Der Schneider von Ulm
Bild: Wikimedia Commons/gemeinfrei
von Tristan Micke
Zahlreiche Romane und Dokumentationen gibt es über den Schneider von Ulm. Die öffentliche Meinung über ihn schwankte zwischen Erheiterung und Anerkennung. Aber wer war der Mann, der bereits 1811 einen Gleitflug unternehmen wollte? Er hieß Albrecht Ludwig Berblinger und war Schneider in Ulm.
Mit seinem Fluggerät stürzte er in die Donau, wurde verhöhnt und verlacht.
Spätere Versuche ergaben, dass er damit unter anderen Bedingungen durchaus hätte fliegen können. Hier die tragische Geschichte des Albrecht Ludwig Berblinger, des Schneiders von Ulm:
Geboren wurde er am 24. Juni 1770 in Ulm als siebentes Kind des Amtsknechts Albrecht Ludwig Berblinger d. Ä. und dessen Ehefrau Anna Dorothea in ärmlichen Verhältnissen. Als er 13 Jahre alt war, starb sein Vater und Albrecht Ludwig kam in ein Waisenhaus. Da er Interesse für Mechanik hatte, wollte er Uhrmacher werden, man zwang ihn aber zu einer Schneiderlehre. Im Alter von 21 Jahren war er Schneidermeister und betätigte sich nebenbei als Erfinder.
Er baute Beinprothesen und erfand 1808 eine “Fußmaschine”, die erste Beinprothese mit Gelenk. Berblinger studierte den Flug von Bussarden und Eulen. Nach ihrem Vorbild baute er unter Einsatz seines bescheidenen Einkommens jahrelang an einem Hängegleiter, den er immer wieder verbesserte und der ihm einmal den Gleitflug ermöglichen sollte.
Wegen seiner Nebentätigkeiten wollte man Berblinger aus der Zunft ausschließen und verlangte hohe Geldstrafen von ihm. Der Bau an seinem Fluggerät brachte ihm Hohn und Spott ein. Doch Friedrich von Württemberg zeigte Interesse an Berblingers Flugapparat und spendete Geld. Im Mai 1811 hatte Berblinger Gelegenheit, dem König die Flugfähigkeit seines Hängegleiters vorzuführen, da dieser mit seinen drei Söhnen und dem bayerischen Kronprinzen in Ulm weilte.
Am Abend des 30. Mai 1811 wollte Berblinger mit seinem Fluggerät von einem Holzgerüst auf der Adlerbastei in Ulm starten. Der König und eine große Zahl von Bürgern waren als Zuschauer dabei. Doch mit der Begründung, es herrschen ungünstige Windverhältnisse, verschob Berblinger seinen Flugversuch auf den nächsten Tag. Am 31. Mai war der König jedoch schon abgereist. Nur die Prinzen waren noch in Ulm und wollten beim Flugversuch vom Hang an der Donau anwesend sein.
Gegenüber dem Vortag hatten sich die Windverhältnisse nicht geändert und Berblinger stand unter dem Gejohle und Gelächter des verständnislosen Volkes mit seinem Fluggerät einige Zeit am Hang und wartete auf einen günstigen Aufwind, der ihm den nötigen Auftrieb verleihen sollte. Einem Gendarm dauerte das alles zu lange und er gab Berblinger einen Stoß, sodass dieser in die Donau stürzte. Berblinger wurde von Fischern aus dem Fluss geborgen und überlebte den Sturz körperlich unversehrt, doch das erneute Misslingen seines Flugversuchs bedeutete seinen beruflichen und gesellschaftlichen Abstieg.
Berblinger wurde als Lügner und Bertrüger bezeichnet, zumal nicht überliefert ist, ob er jemals mit seinem Fluggerät geflogen war. Verarmt und mittellos starb Albrecht Ludwig Berblinger am 28. Januar 1829 im Alter von nur 58 Jahren an Auszehrung in einem Hospital in Ulm.
1986, 175 Jahre nach den misslungenen Flugversuchen Berblinges, wurde mit einem Nachbau seines Hängegleiters und dem heutigen Wissen an einem Ulmer Berghang gezeigt, dass das Fluggerät grundsätzlich flugfähig war, auch wenn wegen der über Flüssen vorherrschenden Fallwinde damit kaum ein Gleitflug über die Donau gelingen konnte.
Berblingers Tragik bestand wohl darin, dass er 100 Jahre zu früh auf die Welt kam, zu einer Zeit, die für die Fliegerei noch nicht reif war. Zur Würdigung Berblingers Leistungen erschien 1990 in der DDR eine Briefmarke.
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