Von Berlin elektrisch um die Welt
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von Tristan Micke
Kaum einer der vielen Millionen von täglichen Fahrgästen elektrischer Straßen- , U-, S-, und Eisenbahnen in aller Welt wird daran denken, dass die Vorläufer dieser Verkehrsmittel Berliner Erfindungen waren.
Der Wunsch, Schienenfahrzeuge elektrisch zu betreiben, ist fast so alt wie die Eisenbahn selbst. Zwar gab es damals schon elektromagnetische Antriebsmaschinen, die nach verschiedenen Wirkungsweisen arbeiteten, doch als Stromquellen kannte man nur galvanische Elemente, welche den Strom auf elektrochemischen Wege erzeugen sowie die nach dem von Michael Farady entdeckten Induktionsprinzip arbeitenden Induktoren.
Beide Stromquellen waren jedoch viel zu schwach, um damit brauchbare Fahrzeuge anzutreiben. Das änderte sich erst 1866, als der 1816 geborene Werner von Siemens (er wurde erst 1888 geadelt) das elektrodynamische Prinzip entdeckte. In einem Hinterhaus in der Schöneberger Straße 19 befand sich damals die am 1. Oktober 1847 gegründete Firma Siemens & Halske, die Keimzelle des heutigen Siemens-Konzerns. Hier wurden damals Telegraphen und Apparate für die Sicherungstechnik von Eisenbahnstrecken gebaut. Das waren die ersten praktischen Anwendungsgebiete der Elektrizität. Bald wendete sich die Firma auch anderen elektrotechnischen Entwicklungsarbeiten zu.
Die Dynamomaschine wurde erfunden
Induktoren wurden damals zur Erzeugung von Stromimpulsen in der Telegraphie verwendet, indem man an einer Kurbel drehte. Sie verwandelten also mechanische in elektrische Energie. Im September 1866 experimentierte Siemens mit seinem Schlosser Carl Müller mit einem solchen Induktor. Dabei tauschte er die Dauermagnete (Permanentmagnete) des Apparats gegen Elektromagnete aus, die ein viel stärkeres Magnetfeld erzeugen konnten. An diesem Tag wurde die Dynamomaschine erfunden, eine der größten Erfindungen der Menschheit.
In entsprechender Größe gebaut, ist es nun möglich, Strom aus mechanischer Energie (meist Dampf- oder Wasserkraft) in ausreichender Stärke zu erzeugen. Außerdem ist die Wirkungsweise der Dynamomaschine umkehrbar, denn führt man der Maschine Strom zu, so wandelt sie diesen, nun als Elektromotor wirkend, in mechanische Energie um. Die praktische Nutzung der Elektrizität auf vielen Gebieten war jetzt erst möglich und die moderne Elektrotechnik war gegründet. Werner von Siemens wollte den elektrische Strom auch zum Betreiben von Schienenfahrzeugen nutzen. Zusammen mit dem Franzosen Reuleaux erörterte er die Frage elektrischer Hochbahnen in großen Städten, deren technische Entwicklung jedoch einen Umweg machen musste.
Der in London lebende jüngere Siemens-Bruder Wilhelm hatte einen Artikel über die Möglichkeit verfasst, die Kraft der Niagarafälle künftig auf elektrischem Wege zu übertragen und an entfernten Orten zu nutzen. Angeregt von dieser Idee, wollte der Braunkohlengrubenbesitzer Westphal aus Cottbus (damalige Schreibweise “Kottbus”) seine geförderte Braunkohle vor Ort in Dampfkesseln verbrennen und mit dem Dampf elektrischen Strom erzeugen, der nach Berlin übertragen werden sollte. Diese fortschrittliche Idee konnte damals jedoch nicht verwirklicht werden, da die Probleme der Fernübertragung elektrischer Energie noch nicht gelöst waren. Werner von Siemens schlug Westphal deshalb vor, die Kohle per Eisenbahn nach Berlin zu transportieren und dort in Kraftstationen für die Erzeugung von Elektroenergie zu verwenden. Damit war der Grubenbesitzer aber nicht einverstanden. Schließlich einigte man sich auf die Errichtung einer elektrisch betriebenen Förderbahn, die in Westphals Kohlenstollen “Stadtgrube” bei Senftenberg die Arbeit erleichtern und die Produktivität erhöhen sollte.
Die erste brauchbare Elektrolok der Welt
Daraufhin entwarf und konstruierte der schwedische Ingenieur Wesslau von Siemens & Halske im Jahre 1878 die erste brauchbare Elektrolokomotive der Welt. Sie hatte eine Leistung von 2,2 Kilowatt, ein Gewicht von 1,03 Tonnen und war recht einfach gebaut. Die Motorabdeckung diente gleichzeitig als Sitzfläche für den Lokführer. Im Herbst des gleichen Jahres konnte die kleine Lok auf dem Werksgelände von Siemens & Halske erprobt werden.
Der Gleichstrom mit einer Spannung von 150 Volt wurde der Lok über eine Mittelschiene zwischen den Gleisen, die eine Spurweite von 490 Millimeter aufwiesen, zugeführt. Obwohl die Lokomotive einwandfrei funktionierte, wollte sie der Grubenbesitzer Westphal plötzlich nicht mehr. Die Firma Siemens & Halske blieb auf den Kosten sitzen und die elektrische Lokomotive blieb ihr Eigentum.
Die Berliner Gewerbeausstellung im Jahre 1879 bot der Firma Siemens & Halske Gelegenheit, sich zu präsentieren und die Lok auf einer Ausstellungsbahn einzusetzen. Auf dem 60.000 Quadratmeter großen Ausstellungsgedlände in der Nähe des Lehrter Bahnhofs in Moabit wurde ein Gleisoval angelegt. Hier zog die Lok während der Ausstellung vor 140 Jahren, vom 31. Mai bis 30. September 1879 täglich von 11 bis 13 und von 15 bis 17 Uhr drei offene Wagen. Jeder Wagen hatte zwei Längsbänke die mindestens 6 Personen Platz boten. Der Zug erreichte eine Geschwindigkeit von 7 km/h, die Lokomotive allein 13 km/h.
Der Fahrstrom wurde von einer in der Nähe stationierten Dynamomaschine erzeugt, die von einer Dampfmaschine angetrieben wurde. Für die meisten Besucher der Berliner Gewerbeausstellung war die Ausstellungsbahn aber nur eine technische Spielerei. Von den knapp 90 000 Ausstellungsbesuchern werden nur wenige geahnt haben, welche Entwicklung damit eingeleitet worden war. Die Fahrgeldeinnahmen für wohltätige Zwecke betrugen in der viermonatigen Betriebszeit 17.864,40 Mark.
Trotz des Erfolges lehnten die deutschen Behörden weitere Pläne von Siemens ab. Eine elektrische Hochbahn (Pfeilerbahn) in der Friedrichstraße kam ebenso nicht zur Ausführung wie eine Probestrecke in der Markgrafenstraße und eine Hochbahn in der Leipziger Straße. Auch hatte Siemens schon erste Vorstellungen über einen elektrischen Betrieb auf der damals im Bau befindlichen Berliner Stadtbahn.
Um den praktischen Betrieb einer elektrischen Bahn überzeugend vorführen zu können, erwarb die Firma Siemens & Halske im Jahre 1881 eine 2,45 Kilometer lange stillgelegte Materialbahn in Groß-Lichterfelde. Sie führte vom Bahnhof Lichterfelde (ab 1884 Groß-Lichterfelde, seit 1925 Lichterfelde Ost) zur Hauptkadettenanstalt (heute Bundesarchiv). Ab 16. Mai 1881 verkehrte hier die erste elektrische Straßenbahn der Welt als Vorläufer aller elektrischen Bahnen.
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