Herbst

Ein Schattenbild mit einem Schornsteinfeger auf dem Dach

von Susanne Danowski

Die Nächte werden merkbar länger, seine Nachtruhe nicht. Als er aufsteht, ist es noch dunkel. Durch Schlafzimmerfenster kann er den ersten hellen Schimmer am Horizont sehen.

Mürrisch schlurft er in Richtung Küche, nimmt aber vorher noch die Abkürzung ins Bad, als er sieht, dass es noch nicht oder nicht mehr besetzt ist. Seit ein paar Tagen ist seine Enkeltochter zu Besuch.

Seine Tochter hatte ihn vor zwei Monaten angerufen, ob er für Jessi nicht einen Praktikumsplatz in seinem ehemaligen Betrieb besorgen kann. Er konnte, dank seiner guten Verbindungen. Er hat ja nichts dagegen, dass auch Mädchen einen Beruf lernen. Aber warum musste gerade seine Enkelin Schornsteinfeger werden wollen. Aber er hatte sich nicht gesträubt, sie unterzubringen. Wenn sie erst mal sieht, wie schmutzig und stinkend diese Arbeit ist, wird sie sich die Flausen schon aus dem Kopf schlagen, dachte er.

Dass sie während der Zeit bei ihm wohnen sollte, war ihm nicht klar und so fühlt er sich etwas überrumpelt, als dann seine Tochter mit Jessi und zwei großen Koffern vor der Tür stand. Sein gewohnter Ablauf geriet vollkommen aus den Fugen. Die beiden Frauen redeten ununterbrochen auf ihn ein. Das Gästezimmer hatte er ihnen freiwillig gegeben, aber sie okopierten auch das Bad und die Küche.

Dann wollten sie, dass er mit ihnen sightseeing, wie sie es nannten, machte. Seit Marie weggezogen war, hatte sich viel verändert und Jessi war nur selten hier, zu Geburtstagen oder mal zu Weihnachten. So kannte Marie die Stadt nicht mehr und er kannte das Mädchen kaum.

Gestern war Marie nun wieder nach Hause gefahren und Jessi hatte sich früh in ihr Zimmer zurückgezogen. Das war auch gut so. Er ärgerte sich, dass sie ständig dieses klingelnde, pfeifende, piepsende Smartphon vor der Nase hatte.
„Jetzt erst mal einen Kaffee“ denkt er, „die Zeit der Ruhe muss ich nutzen“ Aber als er in die Küche tritt schallt ihm ein fröhliches „Guten Morgen, Opa, auch schon ausgeschlafen“ entgegen. Ihn rührt fast der Schlag und er griff sich an die Brust, da wo sein Herz wummerte. „Was machst du denn schon so früh hier?“brummelt er dann.

„Heute ist mein erster Tag, da muß ich doch pünktlich sein.“ Kaffeeduft kitzelt seine Nase und das Mädchen holt gerade die aufgebackenen Brötchen aus dem Herd. Jessi ist fix und fertig angezogen. Jeans, T-Shirt und eine leichte Jacke. ‘ Gottseidank habe ich mir den Bademantel gegriffen.’ Er zieht den Gürtel enger und schaut an sich herunter. Aus zerknautschten Pyamahosen ragen zwei bleiche Beine und die Füße verkriechen sich in ausgelatschten Pantoffeln. Schnell setzt er sich an den gedeckten Tisch.

„Weißt du, wo ich eingesetzt werde, Opa?“ „Na klar, in der Buchhaltung das andere ist nix für Mädchen. Hab schon mit Frau Schmittke gesprochen, die freut sich auf Hilfe.“ Er sieht, wie ein dunkler Schatten über ihr Gesicht zieht „Das werden wir ja sehen,“ murmelt Jessi und hofft, dass ihr Großvater es nicht gehört hat.

„Soll ich dich fahren?“ „Bin doch kein Baby, hab ja GPS auf dem Handy, außerdem muss ich los und du bist noch in Latschen,“ lacht Jessi ihn an. Dann ist er endlich allein in der Wohnung und atmet tief durch. „Frauen sind anstrengend“
Doch am Nachmittag deckt er den Kaffeetisch und wartet, dass das Mädchen nach Hause kommt. Er war gespannt, was es in der Bude Neues gibt.

Da klingelt es auch schon und Jessi stürmt ins Zimmer. Bevor er auch nur eine Frage los wird, plappert Jessi drauf los. „Phh, Opa, nix mit Buchhaltung. Bin mit Jens mitgefahren, die Heizungsanlagen messen. Er hat abgelesen ich habe aufgeschrieben. Da waren wir früh fertig und er hat mich zum Mittagessen eingeladen.“ „Was denn, so dreckig, wie ihr wart?“ „Opa, du musst mal wieder hingehen, sie haben alle nach dir gefragt.“

Er schluckt heftig und hustet, als ob er sich am Keks verschluckt hätte. „Nur noch Fred geht auf die Dächer und hat so nen schwarzen Anzug an. Wir anderen kontrollieren Heizungen, Lüftungen und sowas“ „Wir???“ „Ja UNS erkennt keiner mehr als Schornsteinfeger, als Glücksbringer“ lacht Jessi fröhlich. Und das Mädchen erzählt so eifrig, als ob sie schon mindestens drei Wochen gearbeitet hätte.

Am nächsten Morgen klingelt der alte Wecker, als es noch dunkel ist. Er ist seltsam froh gestimmt und aufgeregt. Er duscht sich, bevor Jessi das Bad belegt. Dann tritt er vor seinen Kleiderschrank. ‘So, nun wollen wir mal dem Mädchen zeigen, wie ein Glücksbringer aussieht,’ denkt er sich. Er zieht den Kleidersack vom Bügel. „Ach Martha, bei dir musste immer alles seine Ordnung haben“ gedenkt er seiner Frau und ist ihr wiedermal dankbar.

Als Jessi zum Frühstück kommt, sitzt er in seiner Kluft und mit dem Zylinder auf dem Kopf am Tisch und strahlt sie an. „Heute begleite ich dich nun doch.“ Die Bäume beginnen ihr Laub abzuwerfen und es raschelt als sie sich in dem frühen Licht auf den Weg machen. Viele Passanten lachen sie an und einige Frauen streifen dabei verstohlen über seinen schwarzen Anzug. Das Mädchen hat den Zylinder auf dem Kopf und strahlt mit der aufgehenden Sonne um die Wette.