Weihnachten am Meer - 2014

Ein buntes Haus am Hafen

von Waltraud Käß

Weihnachten ist natürlich schon lange vorüber, wir freuen uns inzwischen auf den Frühling, aber der Rückblick auf positive Erlebnisse weckt vielleicht den Wunsch, sich wieder neue zu organisieren. Wenn ich an diese Tage und ihre kulinarischen Genüsse im vergangenen Jahr denke, dann kommt mir der Satz in den Sinn: „Es ist nichts schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen“.

Menschen, die alleine leben, empfinden ihre Einsamkeit vor den Feiertagen besonders lästig und entfliehen ihr gerne. Die Reiseveranstalter haben sich mit einem abwechslungsreichen Angebot von Reisen auf diese Gruppe eingestellt.

So machte sich kurz vor Weihnachten eine muntere Rentnerschar vom Ostbahnhof aus auf den Weg nach Boltenhagen. Weihnachten an der Ostsee – das sollte ein besonderes Erlebnis werden. Erster Haltepunkt war der Zentrale Busbahnhof (ZOB) in Berlin, an dem die restlichen Gäste zustiegen, so dass sich 42 Pensionäre auf die Reise machten.

Damit floss wieder ein großer Teil der Renten in den Geldkreislauf zurück, eine nicht zu unterschätzende Größe in der Konsumtion. Am ZOB herrschte Hochbetrieb. Fern- und Linienbusse und Busse der Reiseveranstalter wechselten in rascher Folge einander ab. Wie einige Tage später zu lesen war, waren es die verkehrsreichsten Tage des Jahres 2014 für den Bahnhof.

Zwischen dem 23. und 28. Dezember, das war auch unser Reisezeitraum, fanden insgesamt 3911 An- und Abfahrten statt, im ganzen Jahr 2014 waren es 175 000 An- und Abfahrten. Diesem Andrang will man nun mit weiteren Haltepunkten Rechnung tragen.

Ein 4-Sterne-Hotel war in Boltenhagen gebucht und versprach alle Annehmlichkeiten. Einschließlich Schwimmbad und Sauna auf dem Dach, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf die Ostsee hatte, konnten alle Einrichtungen genutzt werden. Doch zunächst gab es einen Abstecher nach Lübeck, der Stadt des Marzipans.

Eine Stadtführung war geplant, konnte aber nur sehr verkürzt durchgeführt werden. Schon auf der Hinfahrt spürten wir es, das große Regen- und Sturmgebiet über der Ostsee. In der Stadt lagen überall an den Straßenrändern beschädigte Schirme, es machte gar keinen Sinn, einen solchen aufzuspannen.

Nass und sturmgepeitscht hingen den Damen die frisch gewellten Weihnachtsfrisuren ins Gesicht. Die Verkäufer auf dem Weihnachtsmarkt standen in großen Pfützen, trotzdem hielten sie genau wie wir tapfer durch.

Nach der Besichtigung des Rathauses mit seinen durchlöcherten Giebelchen und dem Buddenbrooks-Haus, in dem Thomas Mann geboren wurde, wollten alle nur noch ins Warme. Die im Cafe „Marzipanspeicher“ servierte, wunderbare Marzipantorte, machte der Marzipanstadt alle Ehre. Hosen, Jacken und Haare konnten ein wenig trocknen. Doch das Sturm- und Regengebiet sollte uns noch bis zum 2. Feiertag begleiten.

Boltenhagen – schon zu DDR-Zeiten ein beliebtes Urlaubsparadies, ist auch in der Gegenwart sehr gefragt. Es liegt so im Dreieck zwischen Wismar, Lübeck und Travemünde. Wer nach Travemünde reisen will, tut das vielleicht durch den so genannten Klützer Winkel, eine sehr fruchtbare Landschaft, und setzt dann mit der Fähre nach Travemünde über.

Die Einwohnerzahl Boltenhagens beträgt ca. 2400 Menschen, in den Sommermonaten werden es 30 000 mehr. Hotels und weitere kleine Restaurants haben sich auf diesen Ansturm eingestellt. Am langen und breiten Sandstrand fanden sich allerdings während der Feiertage nicht so viele Spaziergänger ein.

Im Reiseprogramm waren Ausflüge zum Schloss Schwerin, nach Wismar und zum Schloss Kalkhorst eingeplant. Letztgenanntes Haus war uns allen unbekannt, doch es stellte sich heraus, dass es eine interessante, wechselvolle Geschichte hat. Es liegt im Klützer Winkel inmitten eines großen Parks, welcher etwa zwischen 1867 – 1889 nach dem Vorbild englischer Landschaftsparks angelegt wurde.

Bemerkenswert ist das dortige Arboretum, in dem sich u.a. Riesenmammut, Atlas-Zeder, Gingko, verschiedene Zypressen- und Lindenarten sowie Douglasien befinden.

Dorf und Gut, welche auch dem Schloss den Namen gaben, waren bereits im Jahre 1304 im Besitz der Ritter von Both und blieben es bis zum Jahre 1849. Ihre Rechtsnachfolger war die Familie von Biel. 1853 wurde der Grundstein für das Schloss gelegt. Im Jahre 1930 starb der letzte adlige Sproß Röttger von Biel bei einem Jagdunfall.

1933 wurde das Schloss Stützpunkt der NSDAP, wurde 1935 zu einem Schulungs- und Tagungsheim umgebaut, danach als „Reichsführerschule I des VDA“ u.a. auch als Sommerlager der Hitlerjugend und des BDM genutzt.

Im Zuge der Bodenreform wurde das Schloss 1945 enteignet, geeignet schien es für die weitere Nutzung als Typhus-Krankenhaus und später als TBC-Heilstätte, weit verbreitete Krankheiten nach dem 2. Weltkrieg. Nach 1966 wurde es für viele Jahre als psychiatrische Einrichtung des Kreiskrankenhauses Grevesmühlen betrieben.

Seit 1999 wird es in privater Hand umfangreich saniert und instand gesetzt. Einige Räumlichkeiten des Schlosses werden heute für Konzerte, Vorträge oder auch Trauungen genutzt. Unter” www.schloss-kalkhorst.de kann man weitere Einzelheiten über Geschichte, Architektur, Besitzverhältnisse usw. nachlesen.

Der Stadtrundgang durch Wismars Innenstadt dauerte 1,5 Stunden bei -4° Celsius. Am Ausgangspunkt der Führung standen 20 Reisende. Am Endpunkt kamen vier sehr durchgefrorene Teilnehmer an, der Rest hatte Schutz und Wärme in den am Wege liegenden Cafe’s und Restaurants gesucht. Es fiel auf, dass die alten Hansehäuser inzwischen sehr gut restauriert sind, an einigen Kirchen wird weiter gearbeitet.

Nicht fehlen durfte in der Stadtführung der Drehort der im ZDF laufenden Vorabendserie „SOKO Wismar“. Sie ist regelmäßig am Mittwoch zu sehen. Ein Schild mit der Aufschrift POLIZEI an der Einfahrt eines Klosterhofes angebracht, und schon denkt der Fernsehzuschauer, dass das wirklich die Polizeidienststelle von Wismar ist. Aber weit gefehlt. Es ist der Eingang zu einem ehemaligen Kloster. So kann man die Zuschauer hinters Licht führen.

Unter den Hotelgästen in Boltenhagen hatten einige Unentwegte einen einsamen Schwan am Ende des Sandstrandes erspäht, das sprach sich schnell herum. Und so sah man einige Gäste trotz des schlechten Wetters mit Brötchen und Brot zum Strand laufen, um den Schwan zu füttern.

Einen Namen hatte man ihm zwischenzeitlich auch gegeben. Ein Scherzbold hatte eine beschriftete Pappe, auf der in großen Buchstaben RUDI stand, mit einem Stock im Sand verankert. Als am 2. Weihnachtsfeiertag wunderschönes Wetter zum Strandspaziergang lockte, führte der Weg natürlich auch zu Rudi.

Aber der war nicht mehr alleine. Es hatte sich wohl unter den Schwänen herumgeschnattert, dass man an diesem Platz Futter bekommt. Und so bevölkerte eine ganz Schar von „Rudi’s“ den Strand von Boltenhagen.

Die Mitarbeiter des Hotels taten alles, um den Gästen ein schönes Fest zu bereiten. Eine Weihnachtsfeier mit Chor, dem Weihnachtsmann und der „Himmels-Großmutter“ stimmten alle Gäste auf die Feiertage ein.

Doch alles Schöne geht einmal zu Ende. Als unsere Reisegruppe abreiste, kamen schon die ersten Silvestergäste im Hotel an. Gut so, das sichert wenigstens die Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Diese Region lebt nun mal vom Tourismus.