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Bild: Kurt Michel / pixelio.de
von Susanne Danowski
„Unsere Hauptstadt soll blühen und gedeihen“ titelte die BZ am Abend in einer Sonderausgabe.
Anne war gespannt und nahm eine Zeitung mit. Die Berichte von Parteiveranstaltungen liest sie in der Regel nur oberflächlich, damit sie informiert war. Als sie heut in der Zeitung blättert ist sie neugierig. Den ganzen Politikkram überfliegt sie gekonnt, langes Training macht sich da bezahlt.
Aber auf der Mittelseite wird es interessant. Fotografien von Modellen für die Stadtplanung machen das neue Wohnungsbauprogramm nachvollziehbar. Mit einer großen komplexen Aktion soll über viele Jahre das Wohnungsproblem in der Hauptstadt gelöst werden. Durch den Bezug der entstehenden Neubaugebiete am Stadtrand werden die alten Wohnungen in der Stadt frei gezogen und können dann systematisch rekonstruiert und attraktiv gemacht werden.
Annes kleine Tochter quengelt. Sie will die wenige Zeit mit ihrer Mama auch für sich. Anne hat schon den Badeofen angeheizt und freut sich, wie jeden Tag, über das kleine Badezimmer, dass sie sich gebaut haben. Jetzt kann sie Kirsten in die Wanne setzen und sich um das Abendbrot kümmern. Viel Zeit bleibt ihnen nicht.
Der lange Arbeitstag, dann 20 Minuten Fußweg bis zur Kinderkrippe und eine Stunde Heimfahrt mit Straßenbahn und Bus. Seit sie keinen Kinderwagen mehr braucht, kommt sie zwar auch bei vollen Bussen mit, aber der letzte Weg bis nach Hause sind für Kirstens kleine müden Beine meist zu viel und sie reitet auf Mamas Schultern nach Hause.
Zeit zum Spielen bleibt dann nicht mehr, denn auch für das kleine Mädchen ist um 5 Uhr morgens die Nacht vorbei, damit Anne sie pünktlich um 6 in die Krippe bringen kann. Danach geht es im Dauerlauf bis zur Arbeitsstelle, die sie oft nicht pünktlich erreicht, weil immer irgendwas auf dem langen Weg nicht klappt. An die Blicke ihrer Kolleginnen hat sie sich gewöhnt. Versäumte Arbeitszeit arbeitet sie in der Mittagspause nach. Sie hatte die ewigen Rechtfertigungen satt.
Gemeinsam singt sie mit Kirsten, die in der Wanne planscht und dabei richtet sie das Abendbrot her und macht die Stullen für den nächsten Tag für sich und Fred, der auch bald nach Hause kommt.
Als Kirsten endlich schläft, studiert sie nun gründlich die Berichte in der Zeitung.
Sie wohnen jetzt schon 4 Jahre in der Laube und das Leben ist auch mit den zahlreichen Verbesserungen nicht viel einfacher geworden. Das Plumsklo wurde durch das kleine Bad mit Wanne ersetzt und im späten Herbst hatten sie sich einen neuen Brunnen gebohrt.
Nun muss sie das Wasser nicht mehr von der Handpumpe holen, sondern eine elektrische Pumpe im Keller unter dem Schuppen bringt das Wasser durch Leitungen ins Haus. Aber die sind noch nicht frostsicher, was bis zum Sommer auch ständig zusätzliche Arbeit erfordert.
Anne beginnt zu träumen. Eine Wohnung mit Fernheizung, warmen Wasser aus der Wand, kurze Wege zur Arbeit und zum Einkaufen und dann vielleicht ein zweites Kind. Als Fred endlich nach Hause kommt, sprudelt sie förmlich über.
Das zweite Kind wurde im Jahr darauf geboren. Sie waren nun auf eine Wohnung angemeldet und fast jeden Sonnabend schuftet sie auf Baustellen für die Eigenleistungen der Wohnungsbaugenossenschaft. Aber noch drei Jahre schaute sie auf dem langen Wegen voller Neid durch Fenster auf das bequeme Leben der anderer Leute.
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