Die Ostfriesen sind Weltmeister im Tee trinken

Teezeremonie in der Dornumer Teestube

von Hans-Jürgen Rudolf

Die ostfriesische Teekultur entwickelte sich im Lauf der Zeit aufgrund des großen Stellenwertes, den das Trinken von Tee in Ostfriesland genießt. Die Teetied oder auch die ostfriesische Teezeremonie gilt als wichtiger Bestandteil ostfriesischer Geselligkeit und der ostfriesischen Küche.

Nun ist es offiziell – die Ostfriesen sind Weltmeister im Tee trinken. Am 25. August 2021 wurde, selbstverständlich bei einer Teetied, die Urkunde über den Eintrag in das „Buch der Rekorde“ (vormals Guinnessbuch der Rekorde) überreicht.

Pro Kopf trinkt ein Ostfriese nach Angaben des Deutschen Teeverbands im Schnitt ca. 300 Liter Tee im Jahr. Umgerechnet sind das jeden Tag ungefähr 800 ml Tee pro Person und das ist ungefähr 10x mehr als die übrigen Bundesbürger trinken. Auf dem zweiten Platz der Rangliste steht Libyen mit 287 Litern pro Kopf, dicht gefolgt von der Türkei mit 277 Litern pro Kopf.

Stellen Sie sich einen kühlen Tag vor. Der Himmel ist grau verhangen, kein Blau zu erspähen, eine leichte Brise weht Ihnen Kälte ins Gesicht. Erfreulicherweise sind Sie auf dem Weg zu einem Freund für eine Tasse Tee. Als Sie eintreten, begrüßt Sie ein frisch gebrühter Schwarztee als Mittelpunkt einer hergerichteten Tafel. Ihr Freund platziert behutsam ein Stück kristallenen Kandis in jedes Tässchen und übergießt diese sorgsam mit einem Tee von kräftiger Farbe. Ein Klecks Sahne, der sacht von einem Löffelchen gleitet, wird zum krönenden Abschluss. Ohne jegliches Rühren kann der Tee nun Schicht für Schicht genossen werden. In diesem wohligen Moment voller Wärme und Gastfreundschaft scheint Ihnen der Himmel auf einmal weniger trüb und jeder kühle Schauer ist vergessen…

Dree is Oostfreesenrecht Bei einer Teezeremonie werden mindestens 3 Tassen unaufgefordert eingeschenkt, das gilt als Ostfriesenrecht. Die ostfriesische Teekultur ist übrigens seit 2016 als immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO anerkannt. Die Anfänge gehen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Aber wie läuft eine „Teetied“ mit Kluntje und Wulkjes ab:
  • In feine, dünnwandige Porzellantassen wird zunächst ein Stück Kandiszucker, der „Kluntje“ gegeben.
  • Der heiße Tee wird dann möglichst neben den Zucker gegossen, denn der Kluntje soll nicht sofort zerspringen und möglichst für 3 Tassen reichen.
  • Mit einem Löffel wird dann die Sahne in den Tee gegeben, die die weißen Wolken („Wulkjes“) auf den Tee zaubert. Und jetzt das Wichtigste: nicht umrühren! Der Löffel dient lediglich dazu, dem Gastgeber anzuzeigen, dass kein Tee mehr gewünscht ist und wird dazu in die Tasse gelegt.

In den vielen Teestuben Ostfrieslands, aber auch in den meisten Cafés und Restaurants der Region, können Sie ganz stilgerecht den echten Ostfriesentee auf Stövchen mit Kluntjes und Sahne genießen.

Teekultur ist gelebtes Kulturerbe
Dieser Akt der Gastfreundschaft ist besonders gebräuchlich, ja vielleicht sogar einzigartig für eine kleine Region im Norden Deutschlands, Ostfriesland. Die Friesen schufen die einzige Deutsche Teekultur und halten sie bis heute lebendig. Schwarzer Tee erreichte Ostfriesland und seine Inseln in der Mitte des 17. Jahrhunderts über die Niederlande und etablierte sich rasch in den lokalen Gemeinden. Er kam damals mit Handelsschiffen aus Indien in den holländischen Häfen an, so wundert es einen nicht, dass auch heute viele Ostfriesen-Mischungen aus verschieden Assam und Ceylon Tees zusammengestellt werden.

In der Vergangenheit musste die wachsende Teekultur in Deutschland jedoch über einige Hindernisse stolpern. So wurde der Genuss von Tee mehr als nur einmal vom preußischen König Friedrich II verboten und es kam zu Engpässen durch die Kontinentalsperre Napoleons, sowie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Diese Ereignisse schürten jedoch nur die Sehnsucht der Ostfriesen nach ihrem Tee und die Kreativität ihn zu bekommen. Das Fundament für den erfolgreichen, illegalen Handel wurde wahrscheinlich schon früher gelegt.

Die Niederlande waren 1780 mit einer Handelssperre durch die Briten konfrontiert, woraufhin um die 300 niederländische Schiffe unter einer Ostfriesischen Flagge zu segeln begannen. Betrachtet man dieses Ereignis mit etwas Abstand, wird einem klar, warum in dieser Region Deutschlands auch das erste Handelszentrum für Tee entstand und Marken, als auch Unternehmen hervorbrachte, die es bis zum heutigen Tag gibt.

Man muss zugeben, dass der Genuss von Tee im restlichen Deutschland nicht ganz so beliebt ist, wie in Ostfriesland. In 2016 trank man hier mehr Tee pro Kopf als irgendwo sonst in der Welt: Nämlich – wie erwähnt – 300 Liter Schwarztee je Person im Jahr.

Dabei offenbaren sich verschiedene geschmackliche Erfahrungen. Der erste Schluck schmeckt leichter als ein Schwarztee, wartet aber mit einem gehaltvollen, cremigen Mundgefühl auf. Die Sahne verbindet alle robusten Noten zu einer exquisiten Melange. Danach entfaltet sich das ganze vollmundige Aroma des Tees und auch die rauchigen Noten sind deutlich zu erkennen, um dann in den letzten Zügen des Genusses durch die intensive Süße gemildert zu werden. Ist der Kandis noch zu sehen, so ist es Zeit für eine zweite und dritte Tasse oder bis der Inhalt der Teekanne erschöpft ist.

Wenn man die Teekultur Deutschlands mit etwas Abstand betrachtet und auch den Begriff Tee nicht auf die Teepflanze bezieht, würde jeder sehr schnell sagen, dass Deutsche begeisterte Teetrinker sind. Sie mögen in ihren Tassen und Kannen allerlei Aufgüsse, seien es Kräuter, Früchte oder andere Gewächse. Kräutertees und ihre Wirkungen sind so sehr beliebt und allgegenwärtig geschätzt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, einen vom Hausarzt verschrieben zu bekommen. Das ist auch wenig verwunderlich, wenn man in Betracht zieht, dass Kräuter und Heilpflanzen schon 800 n. Chr. in unserer Region aktiv genutzt und kultiviert wurden.

Eine bekannte Persönlichkeit, die zu diesem Thema unzählige Werke im 2. Jahrhundert verfasst hat, ist Hildegard von Bingen. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Effekte, die medizinische Pflanzen auf den menschlichen Körper und Geist haben. Die Verwendung von Pflanzen in pharmazeutischen Anwendungen, wie Aufgüssen, ist heute immer noch stark in der Teekultur der Deutschen reflektiert. Vieler Kräutertees sind mehr auf ihre Wirkung fokussiert, als auf ihren Geschmack.

Ostfriesische Teezeremonie
Die eigenständige Teekultur in Ostfriesland drückt sich auch in einer speziellen ostfriesischen Teezeremonie aus – eine ritualisierte Art des Teetrinkens. Der mit losen Teeblättern zubereitete Tee wird auf ein in der Tasse liegendes Stück weißen Kandiszucker, genannt „Kluntje“, gegossen. Anschließend wird ein wenig Sahne am Rande der Tasse auf den Teespiegel abgelegt, die zunächst nach unten absinkt und dann wieder nach oben steigt. Hierbei entsteht ein wolkenähnliches Gebilde, „Wulkje“ genannt. In der Regel wird der Tee nicht umgerührt, sodass mit jedem Schluck ein anderer Geschmack entsteht: zunächst die milde Sahne, dann der kräftige Tee und zuletzt die Süße des Kandis.