Auf direktem Bahnweg ins polnische Wroclaw

Souvenir-Fahrkarte vom Sonderzug Berlin-Wroclaw

von Ursula A. Kolbe

Breslau/Wroclaw ist bekanntlich die Europäische Kulturhauptstadt 2016 (siehe auch Mai/Juni-Ausgabe der „Spätlese“, Titel: „Mit dem Kulturzug in die Kulturhauptstadt 2016“)). Eben dieser war am letzten April-Sonnabend das erste Mal auf den Schienen und fährt seitdem jedes Wochenende bis zum 25. September in die schlesische Großstadt, über Cottbus, Forst, Záry und Zagan.

Wir nutzten die Gelegenheit, bei der Premiere von Berlin nach Wroclaw dabei zu sein. Übrigens wieder die erste Direktverbindung, nachdem sie Ende 2014 eingestellt worden war. Deutsche und Polen setzen mit diesem Kulturzug neue Hoffnung in eine verlässliche Bahnverbindung nach Wroclaw und weiter nach Schlesien wie auch für den weiteren Ausbau der Zusammenarbeit in der Oderregion.

Das war auch bei der Verabschiedung auf dem Berliner Bahnhof Ostkreuz deutlich geworden, als der Botschafter der Republik Polen, S. E. Jerzy Marganski, Berlins Verkehrssenator Andreas Geisel, Brandenburgs Verkehrsministerin Kathrin Schneider, DB-Konzernbevollmächtigter Alexander Kaczmarek und Dr. Volker Hassemer, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, diesen Kulturzug als weiteren Schritt zur Verbesserung der Bahnverbindungen zwischen Deutschland und Polen begrüßten.

So finanzieren die Länder Berlin und Brandenburg den Kulturzug mit je 100.000 Euro. Grenzüberschreitende, attraktive und verlässliche Bahnverbindungen für die Entwicklung im gemeinsamen Europa seien unabdingbar. Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes berücksichtige diese wichtige Fernverkehrsverbindung bisher nicht ausreichend.

Wir brauchten viereinhalb Stunden für eine Fahrt. Flotter ging es schon mal mit zweieinhalb Stunden im Jahre 1930, also vor fast 100 Jahren. Damals meist besetzt mit Geschäftsleuten, Wissenschaftlern, Künstlern, Schriftstellern, die in Berlin Karriere machten. Allein zehn Nobelpreisträger der jüngeren Jahrhunderte haben in Breslau ihre Wurzeln.

Wie schrieb schon Kurt Tucholsky anno 1920: „Nun ist es eine bekannte Tatsache: Was ein richtiger Berliner ist, stammt aus Posen oder Breslau.“
In Wroclaw angekommen, machte Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz zu Recht seinen Stolz auf die Entwicklung der Stadt deutlich, die mit Blick in die jüngste Geschichte ebenso eine Geschichte von Flucht und Vertreibung ist.

1945 hat hier ein riesiger Bevölkerungsaustausch stattgefunden und in den folgenden Jahrzehnten die Identität des Ortes mitgeprägt. Die Entwurzelung, das sich Zurechtfinden in anderer Umgebung, andere Kulturen. Das sei nicht nur ein Thema für die Geschichtsbücher, sagte Dutkiewicz, sondern auch heute noch aktuell. „Toleranz und Offenheit für andere Kulturen zu zeigen, das ist ein Signal, das von der Kulturhauptstadt Wroclaw ausgehen kann.“

Swing-Band, Quiz, mobile Bibliothek, Mini-Polnisch-Kurs…

Der nun an den Sommerwochenenden verkehrende Kulturzug legt davon ein beredtes Zeugnis ab, ist einer von vielen Aktionen das ganze Jahr über. Und wie der Name schon sagt, erfreute uns im Zug schon gleich zu Beginn unserer erwartungsvollen Reise die Swing-Band „Mueller-Muechenheimer“; im polnischen Záry stieg eine Drei-Mann-Band zu. Vertraute Melodien erklangen, steigerten die gute Laune.

Zwischendurch gab es immer mal wieder über den Lautsprecher gut hörbar eine Lesung mit Kurzgeschichten, der Lokführerstand war auch zur Medienzentrale geworden. In der mobilen Bibliothek konnte man sich für die Fahrt z. B. den literarischen Reiseführer Breslau, Krimis mit regionalem Bezug u. a. aussuchen.
Und natürlich in der Neuerscheinung von Kulturprojekte Berlin in Kooperation mit dem be-bra Verlag im Buch „Berlin und Breslau – Eine Beziehungsgeschichte“ eines deutsch-polnischen Teams nachschlagen.

Ein Quiz fragte Wissen ab, es gab es einen Mini-Polnisch-Kurs, auf Plakaten und Kopfstützenbezügen waren berühmte Persönlichkeiten zu sehen, die gleichzeitig auf die Ausstellung „Breslau/Wroclaw. Gesichter einer Stadt. Oblicza miasta“ verweisen, die jetzt ab Sommer in Berlin und anschließend in Breslau zu sehen sein wird.

In diesem Zusammenhang sei ebenso auf die Ausstellung „NARREN UND PRIESTER – Drei Jahrzehnte expressiver Malerei in Wroclaw“ verwiesen, zu der in Berlin die URANIA in ihren Räumen (An der Urania 17) interessierte Besucher ab 19. Oktober (Vernissage) bis 8. November 2016 einlädt. Bei freiem Eintritt ist täglich ab 14.30 bis 21 Uhr geöffnet.

Eine Stadt mit Flair und Sinn für skurrilen Humor

Wer wie ich Breslau zum ersten Mal besuchte, sieht eine wunderschöne wiederaufgebaute Altstadt mit einem gotischen Rathaus, Bürgerhäusern, Kirchen, denn in den letzten Kriegsmonaten wurde sie noch in Schutt und Asche gelegt, glich einer Geisterstadt, hatte sie Hitler doch noch zur Festung erklärt, in der Volkssturm, SS und Wehrmacht bis zuletzt gegen die Rote Armee kämpfen mussten.

Heute ist die rund 630.000 Einwohner zählende Metropole zugleich eine Stadt der Moderne mit einem der neuesten modernsten Konzerthäuser der Welt, des neuen Musikforums. Wir sehen vom Bus aus Gebäude, die Architekturgeschichte geschrieben haben, waren in der gewaltigen Jahrhunderthalle von 1913. 100.000 Studenten prägen das Bild einer jungen Stadt.

Aber nicht nur das: Immer wieder Zwerge, Zwerge… Wohl jeder Reisende spricht darüber. Sie stehen am Oderufer, auch von der Tomskibrücke aus, die die Dom- mit der Sandinsel verbindet, kann man sie sehen. Die Motive kennen keine Grenzen, verkörpern Berufe, mystifizieren ein Hobby. Die „Krasnale“, wie sie auf polnisch heißen, tragen viele Geschichten in sich. Sie haben, kurz gesagt, Sinn für skurrilen Humor, eben eine Wroclawer Tradition. (mehr darüber unter www.krasnale.pl).

Rund um das Ticket

Kulturzug-Fahrpreis für eine einfache Fahrt: 19 Euro, hin und zurück: 38 Euro; erhältlich in den DB-Verkaufsstellen und der KolejeDolno-slaskie (Niederschlesische Eisenbahn), an den DB-Automaten oder im Internet auf www.dbregio-shop.de. Ticketkauf auch bei Zugbegleitern möglich; Kinder bis fünf Jahre kostenlos.

Tickets nach Breslau gelten an dem jeweiligen Wochenende der Nutzung (bis Sonntag 24 Uhr); Tickets nach Berlin gelten am Tag der Abfahrt ganztägig bis 24 Uhr.

Wichtig auch: Die Kulturzug-Tickets sind als Tagesticket bei den Bussen und Straßenbahnen der MPK Wroclaw im Stadtverkehr gültig; in Breslau kostenlose Nutzung der Leihfahrräder am Ankunftstag.

Weitere Infos zum Kulturzug unter www.vbb.de und www.bahn.de ; Veranstaltungskalender in Breslau unter www.breslau.berlin oder www.wroclaw.berlin

Mit LUNETA audio-visueller Austausch

Der zeitgleiche Händedruck der beiden Stadtoberhäupter Michael Müller und Rafal Dutkiewicz auf den Buzzer im jeweiligen blauen Kuppelzelt am Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße und Wroclaw vor dem Hauptbahnhof am 9. Mai signalisierte die multimediale Installation LUNETA (polnisch für Fernrohr).

Zwei Monate lang führte das Projekt nach einer Idee von Volkmar Umlauft, Künstlerischer Leiter von LUNETA, angeregt durch die Initiative der Stiftung Zukunft Berlin, beide Städte einander näher zusammenzubringen, Besucher in die jeweiligen blauen Kuppelzelte.

Hier konnten sie dank einem neuen technischen Konzept von Hewlett Packard Enterprise in Zusammenarbeit mit Intel miteinander über Gesten, Sprache, kurze Grußbotschaften auf einer großen Glasplatte, einem sogenannten Airwriting Desk, kommunizieren.

Sie verbanden die unterschiedlichsten Angebote miteinander, zeigten, wie Jazz-Musiker beider Städte zusammen musizierten, Schulklassen gemeinsam experimentierten und musizierten. Ein gemeinsamer virtueller Raum lud zu Unterhaltung, Nachdenken und kritischem Austausch ein.