Bunt sind schon die Wälder...
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von Helga Licher
… gelb die Stoppelfelder, und der Herbst beginnt.“
Dieses Volkslied von Hannes Wader ertönte zum Herbstbeginn aus allen Klassenräumen meiner Schule.
Den Klang der Mädchenstimmen habe ich noch heute im Ohr, wenn sich der Sommer wehmütig verabschiedet und den Herbst ankündigt. Die goldene Oktobersonne taucht die Natur jetzt in ein prächtiges Licht, bevor die grauen Nebelschwaden aus den Wiesen emporsteigen. Wenn der Wind die letzten Blätter von den Bäumen weht und die Tage merklich kürzer werden, zieht es mich oft an den Ort , an dem ich meine Kindheit verbrachte.
Ziellos gehe ich dann die Straßen meiner Heimatstadt entlang, wo ich als kleines Mädchen vor vielen Jahren mit meiner Familie lebte. Für meine Geschwister und mich waren es glückliche Jahre. Der Krieg war vorbei, Entbehrungen, Hunger und Not gehörten der Vergangenheit an. Unser kleines Siedlungshaus am Stadtrand hatte die vielen Bombenangriffe unbeschadet überstanden, und in unserem Garten blühten die Herbstzeitlosen, wie in all den Jahren zuvor.
In unserer kleinen Straße, wo jeder seinen Nachbarn kannte, hatte man Anteil am Schicksal der Familien. Man hielt zusammen… Nachbarschaftshilfe war selbstverständlich. Niemand fragte nach der Bezahlung. Zur Erntezeit, trafen sich die Frauen zu einem Schwätzchen am Gartenzaun, und wir Kinder spielten Verstecken oder Vater, Mutter und Kind. Langeweile kannten wir nicht, obwohl es keinen Fernseher gab.
Wenn ich heute diese Straße entlang gehe, sehe ich keine spielenden Kinder mehr. Ich höre ihr Lachen nicht, und vermisse das Strahlen in ihren Gesichtern, wenn der Herbststurm um die Hausecken fegte, und es gar nicht mehr richtig hell werden wollte. Niemand ruft meinen Namen, so wie es früher war, wenn ich durch die Gartenpforte auf die Straße trat. Hin und wieder eilt jemand an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Für die Menschen, die mir begegnen, bin ich eine Fremde. Ich frage mich, wo sie geblieben sind, die fröhlichen Kinder mit ihren lachenden Augen.
Wie ausgestorben liegt diese, mir einst so vertraute Straße im trüben Licht der Herbstsonne. Rechts und links an den Bürgersteigen parken Autos, und hohe Zäune versperren den Blick in die Gärten. Nachdenklich gehe ich weiter die Straße entlang. Einige Meter noch, dann macht sie eine leichte Biegung nach rechts. Ich halte inne, schließe meine Augen und öffne in Gedanken die rostige Gartenpforte. Ich sehe ihn vor mir – den gepflasterten Weg, der zum Haus führt. Vorbei an den Apfelbäumen, deren Zweige sich unter der Last der reifen Äpfel tief hinunter beugen.
Ich atme den Duft der Rosen und lausche dem Gesang der Vögel. Die Luft riecht würzig nach feuchtem Laub. Hier bin ich zu Hause…
Ich bleibe noch eine Weile stehen. Nur zögernd finde ich in die Wirklichkeit zurück und öffne langsam meine Augen. Mein Blick fällt auf ein riesiges Hochhaus mit vielen Stockwerken und einer modernen Glasfassade. Mein Elternhaus gibt es nicht mehr. Es musste diesem Koloss aus Stahl und Beton weichen.
Doch in meiner Erinnerung werde ich mein Zuhause noch oft besuchen. Ich werde den Geruch von Seifenlauge in der Nase spüren, der durchs ganze Haus zog, wenn meine Oma große Wäsche hatte. Ich werde die knarrenden Treppenstufen hinaufgehen, um einen Blick in mein kleines Zimmer zu werfen, und – ich werde das Lachen der Kinder wieder hören, wenn sie draußen auf der Straße meinen Namen rufen…
…“rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind…“
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