Vom Streben der Medizin nach längerem Leben - Zwischen Wunschtraum und Wirklichkeit

Bild mit gelben Lilien und dem Schriftzug Das ewige Leben ist ein Kommen und Gehen!

von Professor Dr. Manfred Zehender, Ärztlicher Direktor der Max Grundig Klinik und einer der führenden Herzspezialisten in Deutschland

Der Traum von einem längeren Leben – neudeutsch Longevity – hat Menschheit und Medizin seit jeher fasziniert. Alle wollen alt werden und zugleich möchte niemand alt sein. Die doppelte Herausforderung lautet: Verlängerung der Lebensspanne bei einer möglichst hohen Lebensqualität im Alter. Auf diesem Weg hat die Menschheit bereits große Fortschritte gemacht. In den vergangenen beiden Jahrzehnten nahm die durchschnittliche Lebenserwartung in den westlichen Gesellschaften jedes Jahr um etwa 3 Monate zu. Die Hälfte davon ist im Übrigen auf die kardiovaskuläre Medizin zurückzuführen. Wir wissen heute, dass ein biologisches Alter von etwa 120 Jahre möglich ist, sofern es der Medizin gelingt, die typischen Alterskrankheiten wie Herz- und Gefäßerkrankungen sowie Tumorleiden zu überwinden. Pharmakologische Interventionen liefern dafür gegenwärtig vielversprechende Ansätze und zukünftige Möglichkeiten. Weitere Perspektiven eröffnen sich durch die Anwendung der Epigenetik sowie der gezielten Beeinflussung von Telomeren mittels der sogenannten CRISPR- Technologie.

Welche Mechanismen sind für eine Lebensverlängerung entscheidend?
An erster Stelle steht hier nach meinem heutigen Verständnis die gezielte Reduktion von Entzündungen, die eine entscheidende Rolle bei Alterungsprozessen spielen, aber auch bei der Entstehung von Herz- und Gefäßerkrankungen. Einige interessante Longevity-Medikamentenkandidaten wirken stark entzündungshemmend. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Verbesserung der DNA-Reparaturmechanismen. Entsprechende Medikamente unterstützen die DNA-Reparatur, was die Zellfunktion verbessern kann. Auch die Stimulation der Autophagie, das heißt die Beseitigung von „zellulärem Müll“ scheint ein Schlüssel zu sein. In diesem Zusammenhang sind Senolytika zu nennen, also Substanzen, die „gealterte“ Zellen beseitigen. Auch sogenannte mTOR-Inhibitoren (inklusive Metformin) haben Auswirkungen auf den Alterungsprozess und werden als potenzieller Pfad zur Lebensverlängerung betrachtet. Auch NAD+-Vorläufer (Substanzen wie Nicotinamid-Ribosid), die die NAD+-Produktion fördern, scheinen den Alterungsprozess zu verlangsamen und die mitochondriale Funktion, das Energiekraftwerk in jeder Körperzelle, zu verbessern.

Von diesen Mechanismen der Lebensverlängerung erfährt Metformin aktuell die größte Aufmerksamkeit. Seit Jahrzehnten in der Behandlung der Zuckerkrankheit erfolgreich eingesetzt, kombiniert es drei interessante Wirkmechanismen: die Aktivierung von AMPK, was zu einem verbesserten Gleichgewicht zwischen Kalorienzufuhr und Energieverbrauch führen könnte, die Reduktion von Entzündungen und die Modulation des mTOR-Signalwegs, was zu einem beschützenden Effekt auf Zellen und somit zur Lebensverlängerung beitragen könnte. Erste klinische Studien laufen derzeit.

Ein weiterer Aspekt ist von Bedeutung. Als gesichert angesehen werden kann, dass eine Reduktion der Kalorienzufuhr um 20 Prozent gegenüber dem berechneten Bedarf eine substantielle Wirkung auf die Lebensspanne besitzt. Dies ist ein Ergebnis in allen untersuchten Tiermodellen. Sogenannte Caloric Restriction Mimetics, also Medikamente, die die positiven Effekte einer kalorienreduzierten Ernährung nachahmen, können den Alterungsprozess demnach verlangsamen. Metformin als das derzeitig einzige frei verfügbare Medikament, das den Alterungsprozess zu verlangsamen vermag, hat auch hier eine signifikante Wirkung durch eine entsprechende Blutzuckerregulation
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Weitere Schlüssel zum ewigen Leben
Bluttransfusionen von jungen zu alten Tieren haben bei Mäusen gezeigt, dass Serumeiweiße in der Lage sind, sowohl die Lebenserwartung zu verlängern als auch die körperliche Leistungsfähigkeit, die Lernfähigkeit und das Gedächtnis bei der Futtersuche der alten Tiere nachhaltig zu verbessern. Auch wenn die Mechanismen aktuell noch nicht gut verstanden werden, konzentriert sich die Forschung darauf, die Schlüsseleiweiße zu identifizieren, die diese Prozesse stimulieren und sie gezielt therapeutisch einzusetzen.

Longvity ist aber nicht nur ein Versprechen moderner Medizin. Jeder Einzelne kann etwas dafür tun. Wobei es nicht nur um das Wissen, sondern mehr noch um das Tun geht. Gesunde Ernährung, eine ausgewogene Life-Work-Balance mit regelmäßiger Bewegung und Sport, ein Bewusstsein für präventive Gesundheitsmaßnahmen sind neben einem guten genetischen Familienschatz wohl nach wie vor die besten Garanten für eine langes Leben mit hoher Lebensqualität im Alter.

Und noch etwas muss verstanden werden: So vielversprechend die spezifischen Ansätze der modernen Medizin zur Lebensverlängerung gegenwärtig auch sein mögen, der Schlüssel zum „ewigen“ Leben liegt wohl immer noch in sehr weiter Ferne. Das Bild „Jungbrunnen“ des Künstlers Lucas Cranach dem Älteren, in den Alte und Kranke in ein Wasserbecken hineingehen und gesund und jung wieder heraussteigen, bleibt auf absehbare Zeit das, was es immer war – ein wunderschöner, aber unerfüllbarer Traum.