Das Montagspferd

Ein mageres Pferd auf einer Weide

von Rudolf Winterfeldt

Heute möchte ich eine Geschichte über eine kuriose Begebenheit aus dem Jahre 1959, als ich noch in der Feuerwache Schwerin meinen Dienst verrichtete, erzählen.
Wie auch heute noch üblich, erfolgte der Dienst über 24-Stunden im täglichen Wechsel. Wachablösung war jeden Morgen um 07.00 Uhr. Seit einiger Zeit kam jeden Montag früh eine Meldung in unserer Zentrale an, die uns zu einem Einsatz rief.

In der Stadt gab es einen Kleinspediteur, der mit einem Einspänner-Pferdefuhrwerk kleinere Güter transportierte und damit seinen Lebensunterhalt verdiente. Im Hinterhof eines kleinen Einfamilienhauses befand sich für das Pferd ein entsprechender Stall. Bekanntlich schlafen Pferde ja im Stehen.

Dieses Pferd allerdings war schon ein altersschwaches Ross und seine Füße konnten übers Wochenende seine Last nicht mehr tragen. Einmal im Schlaf eingeknickt und auf dem Boden gelandet, war dieser Gaul nicht mehr in der Lage, aus eigenen Kräften wieder auf die Beine zu kommen. Der Besitzer rief uns um Hilfe.

Ein Einsatzfahrzeug, das mit drei Mann Besatzung ausrückte, war der Schlauchwagen. Auf diesem Fahrzeug befand sich in der Ausrüstung ein Tierhebegerät. Das war ein größerer Dreibock mit einer Seilwinde. Dazu gehörte eine sehr stabile Hebedecke von ca. 1 × 3 m Größe, die an den Querseiten jeweils eine Öse hatte. Ein weiteres Utensil war eine fingerstarke Stahlnadel von ca. 2 m Länge mit einem Haken am Ende.

Die Mannschaft wurde also zum Einsatzort geschickt und begann dort mit dem Aufbau des Dreibocks im Pferdestall. Schon diese Arbeit war nicht ganz einfach. Genügend Platz war nicht vorhanden, aber standsicher musste die ganze Sache schon sein. Als es geschafft war, galt es nun, dem liegenden Pferd die Hebedecke unter seinen Leib durchzuziehen.

Das ist auch nicht so einfach, weil das Pferd dabei meistens scheut. Der Besitzer beruhigte sein Tier aber in jedem Fall. Die Stahlnadel wird also unter dem Pferd durchgeschoben, die Hebedecke eingehakt und dann mit kräftigen Zügen unter dem Pferd durchgezogen. Beide Enden der Decke werden nun mit ihren Ösen in den Seilhaken eingeklinkt und mit der Seilwinde das Pferd in der Hebedecke angehoben.

Das muss relativ langsam geschehen, damit sich das Tier etwas in der Decke drehen kann und mit den Füßen zur Erde zum Hängen kommt. Wenn das geschafft ist, wird alles langsam wieder abgelassen, bis das Pferd auf seinen eigenen vier Füßen steht.

Jetzt wird die Hebedecke abgenommen und das Pferd ins Freie geführt, damit es sich beruhigen kann. Der Abbau der Gerätschaften ist nun die letzte Amtshandlung und zurück geht es ins Kommando.

Dieser konkrete Einsatz wiederholte sich eine ganze Weile. Irgendwann war es dann aber wohl mit dem Tier zu Ende gegangen. Die Anrufe am Montag blieben aus. Unser Montagspferd gab es nicht mehr.