Der erste Schnee
Bild: Hans-Joachim Köhn/pixelio.de
von Tina Gonschorek
Als ich am Morgen aus dem Fenster blicke sehe ich, dass es über Nacht heftig geschneit hat. Der erste Schnee in diesem Jahr!
Zum einen freue ich mich natürlich darüber, dass alles so schön frisch und sauber aussieht. Aber der Gedanke daran, jetzt mein Auto suchen und ausgraben zu müssen stimmt mich dann doch etwas verdrießlich.
Wobei mich mein nächster Gedanke schon wieder versöhnt, denn mir fällt ein, dass ja Samstag ist und ich frei habe. Wie gesagt es ist noch sehr früh am Morgen!
Nach einem ausgedehnten gemütlichen Frühstück beschließe ich die Gelegenheit zu einem Spaziergang im Schnee zu nutzen. In der Nähe meiner Wohnung befindet sich ein hübscher kleiner Park, den ich besuchen möchte. Die Sonne geht auf und überzieht die kleinen flauschigen Wölkchen mit einem eigentümlichen Farbton, der zwischen lila und zartem grau variiert. Was für ein traumhafter Anblick.
Der Park sieht aus wie ein verzauberter Märchenwald. Die Bäume sind von dicken Schneewehen bedeckt. Erstaunlicherweise bin ich der erste Mensch, der seine Spuren im Schnee hinterlässt. Nur einige Tiere sind früher aufgestanden und durch den tiefen Schnee gelaufen. Ich entdecke die leichten Abdrücke von Vögeln, die Pfotenspuren einer Katze und auch einige, die ich nicht identifizieren kann.
Auf einem hohen Baum sitzt eine einsame Krähe, die einen krächzenden, irgendwie so traurig klingenden Schrei ausstößt, dass es mit eiskalt den Rücken hinunterläuft und ich schnell weitergehe. Langsam steigt die Sonne höher und steht als blasse Scheibe am Winterhimmel.
Sie scheint auf den Schnee und die Kristalle glitzern und schimmern wie die schönsten Edelsteine. Eine ganze Weile bleibe ich fasziniert stehen, um mich daran zu erfreuen, bis mich meine frierenden Füße daran erinnern, wie kalt es ist.
Mein Weg führt mich durch schneebedeckte Koniferen und Sträucher, die wie in der Bewegung erstarrte Zwerge mit Zipfelmützen aussehen zu einem kleinen See. Er ist bis auf den Zufluss gefroren und in dem noch offenen Bereich tummeln sich viele Enten.
Das Eis knackt in der Kälte, aber es lockt mich gar nicht den See zu betreten. Später werden wieder die Schlittschuhläufer ihre Runden drehen. Ich selbst habe noch nie im Leben auf den schmalen blitzenden Kufen gestanden und kann auch gern für den Rest desselben darauf verzichten und bleibe lieber Zuschauer.
Als ich langsam weitergehe fühle ich mich plötzlich beobachtet. Ich drehe mich um und sehe, dass die einsame Krähe mir gefolgt ist und mich mit zur Seite geneigtem Kopf ansieht. Da ich ja ein höflicher Mensch bin, wünsche ich ihr einen guten Morgen und amüsiere mich königlich, als sie mir mit einem Krächzen antwortet.
So plaudern wir eine ganze Weile miteinander, obwohl ich nicht wirklich davon überzeugt bin, dass wir uns auch richtig verstehen! Schließlich scheint alles gesagt zu sein und sie fliegt davon. Wahrscheinlich um mit ihresgleichen über die merkwürdige Spezies Mensch zu tratschen.
Die Enten kommen in meine Richtung gelaufen, in der Hoffnung etwas Leckeres zu ergattern. Natürlich habe ich an das schnatternde Federvieh gedacht und ein wenig Brot eingepackt, mit dem ich es jetzt verwöhnen kann. Nachdem alles verputzt ist, watscheln sie wieder zum See und stürzen sich mutig zum Baden in das eisige Gewässer. Was bin ich froh, keine Ente zu sein!
Ein schmaler Weg führt mich jetzt durch eng stehende Bäume. Plötzlich sehe ich eine blitzschnelle Bewegung über mir. Ein rotbraunes Etwas springt durch die Zweige und im gleichen Moment bekomme ich eine kräftige Ladung Schnee auf den Kopf und in den Nacken.
Vor Schreck stoße ich einen spitzen Schrei aus, der mit einem Keckern beantwortet wird. Das Eichhörnchen verharrt auf seinem Baum und wirft mir scheinbar belustigte Blicke zu. Da es so niedlich aussieht, kann ich ihm einfach nicht böse sein. Leise seufzend schüttle ich mir den Schnee aus den Haaren und gehe weiter. Meine Runde ist nun fast beendet. So langsam bin ich richtig durchgefroren und sehne mich nach meiner warmen Wohnung.
Als ich später, angetan mit dicken kuscheligen Socken, an meinem heißen Kakao nippe, den ich wegen der Kälte mit Eierlikör veredelt habe, denke ich noch mal an den Winterspaziergang zurück.
Bei der Erinnerung an mein ausschweifendes Gespräch mit der einsamen Krähe und den Anblick den ich bot, nachdem mich das freche Eichhörnchen mit Schnee beworfen hat muss ich schmunzeln und bin aufs Neue überrascht was man bei einem kleinen Ausflug in die Natur so alles sehen und erleben kann.
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