Thüringer Klöße, rohe Klöße, grüne Klöße, Hüt`s oder Hütes?
Bild: Rolf Handke / pixelio.de
von Christa Barthel
Weihnachten stand vor der Tür und die Kinder hatten sich nach einigen Jahren der Abstinenz zum Fest angesagt. Aus unerfindlichen Gründen wollten sie aktuell nicht in den warmen Süden fliegen, sondern sich von Muttern, also von mir, verwöhnen lassen.
„Aber Du machst doch Klöße?“, fragte meine Älteste mit einem, wie ich fand, vorwurfsvollen Unterton in der Stimme. Ehrlich gesagt, hatte ich das überhaupt nicht vor. Die letzten Jahre hatten wir gemütlich und ruhig verbracht oder waren essen gegangen. Klöße machen, das bedeutete viel Arbeit und darauf war ich überhaupt nicht eingestellt.
Doch ich beeilte mich mit Mutterliebe in der Stimme zu sagen: „Ja, ja, das hatte ich ohnehin vor. Weihnachten ohne Thüringer Klöße und Gänsebraten geht natürlich gar nicht. Und den tollen Rotkohl, den ihr immer so gerne gegessen habt, mache ich auch.“ Meine Älteste verdrehte die Augen vor Entzücken, schwebte mit einem zufriedenen Lächeln davon, und in mir drehte sich der Magen um vor Schreck, denn ich wusste nicht mehr, wie es ging.
Und dann diese Arbeit! Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon die Zentner Kartoffeln schälen. Wo war Mutters Kochbuch? Da standen doch alle Rezepte und vor allem ihre Tricks drin. Sie waren das A und O des Gelingens.
Auf dem Einkaufszettel, den ich für meinen Mann vorbereitete, standen solche Zutaten wie: Ein großer Sack Kartoffeln, 1 großer Kopf Rotkohl (den Rotkohl aus dem Glas mögen die Kinder nicht), vom Fleischer die große Gans (ich hatte es noch geschafft, sie bei ihm zu bestellen und zum Glück hatte ich auch den großen Bräter noch nicht entsorgt), eine Tüte Äpfel, Zwiebeln, Beifuß, ein kleines Weißbrot (die gerösteten Würfel für die Klöße mussten immer besonders kross sein), Butter, Schmalz und noch viele Dinge mehr. Er brauchte wohl die große Einkaufskiste für das Auto, die er schließlich im Keller entdeckte.
Dass ich die Kartoffelpresse nicht entsorgt hatte, die zum Geheimnis der Thüringer Klöße gehört, wusste ich. Aber wo war sie? Und hatte ich den Preßsack noch für die Kartoffelmasse? Mein Gott, war das aufregend. Schließlich fand ich Beides auf dem Hängeboden und dazu auch noch die Weihnachtspyramide, den großen Räuchermann, in einer Schachtel den Weihnachtsschmuck, den Schwibb-Bogen.
Wenn schon, denn schon, dachte ich, dann werden wir die Stuben schmücken.
Mit der Zeit freute ich mich auf das Fest. Ich bin eine echte Thüringerin und das Kulturgut Thüringens, die Thüringer Klöße, standen Weihnachten immer auf unserem Tisch. Die Stuben waren geschmückt, die Gans brutzelte vor sich hin, in der Küche duftete es so, dass die Vorfreude kaum auszuhalten war.
Ich hatte den großen Sack Kartoffeln geschält (für Normalverbraucher reichen drei Kilogramm), und davon 2/3 mit der Küchenmaschine gerieben. Vor vielen Jahren, als ich die Kartoffeln noch mit der Hand reiben musste, waren auch einige Tropfen meines Herzbluts dabei. Darauf mussten meine Kinder dieses Mal nun verzichten. Nun ab mit der Reibemasse in den Preßsack und in die alte Kartoffelpresse (hat man keine, muss man sich was einfallen lassen).
In der Schüssel stehend, lief die Flüssigkeit aus der Masse nun durch alle Löcher. Ich sah schon, wie sich am Boden der Schüssel eine leichte Stärkeschicht bildete. Die war wichtig für die Klöße.
1/3 der geschälten Kartoffeln hatte ich in kleine Stücke geschnitten und mit Wasser zu einer sämigen Kartoffelsuppe verkocht. Das Weißbrot war in Würfel geschnitten und in einer großen Pfanne in viel Butter waren krosse „Bröckle“ draus geworden, wie der Thüringer sagt.
Auf dem Herd stand mein größter Topf mit siedendem Wasser und wartete auf die großen, weißen und runden Kugeln, die in ihn hinein gleiten würden.
Die Masse war inzwischen trocken genug ausgepresst. In der Schüssel wurde sie zerbröselt und mit der abgesetzten Stärke und etwas Salz locker gemischt. Dann gab ich etappenweise die kochendheiße Kartoffelsuppe hinzu und rührte im Schweiße meines Angesichts, so dass mein Mann die tanzende Schüssel kaum halten konnte. Ich rührte so lange, bis der Teig anfing zu „quatschen“, weil genug Luft in ihm war.
Langsam tauchte ich meine Hände in kaltes Wasser, nahm eine Portion Teig, drückte eine Kuhle hinein, in der einige „Bröckle“ verschwanden und formte den faustgroßen, weichen, weißen und runden Kloß. Und als ich ihn ins Wasser gleiten ließ, spürte ich in mir ein sinnliches Vergnügen. So ging es Schlag auf Schlag.
Die Kinder waren inzwischen eingetroffen, bewunderten die geschmückten Stuben und den gedeckten Tisch, schnüffelten in der Küche herum und sahen die Klöße im Wasser schwimmen.
Sie wollten unbedingt das Rezept der Thüringer Klöße haben. Ich wusste, sie würden sie nie kochen, aber ich gab die geheimen Tipps meiner Mutter weiter an meine Kinder:
Die Menge Kartoffeln muss gedrittelt werden. Zwei Drittel für die Masse reiben, ein Drittel für die Kartoffelsuppe verwenden.
Die Kartoffelmasse muss sehr trocken ausgepresst werden. Die in der Schüssel abgesetzte Stärke wird über die Masse gebröselt. Dazu wird mit einer kleinen Handvoll Salz gewürzt.
Die Kartoffelsuppe muss mit dem Rührstab sämig geschlagen und sehr heiß nach und nach über die trockene Kartoffelmasse gegeben werden, die damit gebrüht wird.
Die „Bröckle“ müssen in Butter kross gebraten werden.
Der entstehende Teig muss kräftig gerührt werden, bis er sich vom Schüsselrand löst, ein wenig glasig aussieht und nicht mehr nach rohen Kartoffeln schmeckt.
Die geformten Klöße in leise siedendem Wasser gar ziehen lassen – auf keinen Fall kochen. Sie sind fertig, wenn sie von allein an die Oberfläche steigen.
Es war ein gelungenes Weihnachtsfest. Die Klöße zergingen auf der Zunge. So mussten sie sein. Das Lob der Familie war die Anerkennung für meine Arbeit. Ich dachte darüber nach, dass diese Spezialität eigentlich ein Arme-Leute-Essen in den Dörfern des Thüringer Waldes war, weil sie auch ohne Fleisch gut schmeckten und am nächsten Tag in Scheiben geschnitten und in Butter gebraten, eine weitere Köstlichkeit ergaben.
Und ich dachte, dass es eine Kunst sei, diese Klöße zu machen, denn mir selbst war schon das Malheur passiert, dass ich einen großen Topf Kartoffelsuppe statt siedender Klöße auf dem Herd vorfand. Doch aus Fehlern wird der Mensch ja klug. Ich beschloss, die Gerätschaften für Thüringer Klöße nicht so weit weg zu packen, denn eigentlich war es gar nicht mehr so viel Arbeit und es hatte sogar Spaß gemacht.
Und bei meinem nächsten Besuch in Thüringen würde ich unbedingt das Kloßpressen-Museum in Großbreitenbach besuchen.
Ob uns die Kinder nächstes Jahr zu Weihnachten zu Thüringer Klößen einladen?
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