Ein „Scherz-Keks“ im Fokus - Das Halberstädter Literaturmuseum Gleimhaus zeigt die heitere Seite der Aufklärung
Bild: Kathrain Graubaum
von Kathrain Graubaum
Die Jugend kichert albern, witzelt und spottet – „… und das ist gut so“, hätte wohl der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) gesagt. Nach dem Motto „versäumte Freuden sind unwiederbringlich“– wurde der junge Gleim für seine Scherzlieder und für seine exzessive Freundschafts- und Geselligkeitskultur berühmt. Anlässlich des 300. Geburtstages des Dichters zeigt das Halberstädter Literaturmuseum Gleimhaus die Ausstellung „Scherz – Die heitere Seite der Aufklärung“.
Das trendy T-Shirt mit der Aufschrift YOLO hat den Weg nach Halberstadt in eines der ältesten deutschen Dichtermuseen gefunden: in das einstige Wohnhaus von Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719 -1803). YOLO, die Buchstaben für „you only live once“, kennt heute beinahe jede und jeder im jugendlichen Alter. Aber wer kennt Gleim?
Aufklärung des Verstandes und der Aufheiterung
Allenfalls ältere und zudem literaturinteressierte Generationen haben vom „Vater“ Gleim gelesen oder gehört. Heute würde man sagen: Gleim war der Begründer des analogen Facebook: Er pflegte mehr als 550 Freundschaften und sammelte all die Briefe, die so rege hin und her geschickt wurden. Er ließ über 150 Porträts malen und arrangierte sie in seinem Wohnraum zu einem Freundschaftstempel. Der ist bis heute das Herz des Dichterhauses.
So hatte er seine Freunde auch zwischen den Ereignissen der persönlichen Begegnung um sich. Denn die geselligen Runden waren ihm und seinen Gleichgesinnten noch wichtiger als das Briefeschreiben. Von heiteren Kostümfesten, neckischen Rollenspielen und vergnüglichen Tändeleien ist in den Korrespondenzen aus jener Zeit zu lesen – wie auch vom lustvollen geistigen Austausch über Literatur und Kunst. Das 18. Jahrhundert war eben nicht nur die Epoche der Aufklärung des Verstandes,sondern auch der Aufheiterung des Gemütes.
Gerade im 300. Geburtsjahr von Johann Wilhelm Ludwig Gleim nimmt in Halberstadt das Museum der deutschen Aufklärung den jungen Dichter in den Fokus – und stellt Bemerkens- wie Staunenswertes ins Rampenlicht: Schon Gleim propagierte „you only live once – Du lebst nur einmal“ als Lebensgefühl und gab YOLO als heitere Aufforderung weiter: Genieße das Leben mit all seinen Facetten. Nutze jeden Tag als Chance zum Spaß haben und fröhlich sein. Lebe im Moment.
Die heitere Seite der Aufklärung
So empfangen denn auch zwei geöffnete Bücherschränke mit Kichern und Räuspern die Besucher der Ausstellung „Scherz – Die heitere Seite der Aufklärung“. Alle Bücher, die in diesen Schränken stehen, haben den „Scherz“ in ihrem Titel – und haben unsichtbare Leser, deren Glucksen zu hören ist.
Mit seinem Debüt „Versuch in scherzhaften Liedern“ wurde der junge Gleim 1744 zum Star in der Literaturszene. In Halle hatte er Jura studiert, war gerade nach Berlin gezogen und als 25-Jähriger sehr zum Spaßen und Spotten aufgelegt. Er wurde mit weiteren Scherzliedern über Wein, Liebe und Lebensfreude zum Trendsetter; entsprach die neue jugendliche Lebenslust doch der Befreiung von einer verstaubten Religion, die glauben machte, erst im Jenseits sei die Existenz schön.
Gleim brachte die scherzhafte Dichtung in Mode – nach Vorbildern aus verschiedenen Epochen: Aristoteles, Epikur und vor allem der griechische Lyriker Anakreon. Die Büsten aller vier Dichter weisen als illustres Quartett den Ausstellungs-Weg in das 18. Jahrhundert der Aufklärung, der Freundschaft, des Briefes – und eben auch des Scherzes.
Ein scherzhafter Ton beflügelt die Geselligkeit – die Halberstädter Domherren, den irdischen Vergnügungen zugeneigt, wollten vermutlich auch darum Gleim als Sekretär für ihr Domstift. Denn dem jungen Juristen in Berlin war der Ruf des lustigen Vogels voraus nach Halberstadt geeilt. 1747 ließ sich Gleim mit einer dauerhaften Anstellung in den Vorharz locken. Der ungezwungene Aufenthalt in der „unverbildeten“ Natur entsprach so ganz seiner Künstlerseele.
Nur etwas einsam fühlte er sich hier. So besann er sich auf sein Talent als Netzwerker und scharte einen illustren Kreis Gleichfühlender um sich.
Nicht nur in der Lyrik, auch in der Musik (man denke an das Scherzo), in Malerei und Grafik sowie in der Gestaltung von Porzellanplastiken nahm sich die ungebremste Daseinsfreude im Diesseits ihren Raum. Die Ausstellung im Halberstädter Literaturmuseum baut die Brücken, über die der Besucher Zugang findet zur heiter bis spöttischen, versteckten wie offenen Darstellung der „Lebensgelüste“ in den Künsten zur Jahrhundertmitte des Rokoko. Die „Vergnügungen der Jugend“ sind ein typisches Thema jener Zeit.
Exponate aus bedeutenden öffentlichen wie privaten Sammlungen aus Deutschland und der Schweiz sowie aus dem Kunsthandel laden die Besucher der Ausstellung zum „Schäferstündchen“ ein. Denn zumeist sind die fröhlichen Begegnungen, die geselligen Spiele, die amourösen Abenteuer und Flirts in einer idyllisch-friedvoll wirkenden Natur angesiedelt, in einem vermeintlich ländlich-einfachen und sorgenfreien Leben der Schäfer und Hirten.
Aus den Porzellan-Manufakturen Meißen, Ludwigsburg und Höchst kamen zu jener Zeit Schäfer und Liebesgruppen, deren Motive in ihrer Zweideutigkeit bis heute verstanden werden. Man erinnert sichschmunzelnd an die Metapher etwa für Vogel und Vogelbauer, für Flöte und Ziegenbock. Auch Amor taucht immer wieder als scherzhafter Gott auf, um sein (hinter)listiges Werk zu verrichten.
Ebenso die Rokoko-Malerei und -Grafik etwa von Bouchet, Lancret und Pater vermittelt vergnügliche Atmosphäre in naturnahen Landschaften. Neben dem Schäferstück ist das Blindekuh-Spiel unter Mitwirkung von Amor ein beliebtes Motiv. Und wen wundert‘s, dass auch Gläser und Kelche, Kannen und Tassen für die geselligkeitsstiftenden Getränke mit kunstvoll eingravierten „rauschhaften“ Motiven verziert wurden.
Wer sich auf Scherz-Suche nach Halberstadt ins Gleimhaus begibt, mag erstaunt sein über eine Erkenntnis: Die brandaktuelle und Ratgeber-füllende Frage, wie es gelänge, mehr im Hier und Jetzt zu leben, ist nicht erst ein Produkt unserer heutigen Zeit.
Zu sehen ist die Ausstellung noch bis 15. September 2019.
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