Zum Augenblicke sagen: „Verweile doch!“
Bild: Britta Pedersen/dpa
von Ursula A. Kolbe
Die Staatsoper Unter den Linden 7 ist wieder am angestammten Platz in Berlins Kulturwelt. Nach sieben Jahren Generalsanierung, vier Jahre länger als geplant, war sie am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, glanzvoll in die neue Saison gestartet.
Unter dem Motto des Abends „Zum Augenblicke sagen: Verweile doch!“ erlebten im ausverkauften Hause und seiner Rokoko-Ästhetik die Besucher Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ mit zwischengeschalteten Schauspielszenen unter der musikalischen Leitung von Star-Dirigent Daniel Barenboim.
Faust verkörpert nicht nur den deutschen Nationalstoff, sondern wird am Ende auch gerettet – durch das „ewig Weibliche“. „Wir wollten einen großen Stoff, der mit unserer Kulturgeschichte verknüpft ist“, sagt Intendant und Regisseur Jürgen Flimm im Staatsoper-Magazin zur Wiedereröffnung. Schumanns Werk ist hier besonders: Anders als z. B. die „Faust“-Oper von Charles Gounod, enthält es ausschließlich authentische Goethe-Texte aus den beiden Dramenteilen.
Außerdem ist es ein Stück mit anspruchsvollen Aufgaben für den Chor sowie mit vielen großen und kleineren Partien, in denen die Staatsoper ihr Solistenensemble präsentieren kann, von langjährigen Mitgliedern wie Roman Trekel, René Pape und Katharina Kammerloher bis zu Neuzugängen wie Elsa Dreisig, Evelin Novak und Gyula Orendt. Um die Leerstellen der Geschichte mindestens ansatzweise zu füllen, fügt Flimm drei Sprechrollen hinzu: Faust, Mephisto und Gretchen.
Schon vier Tage vorher hieß es wieder: „Staatsoper für alle“. Zum jährlichen Gratis-Konzert hatten sich 40.000 Besucher traditionell auf dem Bebelplatz eingefunden, um Beethovens 9. Symphonie mit der Staatskapelle Berlin und Barenboim zu erleben. Für den letzten Feinschliff musste das Theater dann noch einmal für einige Tage schließen.
Von der „Königlichen“ Hofoper zur neu ertüchtigten Staatsoper
Die Arbeit der Meister des alten Handwerks und Spezialisten modernster Technik ist nun also getan, überhaupt aller an dem Umbau Beteiligten, die Baustelle Staatsoper Unter den Linden geschlossen. Vieles hat sich im Detail verändert. So präsentieren sich die Wandbespannungen in den Fluren nun auf jeder Etage wieder in einer anderen Farbe, so wie die Oper 1955 aus Ruinen auferstand.
Dezent in Nischen eingefügt sind die Fahrstühle für den barrierefreien Zugang in alle Etagen oder neue Toiletten. Weniger Schall als vorher schlucken die Wandbespannungen im Zuschauersaal, das Parkett ist frisch verlegt, mit einer modernen Lüftung darunter.
Zu den Innovationen gehört auch ein neuer Raumklang. Mit der neuen Nachhallgalerie, für die die Saaldecke um über vier Meter angehoben werden musste, und dem größeren Volumen verdoppelt sich fast die Nachhallzeit der Musik auf 1,6 Sec. Die neuen Klangverhältnisse haben auch Vorteile für die Sänger, die sich nun nicht mehr über das Orchester im Graben hinwegsetzen müssen.
Die unterirdische Verbindung zwischen Bühne und den Proberäumen erleichtere die Logistik enorm, hatte Ko-Intendant Matthias Schulz betont. Dieser wird übrigens im Frühjahr Jürgen Flimm als Intendant nachfolgen. Alles in allem empfängt das traditionsreiche Opernhaus wieder auf dem neuesten Stand der Technik seine Gäste.
Aus den ursprünglich veranschlagten Kosten von 239 Millionen Euro sind es am Ende mehr als 400 Millionen Euro geworden. Davon trägt der Bund 200 Millionen.
Ein Blick noch in die Geschichte: Die Staatsoper Unter den Linden ist in den Jahren 1741 bis 1743 nach den Plänen von Knobelsdorff im Stil der italienischen Villen und Paläste des 16. Jahrhunderts erbaut und am 7. Dezember 1742 eröffnet worden. Friedrich der Große wollte sie als Teil seines monumentalen Forum Fridericianum.
Siebenmal wurde die Staatsoper in den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach umgebaut. Mitte des 19. Jahrhunderts brannte sie ab, wurde wieder rekonstruiert und modernisiert. 1941 und 1945 trug das Haus schwere Schäden davon. Nach dem Krieg sollte es abgerissen oder zu einem Teil der Humboldt-Universität, alternativ auch eine Musikschule werden.
Doch dann traf sich im Juni 1951 Walter Ulbricht, damaliger DDR-Staatsratsvorsitzender, mit dem Dirigenten Erich Kleiber, der bereits in der Zeit der Weimarer Republik an der Spitze der Staatsoper und der Staatskapelle gestanden hatte, und sicherte ihm den Wiederaufbau zu.
Der Architekt Richard Paulick, der auch das Ostberliner Stadtzentrum gestaltete, übernahm die Leitung. Bei der Staatsoper orientierte er sich an den alten Entwürfen Friedrichs des Großen und näherte das Haus wieder in höherem Maße dem Originalzustand von 1743 an. Im September wurde 1955 ist die Oper wiedereröffnet worden.
Nach wie gesagt siebenmaligen Umbauten seit 1743 erstrahlt die Staatsoper, im Volksmund auch Lindenoper genannt, nun in prachtvollem Glanz am alten Platze. Ihren Sinn drückte Daniel Barenboim so aus: „Die Staatsoper muss das kulturelle Zentrum sein, von Berlin, von Deutschland. Was heißt das, eine Hauptstadt zu sein? Wenn sie nicht provinziell sein will, muss sie für alle da sein. Dafür ist die Staatsoper ein Symbol.“
Jetzt startet der Regelbetrieb am 7. Dezember, dem Tag der Ersteinweihung vor 275 Jahren. Damit liegt die jetzige Staatsoper übrigens ganz auf der Linie Friedrich des Großen. Dieser hatte darauf bestanden, sein Theater zur Karnevalssaison zu eröffnen. Anschließend hatte es noch zehn Monate gedauert, bis das Haus voll funktionsfähig war.
Dass es auch jetzt für wenige Tage aufgemacht wurde, war ein Zugeständnis an die Barenboim-Tradition, die erste Saison-Premiere immer am 3. Oktober zu dirigieren. Erfunden wurde sie 2010, beim Einzug ins Schillertheater, zur Erinnerung an die Staatlichen Schauspielbühnen, die just am Tag der Deutschen Einheit 1993 von der Politik dichtgemacht wurden.
Die Wiedereröffnung findet dann am 7. Dezember 2017 mit einem Geburtstagskonzert zum 275. Bestehen der Staatsoper Unter den Linden unter Leitung des Generalmusikdirektors und Dirigenten Daniel Barenboim statt. Als erste Premiere kommt am 8. Dezember Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ heraus, tags darauf folgt „L’Incoronazione di Poppea“ des Barockkomponisten Claudio Monteverdi.
Weitere Infos unter www.staatsoper-berlin.de oder per Telefon unter (030) 2035 4555.
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