Bademoden im Wandel der Zeit: Vom Matrosenanzug zum Bikini
Bild: Jürgen Kraft
von Janine Kühl
Vom mit Gewichten behängten Reifrock über den Matrosenanzug zum Bikini: Die Entwicklung der Badebekleidung spiegelt Moden, die Entwicklung von Textilien und gesellschaftliche Moralvorstellungen der jeweiligen Zeit. Nach den Briten, Franzosen und Niederländern entdecken Ende des 18. Jahrhunderts endlich auch die Deutschen den Aufenthalt im Seebad. In Doberan wird 1793 auf dem Heiligen Damm, dem späteren Seebad Heiligendamm das erste Seebad an der deutschen Küste gegründet. In den folgenden 100 Jahren entstehen immer mehr Seebäder an Nord- und Ostseeküste sowie auf den Inseln.
“Aalkästen”: Badewannen im Meer
“Schwimmen ist gut für die Volksgesundheit”, befindet Ende des 19. Jahrhunderts etwa der Arzt Johann Gottlieb Vogel. Doch anfangs geht es meist eher darum, die Füße ins Meerwasser zu halten. Die Zahl der Gäste in den Seebädern ist noch überschaubar, nur Adlige und Reiche können sich die Kur an der See leisten. Viele können nicht schwimmen. Und vor allem soll niemand, vor allem nicht die Frauen, leicht bekleidet gesehen werden. Das von Vogel empfohlene Nacktbaden lässt sich damals am ehesten in sogenannten Aalkästen realisieren. In diesen speziellen, auf dem Meeresgrund verankerten Badebooten mit Gittern baden die Menschen im Meer – außer Sicht und ohne Gefahr zu laufen, zu ertrinken.
Badeunfälle durch nasse, schwere Kleidung Mit Badekarren können die Badegäste direkt ans Wasser gefahren werden. In langen Kleidern halten die Damen die Füße ins kühle Nass. Hauptsache, die Haut ist bis zum Knöchel bedeckt. Reifröcke werden mit Gewichten behängt, damit sie nicht hochrutschen. Die Kostüme aus Wolle, Leinen und Seide saugen sich allerdings schnell mit Wasser voll und werden schwer – es kommt sogar zu Badeunfällen. Vor allem an der Ostsee entwickeln sich bald getrennte Badebereiche: Mit einer Wand als Abtrennung können Frauen und Männer – ohne Blickkontakt zum jeweils anderen Geschlecht und sittsam bekleidet – ins Meer gehen. Die Wahrung eines ausreichenden Abstands wird streng kontrolliert – sogenannte “Kieker”, die von einer Düne aus das andere Geschlecht beobachten, müssen mit Strafgeldern rechnen.
Gestreifte Einteiler und modische Pumphosen
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden die Modelle allmählich kürzer und zweckmäßiger. “Erst ab etwa 1900 kann man von so etwas wie Bademode reden”, erklärt Jürgen Kraft aus Ahlbeck, der sich intensiv mit der Geschichte der Badebekleidung beschäftigt. Um 1900 baden die Männer in gestreiften Einteilern mit Trägern und kurzen Hosen aus Trikot-Stoff. Das gibt mehr Bewegungsfreiheit für den nun populären Schwimmsport. Währenddessen tragen die Frauen modische Pumphosen und Badehemden aus Flanell und Leinen, darüber oft noch einen Rock. Kurz nach der Jahrhundertwende kommen frühe Badeanzüge aus Wolle oder Baumwolle auf, die allerdings noch recht lang und hoch geschlossen sind. Wichtig ist vor allem, dass der Stoff nicht durchscheinend ist. In den aufkommenden Familienbädern müssen auch die Herren wieder längere Kleidung tragen.
Kellerman kritisiert “Wäscheleine voll Stoff am Körper”
Für Aufsehen sorgt die Australierin Annette Kellerman. Die erfolgreiche Schwimmerin und Filmdarstellerin, die zahlreiche Wettbewerbe gewinnt und weite Strecken auf der Themse und der Donau schwimmt, kritisiert die weibliche Schwimmbekleidung: “Ich will schwimmen – und das kann ich nicht mit einer Wäscheleine voll Stoff an meinem Körper!” 1907 wird Kellerman wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen, nachdem sie in einem eng anliegenden Einteiler schwimmen gegangen war. Kellermans Auftritt gibt den Anstoß, dass auch die Bademode für Frauen ganz langsam zweckmäßiger und ungefährlicher wird.
Die wilden 1920er: Freizügiges Baden
Erst in den 1920er-Jahren können sich die Frauen ganz von der schweren, langen Badekleidung befreien – die Aufbruchstimmung der Epoche wirkt bis in die Bademode. Auf dem Berlinder Ku’damm findet eine erste Bademodenschau statt, die allerdings noch auf viel Gegenwind stößt. In Anzügen aus leichtem Baumwoll-Jersey mit kurzen Hosen stürzen sich beide Geschlechter ins Badevergnügen. Die Anfang des 19. Jahrhunderts entstandene FKK-Bewegung gewinnt an Zulauf. In vielen Kreisen wie bei den Freigeistern der Bauhaus-Bewegung setzt sich mehr und mehr das Nackbaden durch – natürlich nicht in öffentlichen Badeanstalten.
Der “Zwickelerlass” von 1932
Während in vielen Teilen Europas nun relativ freizügig gebadet wird, geht Deutschland bald darauf einen Schritt zurück. Der sogenannte Zwickelerlass von 1932 soll dafür sorgen, dass die Badeanzüge nicht zu knapp sitzen.
§ 1. (1) Das öffentliche Nacktbaden ist untersagt.
(2) Frauen dürfen öffentlich nur baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen.
(3) Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie wenigstens eine Badehose tragen, die mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen. Auszug aus der Badepolizeiverordnung des preußischen Innenministeriums vom 1. November 1932
“Das war ein Lacher für die Bäder rings um Deutschland”, so Jürgen Kraft. In den folgenden Jahren hat die grausame Politik der Nationalsozialisten auch Einfluss auf die Bademoden-Industrie, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. In den 1940er Jahren beschäftigen deutsche Bademoden-Firmen Zwangsarbeiter. Regimetreue Kaufleute übernehmen günstig Firmen, deren jüdische Besitzer emigrieren mussten.
Chemische Fasern revolutionieren die Bademode
Ab den 1950er Jahren sorgt die Entwicklung von Nylon-Stoffen für gravierende Verbesserungen der Badeanzüge und -hosen. Zwar brachte wasserabweisende Wolle bereits zuvor mehr Komfort. Doch erst mit den modernen Fasern bekommen Schwimmerinnen und Schwimmer deutlich besser sitzende, blickdichte Badebekleidung. “Durch chemische Fasern wurden die Badeanzüge leichter, boten mehr Bewegungsfreiheit und wurden schnell trocken”, erklärt Jürgen Kraft.
Sommer 1946: Der Bikini empört
Im Sommer 1946 sorgt der französische Maschinenbauingenieur Louis Réard für einen Skandal: Er entwirft einen knappen Zweiteiler für Damen, nennt ihn Bikini und lässt ihn in Paris öffentlich vorführen. Zwar sind ähnliche Zweiteiler bereits bei den Römern bekannt, wie Malereien und Mosaike beweisen. Auch in den 1920er-Jahren tragen einige Frauen zweiteilige Badebekleidung. Doch Réards Kostüm ist deutlich knapper geschnitten und bekommt einen klangvollen Namen: Bikini, benannt nach dem Bikini-Atoll in der Südsee, über dem die USA kurz zuvor die erste Atombombe der Nachkriegszeit abgeworfen haben. Über die Gefahren der Atomkraft ist damals noch wenig bekannt – und der exotische Name Bikini ein voller Marketing-Erfolg. Das Produkt revolutioniert die Bademode.
Freizügige DDR – prüde BRD
Nach der Teilung Deutschlands nimmt die Entwicklung der Bademoden in der DDR einen etwas anderen Verlauf als im Westen. Während die Freikörperkultur im Osten großen Zulauf hat, herrschen in großen Teilen Westdeutschlands noch lange prüde Moralvorstellungen, die sich auch auf die Bademoden und Vorschriften auswirken. Allerdings, so berichtet Jürgen Kraft, haben ostdeutsche Fabriken lange Zeit einen großen Teil der Produktion für den Markt in Westdeutschland übernommen. Seitdem verändern sich Vorlieben für Farben, Muster und Schnitte rasant. Doch im Prinzip bleiben Badeanzug und Bikini für Frauen und Badehosen für Männer seit Jahrzehnten die gängigen Schwimmkleider. Wohin die Entwicklung geht, bleibt abzuwarten. Das, was wir im Wasser tragen, ist immer auch Ausdruck von gesellschaftlichen Normen, Möglichkeiten der Fertigung und des Materials – und nicht zuletzt der Gleichberechtigung von Frau und Mann.
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