Ferien auf dem Lande

Ein Kranich auf einer Wiese am Waldrand

von Rudolf Winterfeldt

Heinz, neun Jahre alt, hatte noch eine Urgroßmutter. Sie wohnt auf dem Lande im Norden, in Mecklenburg/Vorpommern. Ihr kleines Bauernhaus steht einsam auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von Ackerland und Wiesen.

Alles insgesamt ist eingeschlossen von Kiefernwäldern. Ein Bächlein verbindet die zwei Seen, die sich links und rechts vom Anwesen befinden. Das Nachbardorf liegt drei Kilometer entfernt. Zwei weitere Häuser stehen noch in dieser Einsamkeit. Sie sind aber nicht mehr bewohnt. So wohnt nun die Urgroßmutter ganz alleine in ihrem Häuschen mitten in der Natur.

In den Ferien ist Heinz sehr oft mit seinen Großeltern in diese Idylle gefahren und hat ein paar Tage „Natur pur“ in sich aufgenommen. Heinz wohnt in einer Großstadt und kannte die Natur eigentlich nur aus der weiteren Umgebung. Waldtiere sah er bisher nur im Tierpark in Gehegen.

In diesem Sommer fand der „Landurlaub“ im August statt. Die Felder waren schon abgeerntet und das Wiesengras wartete auf den nächsten Schnitt. Die Natur war noch recht ansehnlich und die Temperaturen ausgesprochen sommerlich. Am schönsten waren die Stunden zum Sonnenaufgang. Die Natur erwachte aus ihrem Schlaf und die Stimmen der Vögel klangen wie im Konzert.

So war es auch an diesem Tag. Heinz hatte sein Frühstück gegessen und war nach draußen auf den Hof gegangen. Er spielte mit dem Hund „Karo“ und schaute nach, ob die Hühner auch fleißig beim Eierlegen waren. Plötzlich kam er ins Haus gelaufen und berichtete von einem „Geschrei“ aus Richtung der Wiesen, das er sich nicht erklären konnte. Opa ging mit nach draußen und beide lauschten den unbekannten Tönen.

Es war ein durchdringender Ton, wie aus einer Trompete, der über die Wiesen hallte und von den Waldrändern zurückgeworfen wurde. Opa wusste die Lösung, es war ein Kranich der sich dort bemerkbar machte. Er nahm seinen Enkelsohn bei der Hand und sie gingen in Richtung der Wiese. Heinz wusste nicht wie ein Kranich in der Natur aussieht. Opa wollte es ihm zeigen.

Vorsorglich hatten sie das Fernglas mitgenommen. Tiere in der Natur sind sehr scheu, erklärte Opa. Da kommt man oft nicht sehr dicht an sie heran um sie richtig beobachten zu können. Auch muss man die Windrichtung bei solchen Unternehmungen berücksichtigen. Man muss immer gegen den Wind, ohne Lärm und ganz langsam, also ohne heftige Bewegungen, an die Tiere heranschleichen.

So machten sie es denn auch und der Erfolg war dann auch sicher. In genügender Entfernung blieben sie im Gras sitzen und schauten sich um. Was sie dort mitten auf der Wiese sahen, war Lohn für ihre Bemühungen.

Mitten auf der Wiese standen drei prächtig anzusehende große Vögel – Kraniche. Ihr Gefieder schimmerte in der Morgensonne wobei ein schillerndes Grün, als Spiegelung des Grases auf dem grauen Gefieder, vorherrschend war. Die langen Schwanzfedern waren farbenprächtig anzusehen. Es handelte sich offenbar um den „Grauen Kranich“ der hier bei uns vorkommt.

Ihre langen Hälse waren gebeugt und mit langsamen, schreitenden Schritten suchten sie im Gras nach Futter. Heinz war aufgeregt und flüsterte dem Opa zu: „So etwas habe ich noch nicht gesehen, und wie groß die sind“. Es handelte sich um ein Pärchen mit einem Jungtier. Der größte Vogel, sie werden ca. 1,20 m groß, reckte plötzlich seinen Kopf in die Höhe und ließ einen schmetternden Ton hören.

Er war durchdringend laut und beiden lief ein Schauer über den Rücken. Heinz sah gebannt durch das Fernglas. So eine Vorstellung bekommt man nicht alle Tage geboten. Beide ließen dieses Schauspiel noch eine Weile auf sich einwirken. Die Vögel hatten sie offenbar nicht bemerkt. Sie suchten in aller Ruhe ihr Futter und von Zeit zu Zeit ließ das Männchen seinen Ruf erschallen.

Heinz und sein Opa begaben sich auf den Rückweg. So vorsichtig wie sie sich herangepirscht hatten, machten sie sich auf den Heimweg. Heinz hatte nun viel zu erzählen und Urgroßmutter und Oma hörten ihm geduldig zu. Es war ein Erlebnis, wie man es nur in der Natur selbst erleben kann. Sicher sind Tiere im Zoo auch gut zu bewundern, aber in der Natur sieht das doch ganz anders aus.

Für Heinz war es in diesem Jahr ein besonderes Ferienerlebnis. Er konnte später seinen Eltern und auch seinen Mitschülern davon berichten. Er war auch stolz darauf, dass ihm diese Beobachtung in der Natur so gelungen war. Wenn er später, beim Besuch der Urgroßmutter, diesen durchdringen Trompetenton hörte, erinnerte er sich und sagte voller Stolz: „Hör mal, die Kraniche schreien wieder!“