Eine mysteriöse Schulstunde
Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de
von Wolfgang Prietsch
Als im Herbst der Schulunterricht wieder begann, war mein 13jähriger Enkel Bastian, überall Basti genannt, noch den letzten Tag mit seiner Mutter im Urlaub (das Urlaubsende ließ sich wirklich nicht passend zum Schulanfang realisieren: Sie hatten die Fähre über die Ostsee verpasst und kamen erst am ersten offiziellen Schultag weiter).
Nachdem unsere Tochter und Basti wieder zu Hause waren, ging er noch am Rückkehrtage zu seinem Schulfreund, um sich den neuen Stundenplan abzuschreiben.
Da unsere Tochter gleich am nächsten Tag für mehrere Tage zu einer Fachtagung fahren musste, sprangen wir, Oma und Opa, ein, und übernahmen Betreuung und Versorgung von Basti.
Laut Stundenplan, den Basti vom Schulfreund abgeschrieben hatte, sollte die Schule an seinem nunmehrigen ersten Schultag nach der 6. Stunde beendet sein.
Er kam aber schon nach der 5. Stunde nach Hause.
Auf meine Frage nach dem Grund dafür antwortete er in bekannter Ausführlichkeit:“Weiß nicht“.
Auch am zweiten Tag kam er früher, als es im abgeschriebenen Stundenplan ausgewiesen war.
Meine Nachfrage ergab ein kurzes Schulterzucken, dann verschwand er in seinem Zimmer und ward bis zum Abendessen nicht mehr zu sehen.
Am dritten Tag begehrte ich ausführliche Einsicht in den Stundenplan, was mir als dem jetzt für sein leibliches Wohl mit zuständigen Opa auch großmütig gewährt wurde.
Als vorletzte Stunde war mehrmals „Navi“ eingetragen. Was das denn sei, fragte ich, und nahm mit Staunen an, das es sich hierbei um das Erlernen der optimalen Orientierung im Gelände und auf der Landkarte handeln würde. Vielleicht arbeiten sie in der Schule auch schon mit elektronischen Navigationsgeräten, wie wir eines davon in unserem PKW haben. Ich fand das erstaunlich modern und sehr lebensnah.
Als ich Basti dann aber fragte, was denn da so im Unterricht gemacht wird, erzählte er im sms-Kurzstil, dass sie da über Bäume, Täler, Tiere, gestern auch über Vulkane gesprochen haben. Mehr war nicht rauszubekommen. Ich verstand nicht ganz, wie das mit Navigation zusammen hängen soll.
Über den Inhalt der letzten Unterrichtsstunde, im Stundenplan mit „OMP“ bezeichnet, war ihm nichts bekannt, da diese Stunde bisher immer ausgefallen war.
Jetzt wollte ich aber doch wissen, was es mit diesen beiden letzten Stunden auf sich hat.
Ihn schien das aber wenig zu interessieren, positiv war, dass und nicht warum die letzte Stunde immer ausfiel. Auf mein nervendes Gefrage stellte er dann aber doch die Vermutung an, dass der OMP-Lehrer vielleicht erkrankt sei. „Die anderen gehen auch immer vor der OMP-Stunde nach Hause“ , sagte er, „und keiner hat je gesagt, warum das so möglich ist.“
Als sein Schulfreund am nächsten Tag nach der Schule bei uns zu Besuch war, fragte ich diesen nach dem Unterrichtsinhalt der Navi- Stunde und nach der ominösen OMP-Stunde.
Meinen Wissensdurst schien er als unbegreiflich anzusehen, und es bedurfte eines längeren guten Zuredens, bis ich eine einigermaßen verständliche Antwort erhielt ( man beherrscht als Opa eben den modernen kryptischen Stil pubertierender Jugendlicher nicht so ganz umfassend): Erstaunliches kam zu Tage!
Navi steht für „Naturwissenschaften“! Beim lästigen Abschreiben des Stundenplanes wurde bereits vom Schulfreund in vollkommener Lässigkeit einfach „v“ statt „w“ geschrieben und von Basti ohne jegliches Hinterfragen einfach fortgeschrieben.
Und OMP? Was mag wohl OMP sein?
Bastis Schulfreund lächelte auf meine gezielte Frage: „OMP ist gar nichts, zumindest kein Schulfach!“ Das hat er beim abschreiben des Stundenplanes immer unter die letzte Stundeneintragung geschrieben, gewissermaßen zur Ablenkung und Entspannung. Das sei nämlich sein Kürzel für die (hoffentlich legale) Graffiti- Wand! Und die Kalligrafie dieses Kürzels hat als Spaßfaktor natürlich einen ganz anderen Stellenwert als so ein belastender Stundenplan.
Mehrmals im folgenden Schuljahr haben wir Basti gefragt, wie denn das Schulleben so ohne OMP verläuft.
Knapper kann eine Antwort wohl nicht ausfallen: „Geht so“.
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