Ein Wintertag voller kleiner Glücksmomente
Bild: Wir helfen Kindern e.V.
von Petra Kesse
An diesem Morgen war Katja schon früh auf den Beinen. ›Schnell einen Kaffee und zwei Toast, danach geht’s ran an die Arbeit‹, dachte sie während sie aus dem Bad in die Küche eilte. Sie schaltete das Radio ein und nahm die Kaffeedose aus dem Schrank. »7 Uhr 32«, trällerte der Radiomoderator gut gelaunt. »Der Tag ist noch jung! Was machen Sie daraus? Nehmen Sie sich heute eine Auszeit und gönnen sich etwas Schönes? Eine kleine Freude? Oder wird’s mal wieder ein Tag wie jeder andere? Rufen Sie mich an und berichten!«
»Ja, ich gönne mir etwas Schönes: Aufräumen, Bügeln, Einkaufen«, murmelte Katja ironisch und öffnete die Kaffeedose. Doch dann überlegte sie. Der Typ im Radio hatte recht! Wieso eigentlich nicht? Trotz der Arbeit, die auf sie wartete, könnte sie sich doch erstmal etwas Schönes gönnen. Eine heiße Schokolade! Die hatte sie schon ewig nicht mehr getrunken. Katja schloss die Kaffeedose und stellte sie zurück in den Schrank. Dann setzte sie einen Topf mit Milch auf, nahm ein paar Esslöffel davon ab und verrührte sie mit Kakao und Zucker. Als die Milch kochte, zog sie den Topf vom Herd und rührte die glänzende Kakaomasse hinein.
Sofort färbte sich das Weiß in ein warmes Braun und ein köstlicher Schokoladenduft stieg in ihre Nase. Genüsslich schloss Katja die Augen. »Herrlich«, schwärmte sie. Dann goss sie den Kakao in ihren Lieblingsbecher und ging ins Schlafzimmer. Sie nahm sich ein kleines Kissen, schob die Blumentöpfe beiseite, und setzte sich auf die breite Fensterbank. Sie liebte diesen Platz, von dem man einen wunderbaren Blick hinunter auf die Straße hatte. Irgendetwas gab es immer zu sehen. Jetzt war es Max, der schwarze Pudel ihrer Nachbarin, der sich im Schnee wälzte und anschließend kräftig schüttelte.
Sein Frauchen, eine freundliche alte Dame, amüsierte sich köstlich darüber. ›Der Winter hat auch seine schönen Seiten‹, dachte Katja schmunzelnd. Entspannt wölbte sie die Hände um den Becher und betrachtete verträumt den hellblauen, wolkenfreien Himmel. Dann ließ sie ihren Blick über die Baumkronen schweifen. Die ersten Sonnenstrahlen hatten sich in ihnen verfangen und der Schnee, er auf den Ästen lag, funkelte wie kleine Diamanten. Sie nippte an der heißen Schokolade und dachte an die Worte des Radiomoderators. Was wäre, wenn sie sich an diesem traumhaften Wintertag tatsächlich eine Auszeit nehmen würde? Die Sonne und der blaue Himmel luden geradezu nach einem Spaziergang ein. Während sie darüber nachdachte, sah sie ihre Nachbarin Marina um die Ecke kommen.
Die junge Frau war mit ihren drei Kindern erst vor kurzem ins Mehrfamilienhaus eingezogen. Katja hatte gehört, dass Marina alleinerziehend war und ihr Exmann zurzeit keinen Unterhalt zahlte. Die junge Frau kam gerade so über die Runden und musste jeden Cent umdrehen. Katja beobachtete, wie die junge Frau angestrengt den Kinderwagen durch den hohen Schnee schob, während ihr sechsjähriger Sohn Luke an ihrem Arm zerrte. Nur Emma, seine Zwillingsschwester, lief brav nebenher. Mitfühlend betrachtete Katja die kleine Familie und plötzlich kam ihr eine Idee. Sie trank ihren Kakao aus, dann schlüpfte sie in Stiefel und Daunenjacke, wickelte sich ihren Wollschal um und verließ das Haus.
Zunächst gönnte sie sich einen langen Spaziergang durch den Stadtpark. Zwischendurch setzte sie sich auf eine Bank und hielt ihr Gesicht genüsslich in die Sonne. Dabei dachte sie an die Idee, auf die sie der Anblick von Marina und ihren Kleinen gebracht hatte. Wie ein Kind freute Katja sich darauf, sie umzusetzen. Also machte sie sich auf den Weg zum Supermarkt und besorgte alles, was sie brauchte und kehrte nach Hause zurück – mit roten Wangen und einem entspannten Lächeln! Sie legte ihre Weihnachts-CD ein und nahm zur Melodie von Leise rieselt der Schnee all die Köstlichkeiten aus dem Einkaufskorb, die sie besorgt hatte.
Marzipan, Vanilleschoten, Mandeln, Haselnüsse und noch einiges mehr. Fleißig begann sie verschiedene Teige anzurühren. Als erstes wanderten Nussplätzchen in den Ofen, die schnell einen herrlichen Duft verbreiteten. Ihnen folgten Vanillekipferl, Mandelhörnchen, Zimtsterne und Spritzgebäck. Zuletzt füllte Katja eine Muffinform mit Schokoladenteig und schob sie in den Ofen. Als die Muffins fertig waren, bestrich sie sie mit geschmolzener Schokolade, streute bunte Streusel darüber und platzierte sie auf einen Teller. Daneben legte sie Zimtsterne, Vanillekipferl und Nussplätzchen. Mittlerweile war es später Nachmittag und bereits dunkel geworden.
Marina war mit den Kleinen ganz sicher wieder zuhause. Katja nahm den Teller, ging hinunter zu Marinas Wohnung und klingelte. Es dauerte etwas, doch dann öffnete Emma die Tür. »Meine Mama ist nicht da. Wer bist du denn?« »Ich bin Katja, ich wohne über euch. Wir haben uns schon oft auf der Treppe gesehen. Du bist Emma, stimmt’s?« Die Kleine nickte. »Meine Mama ist mit Ben beim Doktor. Ben ist mein kleiner Bruder und der hat ganz tüchtig Fieber und Luke guckt fernsehen«, erklärte Emma, während sie mit großen Augen auf die
bunten Muffins starrte. »Die sehen aber toll aus! Ich mag so was ganz doll. Ben noch nicht, der hat noch keine Zähne.« Katja schmunzelte. »Na, da habe ich ja Glück, dass du so was magst. Ich habe die Muffins und Kekse nämlich extra für euch gebacken. Ich möchte sie euch schenken!« »Wir haben aber ja gar nicht Geburtstag oder so.«
»Trotzdem möchte ich sie euch schenken.« »In echt?« »In echt!«, wiederholte Katja lachend. »Cool«, rief Emma und hüpfte ein paar Mal auf und ab. »Aber versprich mir, dass ihr wartet, bis eure Mama zurück ist, bevor ihr davon nascht!« Emma nickte aufgeregt. »Versprochen!« Ihre Augen strahlten als sie Katja den Teller abnahm und ihn vorsichtig in die Küche balancierte. Katja sah ihr kurz nach, dann zog sie die Tür zu und ging zurück in ihre Wohnung. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so gut gefühlt, wie in den letzten Stunden. Sich Zeit für sich zu nehmen, hatte ihr gut getan. Doch die größte Freude hatte ihr Emma bereitete. Das Strahlen in den Augen des kleinen Mädchens war unbezahlbar. Katja war sich sicher, diesen Tag würde sie nie vergessen – diesen besonderen Wintertag voller kleiner Glücksmomente.
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