Herbstgeflüster

buehne_Ein Tal mit Bäumen welches vom Nebel bedeckt ist, bei morgentlichem Sonnenschein

von Waltraud Käß

Das Jahr neigt sich seinem Ende entgegen.

Ein Jahr, in dem manches anders war als sonst. Es konnte sich vom Winter lange nicht verabschieden, die frost- und schneereichen Tage begleiteten uns bis in den März. Später als sonst öffneten sich die Kirschblüten.

Als der Frühling dann endlich das Zepter übernehmen durfte, kam er nicht etwa nur mit lauen Lüften, nein, er brachte so im Mai/Juni auch Regenfluten, die sowohl in der Natur als auch bei den Menschen großen Schaden hinterließen.

Der Sommer trocknete die Tränen und die Wasserlachen, denn er kam mit großer Hitze so im Juli/August, was einzelnen große Freude machte, andere Menschen gesundheitlich aber sehr belastete. Nun ist der Herbst eingekehrt, und wir werden zu beobachten haben, wie er sich gebärdet, ob er uns einen schönen Altweibersommer im Oktober beschert oder vielleicht den kommenden Winter schon vorzieht.

Die Ernte wird eingefahren, die Gartenstühle werden vor undurchsichtigem Nebel und den ersten Nachtfrösten in Sicherheit gebracht, die Gartenschläuche eingerollt. Die Kraniche fliegen hoch oben in Schwärmen dem warmen Süden entgegen, aber ihr Geschrei und Geschnatter lässt uns den Blick in den Himmel heben.

Das sicherste Zeichen, dass der Winter naht, vielleicht mit viel Kälte und Schnee, auf jeden Fall mit langer Finsternis, die uns die Sonne herbeisehnen lässt.
Und dann, am 31.12., haben wir es wieder geschafft und werden das neue Jahr begrüßen. Was wird es uns bringen?

Das werden wir dann wieder am Ende des kommenden Jahres wissen. Alles hat seine Zeit. Jetzt können wir uns wieder stärker anderen Hobbys zuwenden, können den Bücherstapel in Angriff nehmen, der sich im Laufe des Jahres angesammelt hat, können gemütlich bei den Dichtern stöbern.

Z.B. bei Dichtern, die durch ihr Werk zwar unsterblich wurden, vielleicht aber auch der Vergessenheit anheim gefallen sind. Bei Theodor Storm habe ich für Sie ein Gedicht in originaler Schreibweise gefunden.
Es trägt den Titel:
*
Herbst*

Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Liegt ein ferner Frühlingstag.