An einem Tag im Frühling
Bild: Andreas Zöllick/pixelio.de
von Tina Gonschorek
Die alte Dame saß auf einer Bank im Park. Sie schaute müßig den Spaziergängern zu, den Joggern und den spielenden Kindern.
Sie dachte an vergangene Zeiten und an ihre etwas ungewisse Zukunft.
Ein Ausdruck der Trauer zog über ihr Gesicht, als sie an ihren Mann dachte, mit dem sie 62 Jahre lang eine gute Ehe führte, bis der Tod sie trennte.
Das war nun auch schon wieder 5 Jahre her, aber sie vermisste ihn trotzdem an jedem Tag. Heute war ihr 85. Geburtstag und sie war ganz allein. Es war niemand mehr da, mit dem sie ihn hätte feiern können. Kinder waren ihr versagt geblieben und Geschwister besaß sie auch keine.
Sie hatte zwar ihre Freundschaften gepflegt, aber einige Freundinnen waren schon verstorben und zu anderen war der Kontakt verloren gegangen. Und so saß sie nun an ihrem Geburtstag allein im Park und fühlte sich sehr einsam.
Plötzlich fiel ihr Blick auf ein kleines Mädchen mit einem leuchtend roten Anorak und einer gelben Mütze. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, denn das Kind wirkte wie eine leuchtende Blume im Frühling. Sie beobachtete, wie das Mädchen umhertollte, jauchzend lachte und sich einfach seines Lebens freute.
Die alte Dame sah sich um, wer denn auf das Kind aufpasste und entdeckte einen alten Herrn mit Gehstock, der langsam hinter der Kleinen herging und sie keinen Moment aus den Augen ließ. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf wie schön es doch wäre, mit einer kleinen Urenkelin im Park zu spielen. Sie beneidete den alten Herrn.
Dieser blickte sich nach einer freien Bank um und steuerte dann auf sie zu. Er fragte sie lächelnd: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Sie sah ihn erst etwas unwirsch an, da noch die neidvollen Gedanken durch ihren Kopf zogen, dachte aber im gleichen Augenblick, dass er ja nichts dafür konnte und auch sehr nett gefragt hatte und antwortete freundlich: „Aber gern, nehmen Sie doch Platz!“
Das kleine Mädchen kam angerannt und sah der alten Dame prüfend ins Gesicht. Sie hatte trotz ihres jungen Alters ein sicheres Gespür dafür, wem sie vertrauen konnte. Sie lachte fröhlich und sagte: „Ich bin die Laura und wer bist du?“ Die alte Dame war entzückt und sagte schmunzelnd: „Ich bin die Ruth Schlehenstein, aber du darfst gerne Tante Ruth zu mir sagen!“ Laura nickte, sah den alten Herrn an und fragte: “Opa darf ich auf den Spielplatz gehen?“
Er gestattete es und sie rannte los.
Frau Schlehenstein hatte auf einmal richtig gute Laune und begann sich intensiv mit dem netten alten Herrn, der sich als Anton Schreiber vorstellte, zu unterhalten. Sie bemerkten gar nicht wie die Zeit verging. Laura war glücklich ein paar Spielkameraden gefunden zu haben und tobte unter den wachsamen Augen ihres Großvaters umher.
Frau Schlehenstein hatte sich lange nicht so gut unterhalten. Herr Schreiber war, genau wie sie, an allen möglichen Themen interessiert und sie hatte das sichere Gefühl, dass er die Unterhaltung ebenso wie sie genoss.
Als sich der Spielplatz zu leeren begann wurden sie sich der Zeit bewusst und Herr Schreiber sagte zögerlich: „So leid es mir tut, Frau Schlehenstein, unsere wunderbare Unterhaltung zu beenden, aber ich muss jetzt Laura zu ihrer Mutter nach Hause bringen.“
Sie nickte verständnisvoll, aber auch ein wenig traurig und sagte: „Das ist nicht zu ändern, aber ich freue mich sehr darüber, dass ich an meinem Geburtstag einen so netten Vormittag verbringen konnte. Bevor Sie mit Laura kamen fühlte ich mich sehr einsam aber nun geht es mir viel besser.“
Er sah sie an und fragte: „Sie haben heute Geburtstag? Darf ich Sie dann später noch zu einem Kaffee einladen, um ihn ein wenig zu feiern?“
Ruth sah ihn an und es bereitete ihm sehr viel Spaß die Gefühle in ihrem offenen Gesicht zu lesen.
Da war zuerst einmal Überraschung, dann ein wenig Zurückhaltung, fast Ablehnung, aber dann endlich strahlte ihr die Freude aus den Augen und sie sagte: „Oh ja gern. Darüber freue ich mich sehr!“
Sie einigten sich, Laura gemeinsam nach Hause zu bringen. Jeder fasste eine Hand der Kleinen und sie liefen los.
Laura schien gar nicht überrascht zu sein, dass die eigentlich fremde Frau sie begleitete. Sie plapperte fröhlich und machte die beiden alten Leute auf alles aufmerksam, was sie interessant fand.
Beide sahen den Frühling plötzlich mit ganz anderen Augen. Laura bemerkte die schönen kleinen Dinge in der Natur wie es nur ein Kind kann.
Sie sahen die gelben Blumen auf der Wiese und erfuhren von Ruth, dass sie Schlüsselblumen heißen. Sie hörten einen Vogel singen und Anton sagte, dass dies eine Amsel sei. Sie entdeckten einen winzigen Käfer, der über den Weg krabbelte und sie spürten die laue Frühlingsluft.
Ruth blickte in den Himmel und bestaunte die Wolken. Sie atmete tief ein und roch den Frühling, sie genoss die wärmenden Sonnenstrahlen und sie fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wie 85 Jahre alt.
Als sie bei Laura zu Hause angekommen waren und sich verabschiedeten, blickte das Mädchen sie an und fragte: „Darf ich Oma Ruth zu dir sagen?“
Ruth traten Tränen der Rührung in die Augen. Sie drückte Laura kurz an sich und sagte mir rauer Stimme: „Ich wäre sehr gern deine Oma Ruth.“
Sie konnte es gar nicht glauben, dass ein kurzer Vormittag mit zwei netten Menschen ihr Leben so verändert hatte.
Sie spürte wie neue Energie sie durchströmte und ihre Lebensfreude weckte. Die Einsamkeit war verschwunden und dafür war ein Gefühl der Vorfreude in ihr erwacht. Ruth wusste nicht, was ihr das Leben noch bringen würde, aber sie war wieder neugierig und voller Hoffnung.
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