Schokoladenostereier

Ei und Osterhase auf einem Tisch

von Hannelore Dehl

Der Osterhase Willy ächzte mit einem Korb voller Ostereier durch die Gärten. Es fiel ihm schwer, den prall gefüllten Korb viele Kilometer zu tragen, um jedem Kind ein Ei schenken zu können. Er war schon ziemlich alt und musste eine Brille mit dicken Gläsern auf seine Nase setzen, damit er nicht über Äste und Steine stolperte.

Denn sonst würde es passieren, dass beim Hinfallen seine Ostereier aus dem Korb kullerten und entzwei gingen. Das wäre fatal, hatte sich doch Willy wochenlang Mühe gegeben, die Eier mit Zuckerfarbe zu verzieren.
In diesem Jahr sollte es für die Kinder etwas Besonderes, mal etwas Anderes geben – Schokoladen- und Marzipan-Eier. Ihm war zu Ohren gekommen, dass sie diese besonders gern mögen.

Willy war schon ziemlich weit gelaufen. Jetzt wollte er sich eine kurze Pause gönnen. Er nahm seinen Korb von den Schultern, stellte ihn vorsichtig ab und legte sich unter einen Haselnussstrauch. Wie er da so lag und von zuhause träumte, stieg ihm der süße und sahnige Schokoladenduft in die Nase.

Das Wasser lief ihm in seinem Maul zusammen. „Ich könnte wenigstens ein Ei kosten“, flüsterte er sich zu und drehte sich nach allen Seiten um, ob er auch von keinem beobachtet werde. Noch nie hatte er ein Ei aus seinem Korb stiebitzt, all die Jahre nicht. „Ein Ei wird ja nicht auffallen und verdient habe ich es allemal“, mümmelte er in sich hinein.

Gesagt, getan, schon war ein buntes Ei in seinem Maul gelandet. Ganz langsam, sozusagen genüsslich, ließ er die Schokolade auf seiner Zunge zergehen, schloss dabei seine Augen und lächelte zufrieden vor sich hin. Lecker!

Doch er musste weiter. Mit der Zunge leckte er die letzten Krümel aus Schokolade und Marzipan von seinem Maul, sprang entschlossen auf und warf sich den Korb auf die Schultern. Mit großen Schritten lief er weiter, denn die Kinder warteten bereits ungeduldig auf ihre Ostereier.

Er sah sie schon über die Wiesen laufen und unter den Bäumen suchen. Willy verteilte alles, was er in seinem Korb hatte – bis er leer war. Schon wollte er den Rückweg nach Hause antreten, da sah er in einem Garten den kleinen Jonathan weinen. Seine Schultern hüpften hoch und runter, die Tränen kullerten die Wangen entlang.

Obwohl er unter den Sträuchern, Hecken und zwischen den Blumen gesucht hatte, fand er kein einziges Ei. „Der Osterhase hat mich vergessen!“ rief er laut. Auch Mama und Papa konnten ihn da nicht trösten.

Als Willy das sah und hörte, bekam er ein mächtig schlechtes Gewissen. Er hatte das Ei von Jonathan aufgegessen! Da schämte er sich fürchterlich und überlegte, wie er das wieder in Ordnung bringen könne. Er flitzte zurück in die Schokoladenfabrik, doch alle Eier waren bereits ausgeliefert.

Es gab keine Schokolade, alle Farbtöpfe waren leer. Willy suchte in allen Winkeln der Fabrik. Bis er etwas fand, das er nur für Jonathan tat, zum ersten Mal in seinem Hasenleben. Er knetete, formte mit Geduld und all seiner Phantasie, die ihm zur Verfügung stand. Fertig! Schnell, schnell zu Jonathan, damit er nicht weg läuft, den ganzen Tag traurig ist.

Ganz vorsichtig nahm Willy sein fertiges Stück in die Pfote und rannte wie ein Kugelblitz zum kleinen Jonathan. Der saß immer noch ganz traurig im Garten. Der Osterhase stellte sein Stück mitten auf den Weg, damit der kleine Junge bald die Überraschung erblickte.

Jonathan wollte gerade mit seinem leeren Körbchen wieder in das Haus gehen, da wäre er doch beinahe auf etwas getreten! Was war das? Ein kleiner Hase, ein Marzipanhase stand mitten auf seinem Weg, lachte ihn an mit hoch aufgerichteten, langen Ohren. So etwas Schönes hatte ihm noch nie der Osterhase gebracht.

Überglücklich und ganz vorsichtig setzte er seinen kleinen Hasen in das Körbchen. Der Osterhase hatte ihn doch nicht vergessen!
Willy ging zufrieden nach Hause und beschloss: Nie, nie wieder esse ich dem Jonathan ein Osterei weg. Lieber esse ich im nächsten Jahr in der Pause ein Hasenbrot.

Allen Lesern des Magazins „Spätlese“ wünsche ich ein frühlingshaftes Osterfest.