Frühlingsgefühle
Bild: Helmut J. Salzer / pixelio.de
von Tina Gonschorek
Der Mann kämpfte sich verbissen mit seinen Krücken die wenigen Stufen zum Stadtpark hinab. Er wollte seine tägliche Runde drehen, auch wenn es ihm sehr schwer fiel.
Im November war er auf einem laubbedeckten Weg gestürzt und hatte sich den Fuß verletzt. Nun war es März und er konnte noch immer nicht richtig laufen. Frustriert setzte er sich auf die erste Bank und schaute trübsinnig vor sich hin.
Seine Familie und Freunde hatten gut reden. Alle sagten ihm, er müsse Geduld haben. Es würde schon wieder werden und wenn erst der Frühling käme, dann…
Ja nun war er da, der Frühling, aber nichts passierte. Er raffte sich auf, um bis zur nächsten Bank zu laufen.
Jeden Tag schaffte er es ein Stückchen weiter, aber da er so von seinen negativen Gefühlen überwältigt war, bemerkte er die Fortschritte gar nicht. Weder sah er die knospenden Bäume, noch roch er die belebende Frische in der Luft. Die leuchtenden kleinen Krokusse auf den Wiesen entgingen ihm genauso wie die spielenden Kinder, die fröhlich kreischend über die Parkwege tollten.
Bei der zweiten Bank angekommen, ließ er sich tief seufzend nieder. Dabei bemerkte er irritiert, dass die Pause noch gar nicht notwendig gewesen wäre und er es durchaus bis zur dritten Bank geschafft hätte. So machte er sich bald wieder auf den Weg und erreichte problemlos sogar die vierte Bank. Er nahm darauf Platz und verspürte ganz erstaunt ein kleines Gefühl der Freude und des Stolzes.
Dieses genießend fühlte er sich auf einmal beobachtet. Unsicher schaute er sich um, konnte aber niemanden sehen und nahm an, sich geirrt zu haben. Dann hörte er ein leises Kratzen und Winseln. Aufmerksam suchte er die Umgebung ab und entdeckte im Gebüsch gegenüber einen kleinen struppigen Hund, der ihn aus seinen braunen Knopfaugen verzweifelt anstarrte und hilflos mit der Pfote an einem Ast kratzte.
Mühsam erhob sich der Mann, um nach dem Hund zu sehen. Dieser hatte sich mit einem Stück Strick, das um seinen Hals gebunden war, im Gebüsch verfangen. Abwartend beobachtete der Mann den Hund, der nun laut und auffordernd bellte und jaulte. Dann bückte er sich und löste den Strick.
Sofort sprang der kleinen Hund aus den Sträuchern und hüpfte befreit und aufgeregt um den Mann herum. Dieser brummte: „So, nun lauf nach Hause, du kleiner Racker!“, und setzte sich wieder gemütlich auf seine Bank. Der Hund schaute ihn mit schräg gelegtem Kopf an, als überlege er, was nun zu tun sei.
Einen Entschluss fassend sprang er dem Mann mit einem riesigen Satz auf den Schoß und versuchte dessen Gesicht mit seiner Zunge zu erreichen, um ihm seine Dankbarkeit und Liebe zu bekunden.
Der Mann versuchte ihn halbherzig abzuwehren, musste dann aber doch lachen ob der ungestümen leidenschaftlichen Liebesbezeugung. Er begann, das zerzauste Fell des kleinen Hundes zu kraulen und zu glätten, um ihn zu beruhigen. Dies gelang ihm ziemlich schnell. Leise schnaufend und mit dem Schwanz wedelnd schloss der kleine Hund beglückt die Augen und genoss die Streicheleinheiten des Menschen, den er als „Seinen“ auserwählt hatte.
Das tiefe Vertrauen des Tieres übertrug sich auf den Mann. Er verspürte ein lang vermisstes Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit.
Plötzlich vernahm auch er den Gesang der Vögel und schaute ihnen nach, wie sie, von einem leichten Wind getragen, in der lauen Luft umeinander warben.
Jetzt sah er die Krokusse, die ihre lila und gelben Köpfchen der Sonne entgegen streckten, die strahlend am blassblauen Frühlingshimmel stand. Tief atmend nahm er auf einmal diesen bestimmten Geruch wahr. Den frischen Duft, den es so nur im Frühling gibt.
Und ganz langsam kam ihm die Erkenntnis, was alle meinten, als sie ihm gesagt hatten: „Es würde schon werden, wenn der Frühling kommt“. Es ist eben nicht nur die Jahreszeit an sich, sondern die ganz besondere Zeit der Erneuerung, des Aufbruchs, des Wandels, des Auftankens neuer Energie und letztlich der Hoffnung.
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