Das hätte ins Auge gehen können
Bild: Klein / Bundesarchiv, Bild 183-10408-0002 / CC-BY-SA 3.0
von Rudolf Winterfeldt
Im Juni 1953 musste mein Traktor „Aktivist“ zur Generalreparatur in die Werkstatt. Nun war ich ohne Maschine und wurde einem anderen Traktoristen als Beifahrer zugeteilt. Der hatte die Aufgabe, Langholz aus einem Buchenwald zum Sägewerk zu fahren. Ich war nun sein Beifahrer und hatte alle Hilfsarbeiten zu leisten. Heute sieht man LKW als Langholzfahrzeuge auf den Straßen, damals waren es Traktoren mit einem Langholzanhänger. Die Lademöglichkeit auf einem solchen Anhänger betrug ca. 12 Raummeter Holz mit einem Gewicht von ca. 8 to.
Zur Erläuterung:
Raummeter oder Ster ist geschichtetes Holz mit Zwischenräumen
Festmeter ist geschichtetes Holz ohne Zwischenräume
Schüttraummeter ist zerkleinertes Holz aufgeschüttet
1 Raummeter (rm) oder Ster entspricht 0,7 Festmeter (fm) oder 1,8 Schüttraummeter (srm)
Es war genau am 17.Juni 1953, als wir beide wieder in den Wald fuhren um eine Ladung Holz zu holen und ins Sägewerk zu fahren. Wir stellten den Langholzanhänger neben die am Boden lagernden Holzstämme, klappten die Rungen auf dieser Seite herunter und legten Ladebäume als Schräge an den Anhänger. Mit dem Traktor und zwei Drahtseilen wurden nun die Baumstämme auf den Anhänger gezogen.
Zum Schluss wurden die Stämme verzurrt und mit Ketten gesichert. Dann kuppelten wir den Anhänger an den Traktor. Die Ladestelle lag auf einer kleinen Anhöhe mit einer schrägen Abfahrt zur Chaussee. Die Neigung war ziemlich groß und so mussten wir sehr vorsichtig zu Werke gehen. Uns war beiden klar, dass der relativ kleine Traktor den gut acht Tonnen schweren Anhänger nicht alleine bremsen konnte.
Der Anhänger hatte vorschriftsmäßig eine Auflaufbremse, die auf die Vorderräder wirkte, und zusätzlich für die Hinterräder eine Handbremse. Mein „Chef“ legte fest, dass ich den Traktor fahren sollte und er die hintere Handbremse betätigt. Gesagt, getan. Ich saß also am Lenkrad des Traktors „Pionier“ und brachte das Fuhrwerk mit dem 1. Gang zum Rollen.
Als es zur „Talfahrt“ kam, merkte ich, dass die Auflaufbremse die Vorderräder des Anhängers auf dem glitschigen Waldboden blockierte. Dadurch drohte der Anhänger zur Seite zu rutschen und umzukippen. Die Handbremse alleine reichte nicht aus, um das Gefährt zu halten. Die Abfahrt wurde gefährlich. Ich konnte mit der Motorbremse nicht arbeiten, weil der Anhänger zu sehr schob.
Ich dachte mir in dieser Situation, wenn ich so weiter fahre, dann schiebt der Anhänger den Traktor zur Seite und alles kippt um. Meine bisherigen Erfahrungen mit Fahrzeugen ließen blitzschnell den Gedanken aufkommen: Kupplung treten und damit den Motor vom Getriebe trennen, alles laufen lassen und auf keinen Fall auf die Bremse treten. Was jetzt passierte ging so schnell, dass wir uns beide hinterher anschauten und kein Wort hervorbrachten.
Mit zunehmender Geschwindigkeit und einem ohrenbetäubenden Heulen im Getriebe, raste buchstäblich diese tonnenschwere Last den Berg hinab und auf die Chaussee. Ich habe nur krampfhaft das Lenkrad gefasst und immer nur den Traktor in der Spur geradeaus gehalten. Auf der Chaussee ging es leicht bergan und so konnte ich nach einigen hundert Metern alles zum Stillstand bringen. Als ich vom Traktor stieg zitterten mir doch die Knie. Mein „Chef“ kam hinter gelaufen und umarmte mich vor Freude, dass alles gut gegangen war.
Er wäre, als verantwortlicher Traktorist, bei einem Unfall sicherlich nicht mit einem blauen Auge davongekommen. Aber das es so kommen würde, konnte auch er nicht voraussehen. Wir haben uns aber nicht lange aufgehalten. Er nahm seinen Platz hinter dem Lenkrad ein, ich meinen Sitz hinter ihm und ab ging es in Richtung Sägewerk.
Am Abend erfuhren wir in der Kneipe von den Aktionen in Berlin und haben uns, auf den erlebten Schreck am Vormittag, einen kleinen „hinter die Binde“ gegossen. Unsere Meinung danach, das hätte ins Auge gehen können.
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