Brückenschlag
Bild: Lothar von Wandtner/pixelio.de
von Waltraud Käß
„Ich war noch niemals in New York…”, singt Udo Jürgens in einem seiner berühmten Songs. Was ihm wohl kaum ein Mensch glaubt. Doch ich kenne diese Stadt wirklich nicht, was mich jedoch nicht davon abhält, mich für sie zu interessieren. Fotografen, Filmemacher, Fernsehleute überbrücken die Entfernungen zwischen den Kontinenten und bringen uns Unbekanntes näher.
Das war im Jahre 1831 noch nicht so ausgeprägt. Der Reiz des Unbekannten lockte, die Entdeckung fremder Kontinente oder Städte musste sehr oft persönlich und mit Strapazen verbunden, durch die damaligen Auswanderer oder Übersiedler gemeistert werden.
So kam es, dass sich im Jahre 1831 ein Mann auf den Weg in die so genannte „neue Welt” machte. Er war ein Mann aus Thüringen, genauer gesagt kam er aus der Stadt Mühlhausen. Und wäre er in seinem Schicksalsjahr nicht auf diese Idee gekommen, nach Amerika auszuwandern, wäre New York heute vielleicht um eines seiner Wahrzeichen, jedenfalls in dieser Form, ärmer.
Wer war dieser Mann? Sein Name war Johann August Röbling. Sein Vater, ein Tabakhändler, zeugte ihn als 5. Kind seiner Familie, so dass er am 12.6.1806 geboren wurde. Seine ersten schulischen Leistungen können nicht berühmt gewesen sein, denn wegen sehr schlechter Noten in Religion und Latein musste er das Gymnasium verlassen.
Was wiederum ein Glück für ihn war, denn er erhielt danach eine Ausbildung am Privat-Pädagogium des jüdischen Mathematikers Dr. Ephraim Salomon Unger in Erfurt.
Im Jahre 1824 sehen wir ihn in Berlin, er wird an der Königlichen Bauakademie immatrikuliert und studiert – man lese und staune: Architektur, Tief- und Brückenbau, Deichbau, Hydraulik und Maschinenbau. Just während seines Studiums erfährt er vom Bau von Hängebrücken in Bayern und in der Pfalz, und er reist interessiert dorthin, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen.
Nach Beendigung seiner Ausbildung wird er „Baukondukteur” in Westfalen und entwickelt bereits im Jahre 1828 erste Pläne für Hängebrücken.
Was ihn veranlasste, nach Amerika auszuwandern, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch, dass er seinen Bruder Karl und weitere Bürger aus Mühlhausen auf seine Reise mitgenommen hat.
In Amerika angekommen, kaufte er mit einigen anderen Auswanderern ein größeres Stück Land und gründete die Siedlung „Germania”. Später erhielt die Stadt den Namen Saxonburg. Das „Örtchen” hat heute 1600 Einwohner, und zwischen ihm und Mühlhausen wurde am 23. Mai 2008 eine Städtepartnerschaft geschlossen.
Bereits im Jahre 1837 erhielt Röbling die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er heiratete Johanna, ebenfalls ein Mädchen aus Mühlhausen, die ihm 9 Kinder schenkte. Nicht alle blieben am Leben.
Zunächst betätigte sich der junge Mann als Landwirt. Das war jedoch keine lange, berufliche Episode in seinem Leben, denn sehr schnell arbeitete er in seinem studierten Beruf als Ingenieur beim Bau von Kanälen und Wasserwegen.
In Vorbereitung seiner „Brückenarbeiten” erfand er in seiner Werkstatt in Saxonburg eine Methode zum Verzwirbeln von Stahlfäden, aus denen man glänzende, vibrierende Stahlseile, so genannte Trossen, herstellen konnte. Das war die Erfindung für den Bau von Hängebrücken.
Unter seiner Leitung standen in den Jahren 1844, 1845 und 1851 der Bau der Kanalbrücke über den Pennsylvania Canal, der Hängebrücke über den Monongahela River sowie der Niagara Falls Suspension Bridge (eine Eisenbahn- und Straßenbrücke).
Sein beruflicher Einsatz hatte ihn inzwischen nach New Jersey geführt. New York war zu diesem Zeitpunkt noch keine homogene Stadt. Wollte man von Brooklyn auf dem kürzesten Weg nach Manhattan, mussten die Menschen den East River überqueren, der, ein Ausläufer des Atlantischen Ozeans, sich als tückischer, 1800 m breiter Meeresarm mit Strudeln darstellte, der im Winter oft von Eisschollen blockiert war.
Da war an eine Überfahrt nicht zu denken. Eine Brücke musste her, größer dimensioniert als die kleine Hängebrücke aus Bayern.
John August Roebling, wie er nun als amerikanischer Staatsbürger hieß, machte sich an die Pläne. Ein Bauwerk dieser Art hatte zu diesem Zeitpunkt kein Vorbild.
Entdecker, Erfinder, Pioniere sind ja mitunter mit ihren Plänen vom Wahnsinn nicht weit entfernt, sie stoßen in unbekanntes Gelände vor, und auch dieser Brückenbau sprengte alle Vorstellungen. Roeblings Pläne sahen eine Hängebrücke vor, die zwischen zwei Granit-Sandstein-Türmen von Stahltrossen getragen werden sollte.
Im Jahre 1867 wurde die New York Bridge Company gegründet, eine private Gesellschaft, die diese Brücke bauen wollte. Roebling wurde der verantwortliche Chefingenieur für den Bau, der im Jahre 1869/1870 begann. Allerdings hat er den Bau nicht lange begleitet. Ein Unfall während der Arbeiten zerquetschte ihm einen Fuß. Der folgende Wundstarrkrampf führte zu seinem Tod. Nun übernahm sein Sohn Washington Augustus Roebling das Vermächtnis seines Vaters und führte die Arbeiten fort.
Für die beiden Granittürme mussten zunächst unter Wasser 23 m tiefe Baugruben ausgehoben werden. Nur durch Taucher, die in so genannten Senkkästen arbeiteten, konnten im Laufe von fünf Jahren die Tiefbauarbeiten bewältigt werden. Medizinisch konnte diese schwere Arbeit noch nicht ausreichend begleitet werden.
Und so kam es, dass die so genannte „Klappkrankheit” (Dekompression) bei den Tauchern diagnostiziert wurde, hervor gerufen durch zu schnelles Auftauchen vom Meeresgrund. Auch Washington Augustus Roebling litt unter der Taucherkrankheit. Schon im Jahre 1872, er war gerade 35 Jahre alt, konnte er sich kaum noch bewegen, auch sein Sprachvermögen war geschädigt.
An den Rollstuhl gefesselt, die Arbeiten an der Brücke mit einem Fernrohr von seinem Haus aus begleitend, leitete er die Arbeiten bis zu ihrem Abschluss. Aber er hat die Brücke nie betreten.
Seine Frau Emily, die vor Ort die Arbeiten überwachte, war der erste Mensch, der die Brooklyn Bridge von Brooklyn nach Manhattan überquerte.
6000 Menschen haben 14 Jahre lang an diesem Bauwerk gearbeitet, 27 Menschen verloren ihr Leben.
Am 24.5.1883 wurde die Brooklyn Bridge mit einer Länge von 1834 m und 70 installierten, elektrischen Lampen eröffnet. Sie war zu diesem Zeitpunkt die längste Hängebrücke der Welt und galt als Weltwunder der industriellen Entwicklung.
Die Granittürme, auf denen sie ruht, haben neugotische Stilelemente. Sie sind den gotischen Bogenfenstern der Divi-Blasii-Kirche in Mühlhausen nachempfunden, für Johann August Röbling ein Stück Heimat aus der alten Welt.
Sein Brückenschlag in der neuen Welt ist auch in Mühlhausen und Erfurt nicht vergessen. An seinem Geburtshaus in Mühlhausen erinnert eine Gedenktafel an ihn, und am Gebäude seiner ehemaligen Schule in Erfurt, Marktstraße 6, wird er ebenfalls gewürdigt.
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