Wie in Glashütte die Uhren ticken
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von Ursula A. Kolbe
Das sächsische Glashütte und Uhren sind ein Synonym. Seit mehr als 165 Jahren pulsiert hier ein bedeutendes Zentrum der Uhrmacherkunst, lebt das Vermächtnis des „Glashütter Kleeblatts“ bis heute. Also Ferdinand A. Lange, Adolf Schneider, Moritz Grossmann und Julius Assmann.
Ferdinand A. Lange, der sächsische Hofuhrmacher, war es, der anno 1845 nach dem Versiegen der Silberfunde im Erzgebirge das Uhrmacherhandwerk in die damals verarmte Kleinstadt südlich von Dresden brachte. Mit der Ansiedlung seiner drei Mitstreiter, ebenfalls bekannte Uhrmacher wie er, entwickelte sich die Kleinstadt bald zum Inbegriff des deutschen Uhrenbaus mit weltweiter Anerkennung.
Ein kurzes Wort zu Ferdinand A. Lange, den Uhrmacher, Erfinder, Unternehmer und Regionalpolitiker. Nach seiner Uhrmacherlehre bei Hofuhrmacher Friedrich Gutkaes und Studium der Physik und Astronomie ging er drei Jahre auf Wanderschaft durch Europa.
In seine Heimatstadt Dresden zurückgekehrt, bewarb er sich um ein Förderprogramm für den „Bau von Ankeruhren nach Schweizer Vorbild“. Dort hatte er das System der „abgestimmten Partnerschaft“ mit zentralisierter Endmontage, das sogenannte Verlagswesen, kennen gelernt.
Kurz, F. A. Lange strebte eine arbeitsfähige Produktion der Einzelteile an, versuchte die theoretische Grundlage der Feinmechanik zu vertiefen und für die Uhrenfertigung zu nutzen.
Sein Ziel vor Augen, bildete er mit einem Zuschuss der Sächsischen Landesregierung und einem Darlehen die ersten 15 Lehrlinge aus, spezialisierte sie auf die Fertigung von Einzelteilen und machte sich dadurch von fremden Zulieferern unabhängig.
Damit erfüllte er auch seine der Regierung gegenüber eingegangene Verpflichtung, Uhrmacher in Glashütte auszubilden, legte so den Grundstein für die sich daraus entwickelnde Uhrenindustrie.
Die Deutsche Uhrmacherschule
Folglich ein Meilenstein war die am 1. Mai 1878 gegründete „Deutsche Uhrmacherschule Glashütte“, die mit ihrer Entwicklung in den Folgejahren mehrmals umbenannt wurde und ab 1951 bis zur Schließung am 31.12.1992 unter dem Namen „Ingenieurschule für Feinwerktechnik Glashütte (Sa.)“ handwerklich spezialisierte Studenten ausgebildet hat.
Schnell verbreitete sich der Ruf über Qualität, Präzision und Perfektion der Glashütter Taschen- und später auch Armbanduhren in aller Welt. Junge Leute von weither kamen – trotz der damals noch beschwerlichen Reisewege – hierher, um das Uhrmacherhandwerk von den hiesigen Meistern zu erlernen.
Mit der Schule untrennbar verbunden ist auch der Name Ludwig Strasser (1853 – 1917). 37 Jahre, davon 32 Jahre als Direktor, stellte er sein reiches Können in den Dienst der weltweit hoch geachteten Bildungseinrichtung.
Anlässlich seines 160. Geburtstages würdigte jüngst die „Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte – Nicolas G. Hayek“ den begnadeten Pionier der Feinmechanik und wissenschaftlichen Uhrenlehre in einer Sonderausstellung des Museums, die übrigens wegen großer Nachfrage bis zum 31. März verlängert wurde.
Weltweit besitzt Strasser den Ruf eines schöpferisch befähigten Feinmechanikers, der durch sein außergewöhnliches Vorstellungsvermögen und seine überdurchschnittliche Begabung für höhere Mathematik aufgefallen ist. Besonders bekannt ist er durch die Fertigung von Präzisionspendeluhren, die er zusammen mit Gustav Rohde in der gemeinsam gegründeten Fa. Strasser & Rohde herstellt.
Das Deutsche Uhrenmuseum
Das Deutsche Uhrenmuseum hat sich zu einem wahren Anziehungspunkt für Uhrenenthusiasten aus dem In- und Ausland entwickelt. Hier lebt Geschichte, kann man die Tradition und Perfektion dieser Uhrmacherkunst hautnah erleben. Runde drei Stunden waren es am Ende, als ich die über 400 Exponate (mal mehr, mal weniger intensiv) mit großem Interesse und, ja, auch Ehrfurcht vor der oft filigranen Arbeit, betrachtet hatte. Ob Taschen-, Armband- und Pendeluhren verschiedener Epochen, Marinechronometer, historische Urkunden, Werkzeuge, astronomische Modelle oder Metronomen, teils multimedial und kunstvoll erlebbar gemacht, sie alle widerspiegelten eindrucksvolle und nacherlebbare Uhrengeschichte.
Es war eine Reise durch Raum und Zeit. Unter dem Motto „Faszination Zeit – Zeit erleben“ erzählen die Historienräume die wechselvolle Geschichte der sächsischen Uhrenindustrie und ihre berühmten Persönlichkeiten, die den Ort zu einer Hochburg des feinen deutschen Uhrenbaus und seiner Ausbildung gemacht haben.
Auch einen Tag vor Silvester hatten sich viele Besucher im historienträchtigen Haus eingefunden. Ob in einer Führung oder individuell, durchlebten wir die Epochen von Gründerzeit, beiden Weltkriegen, dann nach Kriegsende Demontage und Enteignung, Wiederaufbau sowie nach Jahrzehnten Wiedervereinigung und Neugründung der Uhrenindustrie.
Wobei gerade die ersten Nachkriegsjahre und der unbändige Wille der Uhrenmacher zum Wiederaufbau nach Zerstörung und Demontage mich besonders emotional berührt haben. Wieder einmal konnte man das Improvisationstalent, die handwerklichen Fähigkeiten, der Drang zum gemeinsamen Vorankommen überhaupt erahnen.
Und dann zum Schluss die Schauwerkstatt für die Reparatur antiker Uhren. Mit welcher Präzision, ruhiger Hand, Geschick und Augenmerk in der mechanischen Werkstatt gearbeitet wird, und dann noch mit der Lupe, damit man die winzigen Teile und Schrauben überhaupt richtig sieht – Respekt.
Die Kunstuhr von Hermann Goertz (1892 – 1925) z. B., die ich im Uhrenmuseum bestaunt habe, ist aus 1.756 Einzelteilen zusammengesetzt. Ihre Besonderheit: Eine Mondphasenanzeige und ein Ewiger Kalender. Nur zum besseren Verständnis: Die Dauer ihrer Wartungsarbeiten aller 20 Jahre, d. h. auseinander bauen, reinigen und wieder zusammensetzen, beträgt drei Monate.
Ich denke, den Fachmann faszinieren die multimedial gestalteten Zeiträume, Laien wie ich versuchen zu verstehen, wenn einer der Räume in den Mikrokosmos einer mechanischen Uhr entführt und die Präzision und das Zusammenspiel hunderter Einzelteile selbst erleben lässt. Es war, schlicht gesagt, beeindruckend.
Blickt man heute auf die Kleinstadt mit ihren Ortsteilen von insgesamt rund 7.000 Einwohnern, kann konstatiert werden, dass es 1.700 Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie gibt, viele partizipieren indirekt. Zehn Uhrenfirmen bringen ihre Produkte auf den Markt, von preiswert bis zur hohen Uhrmacherkunst par excellence.
Da ist aktuell die an Exklusivität nicht zu überbietende „Grand Complication“ aus dem Haus A. Lange & Söhne, deren erstes Exemplar (auf ganze sechs Stück limitiert) zum Jahresende geliefert werden und knapp zwei Millionen Euro kosten soll.
Um ihre 876 Einzelteile, die u. a. in einem Gehäuse aus Rotgold und einem Gehäuseboden aus Saphirglas gefertigt wird, zu montieren, braucht ein einziger Uhrmacher ein ganzes Jahr.
Oder: Hinter der Firma Wempe steht Präzision unter dem sächsischen Himmelszelt. Denn als sich Wempe entschloss, im Ort eine eigene Produktionsstätte zu betreiben, kam nur die historische Sternwarte hoch oben auf dem Ochsenkopf über der Stadt in Frage. Denn wo sonst, wenn nicht hier, ließe sich besser die Zeit messen, exakte Zeitmesser fertigen und prüfen?
Und seit 2006 bietet sie das einmalige Erlebnis(nur nach Anmeldung, weil nicht mehr als fünf Personen gleichzeitig die Kuppel betreten können), die Faszination des Sternenhimmels am Teleskop selbst zu beobachten. Attraktiver Anziehungspunkt für Einheimische wie Besucher.
Vom Wempe kommen die zurzeit einzigen nach deutschen DIN-Normen geprüften Armbandchronometer. Die Modelle der Linien Wempe Chronometerwerke und Wempe Zeitmeister bilden die exklusive Uhrmacherkunst „made in Glashütte i. Sa.“ – und eine sekundengenaue Präzision. Nach dem Besuch im Museum wurde mir klar, in Glashütte ticken die Zeichen der Zeit nach wie vor. Der Geist der Stifter, Traditionen und Kenntnisse des Uhrenbaus an neue Generationen weiterzugeben, kulturelles Erbe zu bewahren und den Standort Glashütte nachhaltig zu fördern und zu stärken, durchzog auch an diesem vorletzten Tag des Jahres alle Räume und nahm die Besucher in ihren Bann.
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