Begegnung mit Kaiser Barbarossa

Palast mit Reiterstandbild

Palst mit Reiterstandbild

von Waltraud Käß

„Es war einmal ein Kaiser, der zog damals vor uralten Zeiten ins Heilige Land, um reiche Beute zu machen. Er und sein Gefolge wurden verzaubert und dazu verdammt, in einer Höhle des Kyffhäusers am Rande des Harzes zu leben. Sein Bart ist sehr lang, durch den steinernen Tisch gewachsen, an dem er sitzt. Alle hundert Jahre wird der Kaiser wach, dann schickt er einen Zwerg hinaus, um zu schauen, ob die Raben noch um den Berg fliegen. Wenn sie nicht mehr fliegen, kommt er aus dem Berg und errichtet wieder sein Reich.”

Wenn ich als Kind diese Sage hörte oder las, lief mir immer ein Schauer den Rücken hinunter.

Nun stand ich ihm im Jahre 2014 leibhaftig gegenüber, stand vor dem großen Wandbild des Malers Hermann Wislicenus aus dem Bilderzyklus im großen Saal der Kaiserpfalz in Goslar. Ich konnte mich einer gewissen Rührung und der Erinnerung an diese Sage aus meiner Kindheit nicht erwehren.

Obwohl die Wahrheit eine andere war: Der deutsche Kaiser
Friedrich I., genannt Barbarossa, kam bei seinem dritten Kreuzzug im Jahre 1190 nicht etwa im Kampf ums Leben, nein, sondern auf sehr tragische Weise, er ertrank. Diese Szenen sind im Bilderzyklus festgehalten.

Nach ihm zerbrach das deutsche Kaiserreich nach hundertjähriger Blütezeit mit dem Tod des letzten Stauffenkaisers Friedrich II. im Jahre 1250 in viele Kleinstaaten. Die Sage soll wohl die Sehnsucht des Volkes nach einem einheitlichen Staat widerspiegeln.

Wer am Bahnhof der Stadt Goslar aus dem Zug steigt, kann nicht erkennen, dass diese Stadt, insbesondere ihre Altstadt, und der sie überragende Rammelsberg mit dem stillgelegten Erzbergwerk im Jahre 1992 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde.

Das erschließt sich erst, wenn man sich durch die engen, zum Teil noch mit Kopfsteinpflaster belegten Straßen, dem Mittelpunkt der Stadt, dem Marktplatz nähert. Rechts und links sind die Straßen von sehr gut sanierten und geschmückten Fachwerkhäusern flankiert.

Dazwischen sieht der Tourist viele größere und kleinere Kirchtürme, die ihm auch den Weg ins Innere der Stadt weisen. Um 1500 herum sollen sich in der Stadt und um die Stadt herum 45 Kirchen und Klöster befunden haben, ein Hinweis darauf, dass auch der Klerus seinen Anteil am Reichtum bekam.

Der Besucher begegnet großen Patrizierhäusern, um 1500 erbaut, die vom einstigen Reichtum der Stadt zeugen und kleineren, z.T. geschieferten Häusern, am Rande der Stadt, die zu den Arbeitersiedlungen der Bergleute gehörten, die diesen Reichtum durch ihrer Hände Arbeit schufen. Sie waren sozusagen die Bankiers der damaligen Herrscher, die aus dem Rammelsberg, als „Kupferberg Europas”, das kostbare Erz bargen und damit den Reichtum der Stadt Goslar begründeten.

Heute ist dieses Bergwerk, welches erst im Jahre 1988 stillgelegt wurde, ein Bergbaumuseum, in dem der Besucher Spuren der Arbeit aus 3000 Jahren Bergwerksgeschichte sehen kann, die sichtbar erhalten geblieben sind.

Goslar wurde im 2. Weltkrieg von keiner Bombe getroffen, so dass die alten Strukturen und die Bebauung der Stadt aus der Zeit des Mittelalters sehr gut erhalten geblieben sind. Goslar liegt im Harzraum, einem Kreuzungspunkt der mittelalterlichen Naturstraßen, die von Skandinavien nach Italien, vom Frankenland ins Slawenland führten.

Jäger und Sammler durchzogen schon sehr früh das Bergland, wurden zu Bauern, zu Bergleuten, wurden sesshaft, bauten eine Kirche, gründeten eine Siedlung, in diesem Falle an einem Flüsschen mit dem Namen „Gose”. Dann kam der Goldrausch. Die Erschließung der Erzlager, auch Silber wurde gewonnen, schwemmte ganze Völkerscharen in diese Siedlung, die sich sukzessive vergrößerte.

Es dauerte nur Jahrzehnte, bis Goslar als größte Stadt mit sechs Pfarrbezirken außerhalb des untergegangenen Römerreiches bekannt war. Es wurden Gesetze und Ordnungen erlassen, die weithin im Land Vorbild wurden.

Kaiser und Könige fühlten sich zunehmend von dieser reichen Stadt angezogen und residierten immer häufiger in der Goslarer Pfalz. Die Pfalzen gab es häufiger im Land, denn sie waren als Unterkünfte für die Kaiser und Könige gedacht. Die Goslarer „Kaiserpfalz” nun wurde prächtig ausgebaut, Reichstage wurden in ihr abgehalten.

Die Stadt wurde durch ein „Kirchenkreuz” gegliedert. Auf den Randbergen rundum befanden sich Kirchen und Klöster. Auf einer leichten Anhöhe erhebt sich dieser „Kaiserpalast” weithin sichtbar, im Rücken die Harzer Berge. Beeindruckend ist der große Saal, die so genannte „aula regis”, die von 67 Wandgemälden geschmückt wird. Verständlich, dass die raumklimatischen Bedingungen nicht gerade günstig sind, wenn sich Tausende von Menschen jährlich durch diesen Saal bewegen.

Den Mittelpunkt der Stadt bildet der Marktplatz. An ihm befindet sich z.B. an einer Seite die 1494 erbaute und reich verzierte „Worth”, einst das Gildehaus der Fernhandelskaufleute. Zu den Verzierungen gehört eine Skulptur, das „Dukatenmännchen”, oder wie die Goslarer sagen, das „Dukatenscheißerle”, welches auf drastische Weise zeigt, welche Strafe demjenigen droht, der seine Schulden in Dukaten nicht bezahlt.

Heute ist in diesem Haus ein Sterne-Hotel untergebracht. Dicht dabei befindet sich das Rathaus mit dem hier hervor zu hebenden „Huldigungssaal”. Dieser Saal, der einstige Sitzungssaal der Stadtväter, ist heute nur noch aus restauratorischen Gründen hinter Glas zu besichtigen. Decke und Wände sind reich vertäfelt und bebildert mit theologischen Darstellungen.

Allerdings ist es möglich, in einer Media-Show den ganzen Komplex sowie die einzelnen Bilder zu besichtigen.

Ganz mit Schiefer bedeckt, präsentiert sich das Haus gegenüber. Im Jahre 1968 kamen Knappenabordnungen aus ganz Europa nach Goslar, um in einem großen Bergdankfest die 1000-jährige Betriebsdauer des Bergwerks zu feiern.

Aus diesem Anlass wurde am Giebel des Hauses ein Glockenspiel angebracht, gleichzeitig gibt es im Giebel einen Rundlauf, der die Technikgeschichte des Erzabbaus in vier Gruppen darstellt. Alle vier Stunden füllt sich der Marktplatz mit unzähligen Touristen, die das Glockenspiel und weitere Melodien hören wollen.

Ein Kenner alter Volkslieder kann sofort die Lieder erkennen wie z.B. „Ein Jäger aus Kurpfalz, der reitet durch den grünen Wald…”, oder „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der Hand…”. Manchmal ist das Pferd auch müde, welches da oben tagein, tagaus im Rundlauf traben muss, und es bleibt einfach stehen.

Dass das öfter vorkommt, versicherte mir glaubhaft die Bedienung eines der vielen kleinen Cafe’s, die sich rund um den Marktplatz aufgebaut haben, und deren Tische und Stühle zu jeder Zeit sehr begehrt sind.

Wäre noch das „Stadtbähnle” zu erwähnen. Eine halbe Stunde Fahrzeit – dann sind die wichtigsten Gebäude angefahren, und vom Stadtbilderklärer hat man manch Wissenswertes erfahren. Der Tourist, der jede Kirche, jedes Museum, jede kleine, verwinkelte Straße, jedes prächtige Patrizierhaus in Augenschein nehmen möchte, braucht eine Menge Zeit.

Goslar ist wirklich eine Reise wert. Die Kaiserpfalz hatte ich mir als letzten Höhepunkt aufgehoben. Und ich habe mich dabei von Kaiser Barbarossa verabschiedet, der mit seinem weißen Bart gerade vor die Höhle tritt, denn sein Zwerg hat ihm geflüstert, dass die Raben gerade im Abflug begriffen sind. Welches Reich wird er wohl errichten?