen, um das Schwingen der Äste in den Baumkronen nachzuvollziehen. Das wollten natürlich viele selbst probieren.
Ebenso erreicht man mit dem Lift den Baumkronenpfad, von besonderem Interesse bestimmt für Rollstuhlfahrer oder Besucher mit Kinderwagen. Den Turm allerdings mit Ausblick in 40 Metern Höhe muss man über Treppen „erklimmen“. Unvergesslich dann die Sicht über den gesamten Hainich und das Thüringer Becken.

Auf dem Wildkatzenpfad zum „Hainichblick“

Ranger Dietrich Reich wartete schon vor unserem Quartier, dem Hotel „Zum Herrenhaus“ im Wildkatzendorf Hütscheroda; ein im Jahre 1860 von den Herren von Wangenheim erbautes Herrenhaus, das auf dem Gewölbe einer Schäferei steht, die bereits aus dem 13. Jahrhundert stammt.

Schuhmäßig gut gerüstet, machten wir uns auf zu unserer mehrstündigen Wandertour und auf dem vielzitierten Wildkatzenpfad sozusagen den Spuren dieses scheuen Tieres nach.

Dietrich Reich machte uns immer wieder auf die bunt blühende Pflanzenwelt entlang des Weges aufmerksam, auf die Witwenblume z. B., das Johannes- und Fuchskraut oder die Waldhyazinthe. Ich musste mir ehrlicherweise mein Nichterkennen mancher Arten eingestehen.

An der „Dicken Eiche“ vorbei ging es dann hinauf zur Aussichtsplattform „Hainickblick“, auch „Generalsblick“ genannt. Hier nämlich, auf einer Anhöhe von knapp 450 Metern, befand sich ein Beobachtungspunkt, der schon von Offizieren der Wehrmacht und später der Roten Armee genutzt wurde, um die Manöver auf dem riesigen, knapp 600 ha großen Truppenübungsplatz Kindel , ein Gebiet zwischen Bad Langensalza und Eisenach einnehmend, zu verfolgen. Geschichte heute.

Die Jahrzehnte im Schutz eines militärischen Sperrgebietes haben ihre Spuren hinterlassen. Durch die Nichtnutzung zu Forstzwecken kam es zu einer Renaturierung der besonderen Art. Auf ehemals militärisch genutzten Flächen findet heute im Nationalpark ein beeindruckender Wiederbewaldungsprozess statt.
Doch noch gibt es Sperrgebiete, auch wir sind daran vorbei gekommen, wo Experten die Munitionsreste behutsam entfernen müssen, um nicht noch stärker in die Natur einzugreifen.

Die Jungwaldbestände im Kindel, kaum älter als 25 Jahre, zeugen vom Aufbruch. Mit den Jahren soll der Bestand dem alten Hainich immer ähnlicher werden. Doch bis dahin – dem echten Ur-Buchenwald, so sagen die Experten – werden wenigstens 100 Jahre vergehen.

Den herrlichen „Generalsblick“ auf der Aussichtsplattform mit Blick über den Hainich bis zum Thüringer Wald vor Augen, zieht dann auch die kleine Freiluftausstellung vor dem Turm die Aufmerksamkeit auf sich.
Auf Bildern kann man die ganze Entwicklung des Waldes seit den 1990er Jahren nachvollziehen. Seit 1997 kann er nun völlig verschont von menschlichen Eingriffen frei zu einem Urwald in der Mitte Europas heranwachsen; kann hier im wahrsten Sinne des Wortes die Natur Natur sein.

Im Wildkatzendorf Hütscheroda

In freier Wildbahn sind die scheuen Wildkatzen ja kaum zu sehen, bestätigt uns Ranger Reich, und der kennt schließlich sein Revier wie seine Westentasche. Ebenso weiß Tierpfleger Jens Baway hier in „seinem Revier“, im Wildkatzen-Schaugehege in Hütscheroda, quasi direkt am Nationalpark gelegen, alles über seine Lieblinge.

Es war einfach eine Freude, die kleinen Jäger beim Fressen zu beobachten, beim Toben durch die naturnahen Gehege, beim Sonnen. Vor allem die Kinder kamen aus dem Staunen nicht heraus, rannten immer wieder von einem Gehege zum anderen. Auch eine Erweiterung sei angedacht, so Baway.

In der nahen Wildkatzenscheune, dem Informationszentrum, rundet sich für den Besucher viel Wissenswertes über die scheuen Tiere ab. Als besonders anspruchsvolle und seltene Art gelten sie als ein Symboltier für die notwendige Vernetzung von Lebensräumen auch anderer bedrohter Tier- und Pflanzenarten.

Wenn jetzt die Herbst- und Wintertage locken…

Ein Besuch im Hainich lohnt sich natürlich zu jeder Jahreszeit. Unvergessliche Naturerlebnisse halten jetzt auch die Herbst- und Wintertage bereit. So kann man an Ranger- Führungen und Wanderungen teilnehmen. Natürlich auch allein wandern.

Der November z. B. hat Themen wie „Pilze des „Winters“, „Herbstzauber im Hainich“ (eine Fackelwanderung), „Streifzug im Revier der Wildkatze“, „Der Wald kehrt zurück“ (Wanderung über die Wiederbewaldungsflächen des Truppenübungsplatzes) „Baumbestimmung im Winter“ oder „Kräutergeschenke für die Weihnachtszeit“ (eine Kräuterwerkstatt für Groß und Klein) auf dem Programm.
Im Dezember laden u. a. weihnachtliche Herbstbasteleien, Adventswanderungen ein. Bei der Wintersonnenwende stehen das germanische Brauchtum, Geschichten und das Mittwinterfeuer im Blick.

Bei Frau Weiß, habe ich erfahren, kann man auch eine „besondere“ Führung buchen oder in der urigen Hainichbude einkehren…
Auf jeden Fall sollte man sich bei wechselhaftem Wetter kurz vor geplanten Besuchen auf dem Baumkronenpfad (ob er auch in frostigen Tagen begehbar ist) und im Wildkatzendorf über Termine und aktuelle Öffnungszeiten informieren.

„Quälen“ Sie das Internet. Sie finden ein Füllhorn interessanter Programme: www.Nationalpark-Hainich.de; Baumkronenpfad: Mail: info@reko-uh.de

Wo der Mittelpunkt Deutschlands ist …

Die Gelehrten streiten sich ja noch, aber im Thüringischen ist man sich längst sicher: Der Mittelpunkt Deutschlands liegt im kleinen Niederdorla, Gemeinde Vogtei im Unstrut-Hainich-Kreis. Also fast in Nachbarschaft des Nationalparks Hainich. Bürgermeister Eberhard Schill begrüßte uns am großen Mittelpunktstein mit der gemeißelten Inschrift: NIEDERDORLA Mittelpunkt Deutschlands.

Gleich daneben die prächtige Kaiserlinde (Tilia pallida), von den Einwohnern am 12. Februar 1991 gepflanzt.
Im nur wenige Meter entfernten bekannten Opfermoor erzählt eine altgermanische Siedlung vom Leben lange vor unserer Zeit, eine Kultstätte, gab uns Bürgermeister Schill als ein weiteres markantes Wahrzeichen des Ortes mit auf den Weg.

Mit dem Kult-Trabi durch die Welterberegion

Die beiden Trabi-Fans Roland Frey, ehemals Mitglied der Bürgerinitiative „Rettet den Hainich“ zum Schutz ihrer unmittelbaren Natur, und Herbert Hönel vom „Trabiparadies“ in Weberstedt am Tor zum Hainich ließen es sich nicht nehmen, uns zu einer 26 PS-„rasanten“ Nostalgiefahrt zum Nationalparkzentrum am Forsthaus Thiemsburg einzuladen.

Noch heute begeistern diese Unikate – wir nannten sie, je nachdem, liebevoll oder auch spöttisch, die Rennpappe – ihre Fans. Mit phantasievollen Umbauten wie solchen mit vier Achsen und bis zu 10 Metern Länge.
Wer selbst eine solche Nostalgie-Tour durch die Welterberegion machen will, kann einen Trabant-Kübel, 601er Limousine oder einen Trabant-Cabrio im „Trabiparadies“ ausleihen.

Von November 1957 bis zum 30. April 1991 sind übrigens exakt 3.096.099 „Pappen“ oder wie vom „Handelsblatt“ als „Volkswagen der DDR“ tituliert in Zwickau vom Band gelaufen. Der Mythos lebt weiter! Auch am Rande des Nationalparks Hainich.