Mach Dir keinen Kopf

kopflose schwebende Person im Anzug auf einem Weg

von Francois Loeb

„Musst Dir keinen Kopf darüber machen, dass du mir den Kopf machst“, sprach meine geliebte Lebenspartnerin unter dem Farn-Baum, den ich in Anbetracht der Erhaltung der Artenvielfalt für sie und mich als Schattenspender in jahrzehntelanger harter Arbeit gezüchtet habe, für mich befreiend laut aus! Was war das für eine Lastentfernung meiner Seele. Denn fünfzehn Jahre ein Kopfmachen zu ertragen, ist schwer vorstellbar. Doch wenn wie ich es erlebt, leicht nachvollziehbar, allerdings dabei Zukunftsschatten werfend. In dieser langen Leidenszeit ist einiges geschehen.

Das begann damit, dass ich an meinem kahlen Schädel ein Prickeln verspürte, das immer intensiver wurde. Dann von einem ekelhaften Jucken abgelöst wurde, das hierauf zu einer mittelgroßen Beule sich entfaltete, mich morgens im beim Rasieren das Spiegelbild betrachtend immer wieder kräftig erschreckte. Ich versuchte dieses Gewächs zu übersehen. Blendete es einfach aus. Legte einen virtuellen Schatten darüber.

Bemühte mich tapfer nicht daran zu denken. Nicht einmal an das Ausblenden, das mich große Kraft kostete an meiner Substanz, wie ein hungriger Fuchs an einem Hühnerknochen nagte. Das Jucken wurde dann zu einer Obsession. Ob es tatsächlich vorhanden war oder nur in meinen Gedanken, war nicht mehr festzustellen. Ich konsultierte das ganze Netz in allen Sprachen, die ich mir übersetzen ließ, um hinter dieses eigenartige Phänomen zu gelangen. Leidensgenossen zu finden, um mich mit diesen auszutauschen.

Leidensgenossinnen ließ ich dabei das Geschlechter Equilibrium außer Acht lassend, links liegen, hatte doch das weibliche Pendant des menschlichen Geschlechts der wuchernden Haarpracht wegen sich mit solchen banalen Leidensgeschichten nicht herumzuschlagen. Wurde nicht fündig. Beschloss deshalb alle Vorsicht rechts liegenzulassen, kratzte an der besagten Beule. Sanft zuerst, um dann mit Heftigkeit einen Nachschlag auszuführen. Und da geschah es. Die Beule brach auf.

Ein kleiner Kopf, ein Köpfchen wurde geboren. Ward auf einmal sichtbar. Ein Köpfchen, das seiner Mutter, also meinem Kopf erstaunlich ähnlich sah. Zwar beinahe faltenlos. Kein Wunder, dachte ich im Einklang mit der Neugeburt, da viel jünger, vom Leben noch nicht gebeutelt. Die Verderbtheit wird schon noch kommen, dachte ich in meinen Originalgedanken, während das Kleine sich dagegen unmittelbar und sofort grundsätzlich wehrte. Das Original in seinem Denken nicht zulassen wollte, war doch ewige Jugend des Köpfchens Lebensziel.

Aber da sah ich mit meinen alten Augen, die in meinem Kopf eine ruhige Pupillenkugel schoben, Gerechtigkeit entstehen, denn auf dem frisch entstandenen wuchs eine winzig kleine Beule. Ekelerregend rasch. Und markant. Diesmal nicht rund, sondern eckig wie ein perfektes Quadrat. Es juckte nun erneut, aber jetzt in beiden Köpfen, auf dass beide Hände zuschlugen und ein sturer Querschädel das Licht meiner Welt erblickte. Der wiederum sein kompromissloses Denken in eigene Gedanken goss, als seien diese eine Glocke, die mich und das gewachsene Köpfchen mit ihrem Bimmeln bedrängten, auf seine einzige und einmalige Richtigkeit pochte.

Mein Schädel drohte dadurch zu platzen, so vehement hämmerte das Geläute an meine Schädeldecke. Da erhob sich ein Brummen und Summen. Gedankenkäfer umkreisten das Dreigestirn der sich ärgernden und schmerzenden Köpfe. Die gedanklichen Insekten begannen sich am Hirnnektar zu erfreuen, befruchteten es dabei, worauf nach gebührlicher Wachstumszeit weitere Beulen und daraus nach entsprechendem Kratzen Köpfe entstanden, damit mein Haupt bis zur Unzierde schmückten.

Welche Erleichterung mir die Absolution, die meine Lebenspartnerin mir damals gewährte darstellt, kann sich nur vorstellen, wer so viele Köpfe besitzt wie ich heute. Dadurch kann ich mich vielköpfig, so wie ich jetzt immer noch gestaltet bin, ganz dem Schutz der Farnwälder widmen, auf dass diese das vor 200 Millionen Jahren bestehende Trias unbeschadet zur Freude und Gefahr der heutigen Mensch- und Tierwelt überleben können, um uns die notwendigen beängstigenden Schattenwelten zu spenden.