Herbstspaziergang

buehne_Ein Hase im Wald schaut hinter Gras und einem Stein hervor

von Tina Gonschorek

Es ist unübersehbar Herbst geworden. Die Blätter an den Bäumen prangen in den wunderschönsten Farbtönen zwischen gelb und rot.

Die Sonne steht tiefer, die Tage werden kürzer und der mitunter schon empfindlich kalte Wind ist ein Vorbote für die kommenden Herbststürme. Aber heute ist das Wetter so, wie man sich einen Herbsttag wünscht.

Es herrschen milde Temperaturen, die Morgensonne lacht vom blauen Himmel und ich beschließe in den Wald zu fahren, um einen Spaziergang zu machen und vielleicht ein paar Pilze zu sammeln.

Als ich mein Auto auf einem kleinen Waldweg abstelle umfängt mich zuerst einmal eine wohltuende Stille. Ich sehe mich um, um mir zu merken, wo ich geparkt habe, da mein Orientierungssinn leider nicht sehr ausgeprägt ist und dann laufe ich los. Vorsichtshalber halte ich mich möglichst in der Nähe der Wege und schon entdecke ich einen wunderschönen Steinpilz.

Vorsichtig schneide ich ihn ab, um die Wurzel im Waldboden zu lassen, und lege ihn stolz in meinen Korb. Nach und nach dringen die Laute des Waldes in mein Bewusstsein. Ich stehe da, schließe die Augen und versuche die Geräusche zu filtern.

Ich höre das emsige Klopfen eines Spechtes, den Wind, der durch die Tannenwipfel streicht, das Fallen der Kienäpfel und das Singen der Waldvögel. Es ist wunderbar einfach nur dort zu stehen und meine Gedanken schweifen zu lassen.

Als ich langsam weitergehe und sich einige vorwitzige Maronen zu dem Steinpilz in meinen Korb gesellen, entdecke ich plötzlich ein Glitzern, das mich magisch anzieht. Es sind Tautropfen in einem perfekt geformten Spinnennetz. Jeder einzelne spiegelt die Sonnenstrahlen wieder und in ihnen leuchten alle Farben des Regenbogens.

Vorsichtig schaue ich nach, ob die Bewohnerin des Netzes zu Hause ist, denn bei allem Interesse für die glitzernden Tropfen möchte ich sie nicht unbedingt zu Gesicht bekommen. Ich liebe Tiere sehr, aber alle, die mehr als vier Beine besitzen, verursachen mir ein mit starker Gänsehaut verbundenes Unbehagen.

Glücklicherweise scheint sie unterwegs zu sein und so kann ich die filigrane Struktur ihres Netzes in aller Ruhe betrachten. Wieder staune ich darüber, was die Natur für außergewöhnlich schöne Dinge schafft.

Als ich mich dann weiter durch die Schonung kämpfe, fällt mir auch wieder ein was das Wort „Altweibersommer“ bedeutet, denn zwischen den eng stehenden Bäumen gibt es unzählige mehr oder weniger intakte Netze, die sich in meinen Haaren verfangen.

So schnell es geht, verlasse ich die Schonung und gehe auf meinen diesbezüglich ungefährlichen Waldweg zurück. Es ist seltsam, so allein zu sein. Kein Mensch ist in meiner Nähe. Aber dafür entdecke ich eine hübsche kleine Lichtung, in deren Mitte ein großer flacher Stein liegt, auf dem ein Hase sein Schläfchen macht.

Ich bin ganz verblüfft und schleiche mich langsam näher, um ihn besser sehen zu können. Als ob er meine Anwesenheit spürt, erwacht er. Und dann sehe ich etwas, dass sich meinen Augen noch nie bot. Der Hase gähnt ausgiebig und beginnt sich zu recken. Erst genüsslich die Hinterpfoten, dann die Vorderen und dann macht er einen regelrechten Katzenbuckel.

Nachdem er seinen Frühsport erledigt hat, beginnt er mit der Morgentoilette. Er beleckt seine Vorderpfote und streicht dann mit ihr über sein niedliches Hasengesicht, um sie danach wieder abzulecken. Dann sind seine langen Ohren dran, mit denen er genauso verfährt. Abschließend zieht er das linke Ohr bis an sein Schnäuzchen und knabbert daran herum.

Ich stehe da, habe ein Lächeln im Gesicht und kann kaum glauben, was ich da sehe. Es wundert mich schon, dass der Hase mich bisher nicht bemerkt hat, und wie ich noch darüber nachdenke, knackt plötzlich ein kleiner Ast unter meinem Fuß. Der Hase erstarrt in seiner Bewegung, blickt in meine Richtung und mir geradewegs in die Augen. Das ist einfach faszinierend.

Dann springt er blitzschnell auf und hoppelt Haken schlagend in die Tiefen des Waldes davon. Ich als Stadtmensch bin von kindlicher Freude durchdrungen, einem „wilden“ Tier so nahe gekommen zu sein.

Da der flache Stein nun verlassen ist, beschließe ich eine Pause einzulegen und packe Wasser und meine Brote aus. Als ob die Waldvögel nur darauf gewartet haben, kommen sie zu mir und wollen ihren Anteil an meiner Mahlzeit haben. Natürlich lasse ich mich nicht lange bitten und werfe ihnen kleine Brotkrumen zu. Und schon beginnt die Schlacht am kalten Buffet.

Die Spatzen zanken sich um jeden Brocken. Einige Meisen sitzen auf einem nahen Strauch und beäugen die frechen Spatzen. Ich werfe ein paar Krümel in ihre Richtung und hoheitsvoll lassen sie sich nieder, um sie sich zu holen. Ein Rotschwänzchen lässt sich blicken und einige Grünfinken kommen auch zum Festschmaus vorbei.

Leider erschöpfen sich damit auch schon meine vogelkundlichen Kenntnisse. Ich erfreue mich an meinen gefiederten Freunden, die sich inzwischen bis an meine Füße heran wagen. Als wir gemeinsam alles verputzt haben, bin ich uninteressant geworden und sie fliegen davon.

Für mich wird es nun auch langsam Zeit zurück zu gehen. Ich habe zwar nicht den ultimativen Pilzblick, aber trotzdem ist mein Körbchen halb gefüllt und da ich die Pilze sowieso viel lieber suche als esse, reichen sie mir völlig.

Also gehe ich den Weg zurück, den ich gekommen bin, denke ich jedenfalls! Leider steht an dessen Ende nicht wie erwartet mein Auto, sondern eine riesige Eiche. Ich bin von diesem wunderschönen kraftvollen Baum beeindruckt, auch wenn sich in mir ein leises Angstgefühl ausbreitet, dass ich mich doch verlaufen habe.

Zuerst aber kann ich dem alten Baum nicht widerstehen, der mich förmlich zu rufen scheint und lehne mich an seinen Stamm. In mir breitet sich Ruhe aus. Ich schließe die Augen und genieße die raue Rinde des Baumes unter meinen Händen. Ich denke an den Weg, den ich entlang gelaufen bin, und plötzlich sehe ich die Kreuzung vor mir, an der ich falsch abgebogen bin und weiß, wie ich wieder zu meinem Auto komme.

Die Blätter rauschen und ich spüre, wie mir etwas auf den Kopf fällt. Als ich danach schaue, entdecke ich eine große Eichel. Ich hebe sie auf und stecke sie in meine Tasche. Ich weiß ganz genau, was ich damit machen werde. Leise danke ich dem Baum und nehme Abschied. Als ich mich noch einmal zu ihm umdrehe sehe ich meinen kleinen Freund den Hasen, der unter der Eiche sitzt und an Gräsern knabbert.

Schmunzelnd gehe ich zu meinem Auto zurück und trete den Weg in die laute und hektische Zivilisation an. Bevor ich zum Abendessen meine Pilze genieße, fülle ich erst Blumenerde in einen Topf und lege die Eichel hinein, in der Hoffnung, dass ein kleines Bäumchen daraus wachsen wird, welches vielleicht in einhundert Jahren wie seine Mutter groß und stark im Wald steht und einem Menschen, der ihn besucht Ruhe und Zuversicht schenken wird.