Die Münze

Münzen

von Helga Lüsebrink

Ich bin eine Münze und komme aus Dänemark, dort wurde ich in die Welt gepresst. Fast überall bin ich zuhause.Von Hand zu Hand wandere ich, ja sogar von Land zu Land, manchmal gar zwischen verschiedenen Kontinenten hin und her, und das schon viele, viele Jahre lang.

Meine Zukunft, sie liegt offen vor mir! Wer weiß schon, wie eine Zukunft auszusehen hat? Stabil und widerstandsfähig gehe ich meiner Wege, auch dann, wenn ich hier und da altund verbraucht erscheine. Das ist nur meine Äußerlichkeit, den eigentlichen Wert trage ich in mir selbst.

Die Menschen behandeln mich ganz nach ihrem jeweiligen Ermessen: manchmal gut, manchmal ohne nachzudenken oder ohne zu wissen, was wirklich gut für mich wäre, nur selten auch mal verächtlich. Natürlich bleiben Ausnahmefälle am besten in Erinnerung. So kann ich mich noch gut daran erinnern, wie es war, als ich vor geraumer Zeit einmal in einem Schaukasten gelandet bin, als bewundertes Einzelstück, eingefasst von Wänden aus Glas, sicher gehalten von einer Plexiglas-Vorrichtung auf einem Podest. Ich war geputzt und poliert, glänzte auf beiden Seiten und überall. Selbst meine kleinen Verzierungen und Zahlen, die doch so schnell stumpf und dreckig werden, erstrahlten wie- der wie an meinem ersten Tag.

Ich hatte das große Glück gehabt, in die Hände eines Sammlers zu gelangen. Leider verstarb er eines Tages. Und seine Erben wussten mich nicht wertzuschätzen. In ihren Augen war ich nichts Besonderes. Nicht mehr wert als mein aufgeprägter Betrag angibt. Sie brachten mich wieder in Umlauf. Nun wurde ich von einigen kurz interessiert betrachtet, wenn sie mich zufällig in die Hand nahmen. Und gelegentlich strich jemand zart mit dem Daumen über mich, bevor er mich ausgab. Andere wiederum behandelten mich unachtsam, schleppten mich in dunklen Hosentaschen mit sich herum, in denen ich eng aneinander gepresst mit anderen Münzen, mit Schlüsseln, Feuerzeugen und Taschentüchern (ja, auch benutzten!) ausharren musste.

Oder ich langweilte mich in der behüteten, dunklen Enge teils wahnsinnig überfüllter Geldbeutel. Oder aber ich lagerte, nachdem ich hastig in einen dieser Automatenschlitze gesteckt worden war, im Münzbehälter, mal nahezu alleine in dieser kalten Düsternis, oder mal von unten und oben bedrückt von unzähligen anderen Münzen.

Am allerschlimmsten aber war es, wenn ich, was mir zwei Mal passiert ist, verloren wurde. Einmal konnte mich eine Hosentasche nicht mehr halten. Und ein anderes Malwurde ich von einem hektischen Besitzer unbemerkt aus seinem Portemonnaie geschleudert. In beiden Fällen lag ich für Tage im Rinn- stein, nass und verdreckt, und bald schon am Ende aller Hoffnung. Doch dann, immerhin, wurde ich jeweils geborgen.

Zurzeit werde ich mal wieder kräftig hin- und her geschaukelt: Ich befinde mich in einer großen Geldbörse, in einer Damenhandtasche. Das ist in Ordnung. So komme ich zwar nie zur Ruhe, und es ist meist dunkel, doch ich bin wenigstens sicher hier und habe ausreichend Platz. Ab und zu, ja da sehe ich auch mal Licht und kleine Ausschnitte von der Welt.

Es könnte wirklich schlechter sein – aber seit der Zeit bei dem Sammler, die viele Jahre zurückliegt und nur wenige Wochen umfasst hat, habe ich einen Traum: Dass eines Tages sämtliche Münzen nur noch als Erinnerungsstücke zur Schau gestellt werden. Dass sie Licht haben und Ruhe, dass sie bewundert werden und gepflegt. Und dass ich eine von ihnen bin – und keinesfalls eine der endgültig verlorenen.