Mondfinsternis

Schlafende Katze

von Waltraud Käß

Es war diese besondere Stimmung, nicht mehr Tag und noch nicht Nacht, die er so liebte. Der Tag klang aus, die Sonne verschwand langsam aus seinem Blickfeld. Ihre Strahlen färbten den Horizont erst orange und dann blutrot.

Die letzten Wolken am Himmel, die mit den anderen noch nicht abgezogen waren, bekamen einen letzten Gruß. Dann überließ die Sonne der einbrechenden Dämmerung die Vorherrschaft. Es würde ein schöner Abend werden. Und die Menschen warteten gespannt auf die voraus gesagte Mondfinsternis.

Aus der Nachbarschaft hörte er Stimmengewirr, da und dort den hellen Klang gefüllter Gläser. In Schwaden zog leichter Bratwurstduft durch die Gärten. Leises Lachen flirrte durch die Luft, die an diesem Abend samtig warm über der Terrasse stand. Am Tisch saßen Anne und ihr neuer Freund.

Auch die Beiden waren von dieser besonderen Stimmung erfasst. Er aber räkelte sich auf dem Polster der Hollywoodschaukel und machte sich seine Gedanken über Gott, die Welt und diesen Fremden auf seiner Terrasse.

Er konnte ihn noch nicht einschätzen und schaute deshalb aus den Augenwinkeln misstrauisch zu ihm hinüber. Schließlich machte der ihm seinen Platz an Annes Seite streitig. Er erschrak ein wenig, als ein zartes Klingen an sein Ohr drang und sah, dass sich die beiden mit Rotwein gefüllten Gläser über dem Tisch trafen. Als Anne und der Fremde sich küssten, schaute er weg, das ertrug er nicht.

Sein Blick wanderte hinüber zum Nachbargrundstück von Frau Schmidt. Frau Schmidt war im Haus, aber sie saß auf der Terrasse. Sie, die ihn sehr interessierte. Sie war neu, erst vor kurzem hierher gezogen. Er hatte sich hinter der Hecke versteckt und sie beobachtet, wenn sie den Garten erkundete.

Sie war schlank, lief sehr graziös, und wenn die Flaumhärchen, von der Sonne getroffen, silbern auf ihrem schmalen Nacken aufleuchteten, bekam er eine Gänsehaut. Ganz klar: Er war verliebt. Sie war das Schönste, was ihm bisher begegnete.

Er hätte sich gern für heute Abend mit ihr verabredet. So einen Abend musste man ganz einfach zu zweit verbringen. Doch auf seinen Spaziergängen traf er sie niemals alleine an. Ihre Begleiterin war streng und er traute sich nicht, sie anzusprechen. Dann versuchte er im Garten ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Er spielte auf dem Rasen wie verrückt mit dem Ball, stieg auf die Leiter, um sie verliebt anzuhimmeln, sie, die auf der Terrasse saß und ihn keines Blickes würdigte. Heimlich hatte er ihr schon zweimal ein kleines Geschenk vor die Hollywoodschaukel gelegt. Doch am nächsten Tag lag es wieder in seinem Garten.

Er hatte die aktuellsten Songs für sie laut mitgesungen. Das brachte ihm den Vorwurf des ruhestörenden Lärms ein. Alles war vergebens. Er war traurig. Kein Wunder, dass es ihn störte, wenn Andere sich küssten.
Heimlich schlich er sich aus dem Garten. Er würde ein wenig in der Siedlung spazieren gehen. Es gab so schöne Ecken, die er immer wieder besuchte.

Bestimmt würde er bei Nachbar Bartsch vorbei schauen. Seine Vogelvoliere mit unzähligen Wellensittichen in allen Farben hatte es ihm angetan. Stundenlang konnte er davor sitzen und ihrem Gesang lauschen. Gerne wäre er zwischen ihnen gewesen, doch Nachbar Bartsch ließ keinen Fremden in seine Voliere.

Ganz anders Frau Brumme. Die Seerosen in ihrem Teich waren bereits voll erblüht. Ab und zu erlaubte sie ihm, am Teichrand den Fischen zuzusehen, diesen wundervollen japanischen Koi`s. Es reizte ihn sehr, nur einmal einen von ihnen anzufassen. Doch das hatte Frau Brumme strikt verboten. So saß er an diesem Abend wieder allein, schaute zum Himmel in den aufgehenden Mond und hing seinen Gedanken nach.

Warum machten nur alle so ein Theater um die angekündigte Mondfinsternis? Er konnte nichts dabei finden. War es denn was Besonderes, wenn der Schatten der Erde auf den Mond traf? Ihm wäre lieber gewesen, mit ihr, die er so verehrte, eng umschlungen bei Vollmond hier an diesem Teich zu sitzen. Doch das blieb wohl nur ein Traum.

Seufzend erhob er sich und schlenderte von dannen. Es war spät geworden, Frau Brumme löschte bereits das Licht. Nur eine Kerze brannte auf dem kleinen Tisch, damit sie die beginnende Mondfinsternis auch gut sehen konnte.

Die Dunkelheit kam plötzlich, doch er kannte den Weg zurück zu seinem Garten. Nicht weit von sich gewahrte er einen Schatten. Es war jemand in seiner Nähe. Sie war es, sie, die er so liebte. Das war ihr Duft. Mit schnellen Schritten war er bei ihr. Als er sie streichelte und liebkoste, ließ sie ihn gewähren.

Inzwischen waren seit der Nacht der Mondfinsternis mehrere Wochen vergangen. Immer wieder versuchte er, sich seiner Liebsten zu nähern, doch die Entfremdung war unüberbrückbar. Hatte sie etwa einen Anderen? Die Eifersucht machte ihn rasend. Sie schaute nicht zu ihm herüber und als er sie doch eines Morgens hinter der Hecke erwischte, fauchte sie ihn an, sie in Ruhe zu lassen.

Dann entdeckte er, dass sie nicht mehr so schlank und verführerisch aussah und sich sehr träge in ihrem Garten bewegte. Sein Interesse ließ nach. Wenn sie nicht wollte – andere Mütter hatten auch schöne Töchter.

Der neue Freund von Anne war inzwischen bei ihnen eingezogen. Die Sommerabende verbrachten sie nun zu dritt auf der Terrasse. Heute war wieder so ein Abend, an dem er nicht bei Anne sitzen durfte. Aber die Hollywoodschaukel war auch nicht zu verachten. Er räkelte sich, rutschte einige Male hin und her, bis er den günstigsten Platz gefunden hatte.

Er hörte Anne zu ihrem Freund sagen:“ Hast Du drüben die vier niedlichen Kätzchen gesehen? Jedes hat eine andere Farbe. Ich möchte wirklich mal wissen, ob unser Kater Schmidt`s Katze auch mit geschwängert hat, dieser Schlawiner. Schau ihn Dir an. Liegt da, als könnte er kein Wässerchen trüben.“

Er, der kleine, verliebte Kater träumte derweil von einer neuen Mondfinsternis und seiner Liebsten, und davon, dass er und sie und die süßen Kleinen vielleicht doch noch eine Familie werden könnten.