Der Milchmann kommt...

Eines der typischen Pferdefuhrwerke, das Milch und Milchprodukte auf Berlins Straßen am Ende des 19. Jahrhunderts verkaufte

von Helga Licher

„Onkel Kuhlmann kommt“, riefen die Kinder und liefen mit ihren Milchkannen auf die Straße. Auf Onkel Kuhlmann war Verlass. Er war freundlich, immer pünktlich und ließ seine Kunden nie im Stich. Bei strömenden Regen und auch im tiefsten Winter fuhr er mit seinem Lieferwagen von Haus zu Haus und belieferte seine Kundschaft mit Milch, Margarine und Butter. Fasziniert beobachtete ich stets wie er das Litermaß in eine große Milchkanne tauchte und die kühle, schäumende Milch in unseren verbeulten Milchtopf laufen ließ. Ohne dass auch nur ein Tropfen Milch danebenging.

Jeden Tag zur gleichen Zeit, manchmal auch an den Wochenenden, tat er seine Pflicht, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Für uns Kinder gab es oft ein Bonbon. Ich mochte besonders gerne die gelben, die so herrlich nach Zitrone schmeckten. Wenn Onkel Kuhlmann von den umher stehenden Hausfrauen mit dem neusten Dorfklatsch versorgt war, gab meine Mutter ihm das abgezählte Geld und verabschiedete sich. An manchen Tagen gab es beim Milchmann auch frische Buttermilch, die meine Mutter besonders liebte. Ein Kühlschrank war zu der Zeit für uns unbezahlbar.

Eine kleine Kammer ohne Fenster, direkt hinter unserer Küche diente als Vorratsraum für Lebensmittel. Obwohl es in unserer Speisekammer stets etwas kühler war, als in den übrigen Räumen in unserem Haus, dauerte es nur wenige Tage bis die Milch eine feste Konsistenz bekam. Mutter streute dann Zucker auf die Milch, und wir Kinder bekamen dann ein Schälchen „Dicke Milch“ zum Nachtisch. Diese Leckerei haben wir geliebt. Im Sommer, wenn die Erdbeeren reif waren, wurde mein kleiner Bruder in den Garten geschickt, um einige von den süßen Früchten zu ernten.

Doch die dicksten Erdbeeren haben es nie bis auf unseren Nachtisch geschafft. Den besten Vanillepudding machte meine Oma. Wenn sich Besuch angesagt hatte, oder der Geburtstag meines Vaters anstand, gab es Vanillepudding mit Eischnee. Dann durften meine Geschwister und ich zu Tante Klara gehen und unseren Korb mit den schönsten Früchten des Sommers füllen. Oft hat die Nachbarin unsere Oma nach dem Rezept für den so geliebten Vanillepudding gefragt. Aber Oma sagte immer, sie mache das einfach so aus dem Handgelenk. Später habe ich oft gedacht, sie wollte das Rezept einfach nur nicht verraten. Dieser selbstgemachte Pudding von meiner Oma weckt Erinnerungen an wunderschöne Kindertage in mir.

Oma hatte die Angewohnheit unsere leere Milchkanne vor dem nächsten Gebrauch auszuspülen und das Wasser an ihre Rosen zu gießen. Von meinen Eltern wurde sie immer belächelt, aber die Rosenbeete meiner Oma waren die schönsten in der ganzen Straße. Viele Jahre später fand ich im Nachlass meiner Großeltern ein kleines unscheinbares Büchlein. Darin befand sich säuberlich geschrieben, das Vanillepudding- Rezept meiner Oma. Heute wird die Milch, die wir im Supermarkt kaufen können von großen Molkereien geliefert. Ich trinke auch heute noch frische, gekühlte Milch für mein Leben gerne. Und manchmal, wenn ich im Supermarkt vor dem Milchregal stehe, denke ich an Onkel Kuhlmann und seinen alten Lieferwagen.