Der Sommer meiner Kindheit…
Bild: Karin Kienberger
von Helga Licher
Meine Großeltern waren für mich ganz besondere Menschen…
In der heutigen Zeit, die von Hast und Lärm geprägt ist, erinnere ich mich noch oft an meine Großeltern. Von ihnen bekamen meine Geschwister und ich die Aufmerksamkeit, die unsere Eltern uns oft nicht geben konnten. Oma und Opa hatten das wertvollste Gut, was vielen Eltern, früher und auch noch heute, fehlt. – Zeit…
Wenn meine Geschwister und ich aus der Schule kamen, blieb uns nicht viel Zeit zum Spielen. Jeder von uns bekam eine Aufgabe zugeteilt. Meine Brüder fegten den Hof und fütterten die Hühner und die Kaninchen. Ich half meiner Mutter bei der Gartenarbeit und beim Kochen.
Ungeduldig warteten wir stets auf die Schulferien. In dem alten Haus, am Rande des Waldes, in dem meine Großeltern lebten, durften meine Geschwister und ich so manches Mal die Sommerferien verbringen. Das kleine Haus stand abseits der Dorfstraße und wurde eingerahmt von einem wunderschönen Garten mit vielen alten Obstbäumen. Auf der nahegelegenen Weide grasten Schafe und Ziegen. Ich tollte mit meinen Geschwistern auf der Wiese umher und wir spielten Verstecken oder Gummitwist.
Neben der verwitterten Haustür blühte ein weißer Fliederbusch, der im Frühjahr tausende von Bienen anlockte. Der Garten meiner Großeltern war im Sommer ein Paradies für uns Kinder. Nie war ich so glücklich, als in den Ferien bei Oma und Opa.
Abends, wenn die Sonne unterging, trieb der Bauer seine Kühe durch das Dorf zum Stall. Die Kinder aus der Nachbarschaft liefen ihnen nach. Und wenn wir später müde und hungrig nach Hause kamen, duftete es aus der Küche nach Bratkartoffeln und frischem Apfelmus. Meistens saß Großvater bereits am Tisch und blickte uns über den Rand seiner Brille tadelnd entgegen, wenn wir beim Spielen wieder einmal die Zeit vergessen hatten. Doch das Blinzeln seiner Augen verriet mir, dass er uns nicht böse war.
Und wenn Oma uns zum Nachtisch ein Brot dick mit Margarine bestrich und Zucker darauf streute, war die Welt für uns wieder in Ordnung. Wir fühlten uns geborgen – in dieser kleinen, heilen Welt.
Heute weiß ich, dass es sie gab – trübe Regentage, heftige Gewitterstürme und kalte Nächte… In meiner Erinnerung jedoch waren die Sommertage für mich und meine Geschwister unbeschwert und fröhlich. Die Sonne brannte heiß vom wolkenlosen Himmel, und die Luft flimmerte vor unseren Augen. Wir lagen im Schatten der mächtigen Kastanie und sahen den Bienen zu, die in den Blumenkelchen nach Nektar suchten. Das träge Summen der fleißigen Tierchen machte uns müde, und nicht selten fielen uns irgendwann die Augen zu. Ich träumte von Elfenkindern, die in dem alten Pflaumenbaum wohnten und über Zauberkräfte verfügten. Leider habe ich eines dieser Elfenkinder nie zu Gesicht bekommen.
Mein Opa war ein sehr weiser Mann. Er sagte oft:“ Willst du mit essen, so musst du auch dreschen.“ Als Kind habe ich das nie verstanden. Heute weiß ich was er meinte. Jeder sollte dazu beitragen, dass alle Menschen satt werden.
Meine Großeltern hatten nicht viel Geld, und dennoch waren sie zufrieden mit dem was sie besaßen. Opa war handwerklich sehr geschickt und baute viele Dinge, die in der Landwirtschaft benötigt wurden, selber. Jeden Morgen , wenn die Sonne ihre ersten Strahlen über das Land schickte, fuhr er mit seinem alten, klapprigen Fahrrad durch das Dorf, immer auf der Suche nach Arbeit. Oma baute im Garten Gemüse an, und im Herbst wurden zentnerweise Kartoffeln eingekellert.
Sie strickte aus Schafwolle für uns Kinder Pullover und Strümpfe. So lernten wir von klein auf, dass man vieles, was die Natur uns schenkt, verwerten konnte. Sie machte uns auf das aufmerksam, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Die Sommerferien bei meinen Großeltern gehören zu meinen glücklichsten Kindheitserinnerungen, und ich frage mich – wo ist es geblieben – das Glück meiner Kindheit? Kann ich es irgendwann zurück holen? Doch die Wirklichkeit wird irgendwann zur Erinnerung.
Noch immer esse ich Bratkartoffeln mit Apfelmus für mein Leben gerne, doch hat es nie wieder so gut geschmeckt, wie damals in der Küche meiner Großeltern. Den Duft reifer Erdbeeren und den Geruch üppig blühender Rosen habe ich noch heute in der Nase.
Als meine Großeltern starben, ist die Welt um mich herum etwas kälter geworden. Das kleine Haus mit dem verrosteten Gartentor, am Rande des Waldes, gibt es nicht mehr. Ich gehe die Straße entlang, um nach dem Ort meiner Kindheit zu suchen. Ich finde ihn nicht mehr…
Doch wenn ich meine Augen schließe, träume ich mich zurück in den Sommer meiner Kindheit.
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