Die Wunderkammer
Bild: Waltraud Käß
von Waltraud Käß
Man fährt nicht mal eben so in die alte Mitte Berlins, schon gar nicht in die Gegend um die Gipsstraße, die Große und Kleine Hamburger Straße, die Linienstraße oder die Auguststraße mit ihrer teils morbiden Schönheit. Es sei denn, man hat ein Ziel. Die Auguststraße beginnt an der Rosenthaler Straße und trifft auf die Oranienburger Straße. Sehr schnell verliert man in diesem Gewirr der Häuser den Überblick – aber wer sucht, der findet!
Mein Ziel war ein moderner Neubau, den man zwischen den mitunter sehr alten Gebäuden nicht vermutet. Moderne Struktur, hoch, dunkel, mit großen Fenstern, macht er schon von weitem auf sich aufmerksam. In diesem Haus, dem „me Collectors Room Berlin“ wollte ich die Ausstellung des Kunstsammlers und-mäzen Prof. Dr. Dr. Thomas Olbricht besuchen.
Ein Naturwissenschaftler, ein Endokrinologe, einer der Erben der Wella-Aktiengesellschaft – wofür setzt ein solcher Mensch sein Millionen-Vermögen ein? Wofür interessiert er sich, was sind seine Sammelgebiete? Hat er besondere Vorlieben? In einem seiner Interviews war zu lesen, dass seine ersten Sammlungsobjekte Briefmarken waren, und dass die daraus inzwischen entstandene Briefmarkensammlung und ihre Erweiterung noch immer das wichtigste und persönlichste Objekt seiner „Begierde“ ist.
Darüber hinaus gilt sein Interesse solchen Künstlern, die seinem Empfinden nach etwas Besonderes oder auch Kurioses, etwas Außergewöhnliches, Irritierendes, auch Verstörendes geschaffen haben. Es sind Werke, die den Betrachter staunen lassen, ihn zum Wundern oder auch zum Lächeln bringen. Und über manches dieser Stücke muss man lange nachdenken. Dass Prof. Dr. Dr. Olbricht diese private Sammlung, darunter sind auch Kunstwerke von beachtlichem Wert, der Öffentlichkeit im Rahmen seiner Stiftung präsentiert, ist beachtens- und anerkennenswert.
Wer in dieses Ausstellungshaus eintritt, wird durch ein gemütliches Cafè empfangen, in dem sich an den Wänden bereits die ersten Ausstellungsexponate bestaunen lassen. Nach dem Rundgang wird der Besucher das Angebot schätzen, gerne verweilen, um die Eindrücke Revue passieren zu lassen.
Weiter geht es hinein in einen kleinen Shop, in dem man Dieses und Jenes käuflich erwerben kann. Und dahinter tun sich große Räume auf – jetzt beginnt die eigentliche Ausstellung. Zur Zeit, d.h. von September 2018 bis 1. April 2019, befindet sich hier die Ausstellung „The Moments is Eternity“ („Der Augenblick ist Ewigkeit“), die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das fotografische Sammlungsgebiet lenkt. Von 60 KünstlerInnen werden rund 300 Arbeiten gezeigt, die sich im Dialog mit anderen Kunstwerken und Exponaten aus der Wunderkammer präsentieren. Die Räume sind thematisch gegliedert.
Im ersten Raum geht es vor allem um den nackten (weiblichen) Körper, seine Schönheiten und Besonderheiten. Sehr abstrakt wirkt da der weiße Pfau, der majestätisch auf einem Podest thront. Wunderschön – aber völlig irreal.
Die Verbindung zu Raum zwei übernehmen zwei Spiegel, in denen die Besucher sich immer wieder anders wahrnehmen. Die Objekte im dritten Raum beschäftigen sich mit dem vergleichenden Sehen. Dazu dienen Fotos von Schriftstellern, Komponisten, Philosophen und auch Politikern des 19. und 20. Jahrhunderts und weitere Werke. Dazwischen ausgewählte Objekte der Wunderkammer wie beispielsweise die Miniatursammlung von Totenschädeln.
„Der Moment, der Augenblick und die Ewigkeit“ – sie verschmelzen, denn der Moment, wenn er vergeht, ist bereits die Ewigkeit. Eine Erkenntnis der Ausstellung. Darüber kann man noch lange reflektieren.
Die eigentliche „Wunderkammer“ befindet sich im Obergeschoss. Wunderkammern sind keine neue Erfindung. Es gab sie schon zu sehr früher Zeit, sie sind die eigentlichen Vorläufer der Museen. Meist waren es private Sammlungsräume. Hier wurden kostbare Kunstwerke, seltene Naturalien, wissenschaftliche Instrumente oder auch „Souvenirs“ aus fremden Ländern aufbewahrt und andere Menschen damit zum Staunen gebracht. An diese Tradition knüpft die Sammlung Olbricht an.
Tritt man ein in diese Kammer, fällt einem sofort ein 5m langes, an der Decke hängendes Krokodil ins Auge. Kostbare Kuriositäten und kleine Kunstwerke der Renaissance und des Barock befinden sich in Vitrinen. Ein Pokal, geschnitzt aus einer Kokosnuss, einst Alexander von Humboldt gehörend, das Horn des sagenhaften Einhorns, welches sich wissenschaftlich bewertet als Stoßzahn des Narwales entpuppte. Und der Albatros auf dem Podest mit seinem kecken Hut hat den besten Überblick. Skurril das Ganze – und das soll es ja auch sein. Es gibt so viel zu sehen und zu entdecken – Sie sollten selbst sehen, staunen und sich wundern.
Um auch Kinder und Jugendliche an solche Kunstsammlungen heranzuführen, wurde ein Programm für diese Gruppe aufgelegt. Nach einer Führung setzen sie sich im Rahmen eines Workshops mit außergewöhnlichen Techniken, wissenschaftlichen Gerätschaften und feinstem Kunsthandwerk auseinander.
Der Montag ist der „Tag der Senioren“.
Zu einem Sonderbonus von 9.-€ kann die Ausstellung und die Wunderkammer besucht werden. Im Preis enthalten ist ein Stück Kuchen sowie eine Tasse Kaffee oder Tee. Sehr zu empfehlen ist der Ingwer-Minze-Tee mit frischen Zutaten und Honig. Gut zu wissen, dass das Haus auch über einen Fahrstuhl und ein Behinderten-WC verfügt.
Die Ausstellung befindet sich in der Auguststraße 68, 10117 Berlin. Sie ist geöffnet: Mittwoch bis Montag von 12.00 – 18.00 Uhr. Anmeldungen für Führungen können unter Tel.-Nr. 030/30 86 00 85 114 erfolgen. Einen Audioguide für die Wunderkammer kann man an der Kasse erhalten.
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