Man müsste noch mal zwanzig sein …

Kleiderschrank und Tisch in einem Zimmer

von Waltraud Käß

…und so verliebt wie damals…

Ach das waren noch Zeiten. Welcher Mensch im fortgeschrittenen Alter hatte noch nie den Wunsch, die Lebensphase der Altersweisheit gegen das Lebensgefühl der jungendlichen Unbekümmertheit zu tauschen?

Ich jedenfalls summe diese Liedzeile eines alten Schlagers oft leise vor mich hin. Natürlich verklären sich mit den Jahren die Daseinsbedingungen und -formen von damals. Obwohl: Auch das Leben mit zwanzig hat seine Tücken und Kümmernisse, jede Generation hat da ihre eigenen, spezifischen Erfahrungen gemacht und macht sie auch heute.

Als ich zwanzig Jahre alt war, lebte ich in einem anderen Staat als heute. Die Deutsche Demokratische Republik war noch jung, gerade mal elf Jahre alt, und sie hatte noch immer mit den Auswirkungen des 2. Weltkriegs zu kämpfen. Doch schon war dieser junge Staat gezwungen, sich gegen Angriffe von außen zu schützen.

Allerdings gab es den „antifaschistischen Schutzwall“, wie wir ihn nannten bzw. die „Mauer“ oder den „Eisernen Vorhang“, wie ihn die Gegenseite nannte, noch nicht. Aber er zementierte ein Jahr später die Teilung Deutschlands auf lange Zeit und war die Trennlinie zwischen zwei Gesellschaftssystemen.

Damals schrieb ich auch noch keine Beiträge für die „Spätlese“ – dass es dieses Magazin einmal geben würde, und dass es sich nun schon zwanzig Jahre lang am Markt behauptet, war nicht abzusehen. Doch dieser runde Geburtstag regte mich zum Nachdenken darüber an, wie mein Leben verlief, als ich zwanzig war.

Wir jungen Menschen in der DDR organisierten unser Leben. Mit achtzehn Jahren volljährig, entschieden sich die meisten nach erfolgter Berufsausbildung, während oder nach dem Studium zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wohnraum war in dieser Zeit knapp, man war noch dabei, die Trümmer des 2. Weltkriegs zu räumen, das Wohnungsbauprogramm wurde erst zwölf Jahre später in Gang gesetzt. Unter diesen Bedingungen gründete auch ich meinen Hausstand mit 20 Jahren.

Der knappe Wohnraum, ein Zimmer, musste zweckmäßig eingerichtet werden. Ein Kleiderschrank, Wohnzimmerschrank mit Anrichte, ein Tisch, zwei Sessel, eine Doppelbettcouch, in der ich tagsüber das Bettzeug verstecken konnte, alles der damaligen Mode entsprechend, waren die ersten Einrichtungsgegenstände.

Teilzahlungskredite, später dann die Ehekredite, halfen den jungen Familien, auch mir, bei der Gründung ihres Hausstandes. Meistens kam dann da und dort innerhalb kurzer Zeit noch ein Kinderbett dazu.

Die Ausstattung mit technischen Geräten war noch nicht umfangreich bzw. manches noch nicht erfunden. Ich z.B. habe noch lange Zeit die Wäsche in einem großen Topf auf dem Herd gekocht, und auf einem Waschbrett in einer Zinkbadewanne durchgerubbelt. Das war Schwerstarbeit. Am „Waschtag“ waren alle Frauen genervt.

Die jungen Leute von damals werden sich noch gut daran erinnern können. Was für ein Vergnügen, als endlich eine Waschmaschine, eine WM 66, zur Verfügung stand. Für die externe Schleuder musste dann noch ein wenig gespart werden. Unvorstellbar für die heutige Generation, geht man vom herrschenden Komfort und der technischen Ausstattung der Gegenwart aus.

Die Widrigkeiten des Alltags beeinträchtigten jedoch nicht unsere Lebensfreude. In den Betrieben und wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR wurde an der Hebung des Lebensstandards gearbeitet, wir alle waren ja durch unserer Hände Arbeit daran beteiligt. Bald schon wurde der Urlaub nicht nur an der Ostsee oder im Harz verbracht.

Die Reisen führten dann ins Ausland, nach Ungarn oder Bulgarien und bis an den Baikalsee in der Sowjetunion oder nach Kuba. Und vor der einen oder anderen Haustür stand inzwischen für die jungen Leute ein Moped oder für die Familie das heiß begehrte Auto, der Trabant, heute ein Kultobjekt. Wir erlebten Höhepunkte und meisterten Katastrophen. Wir führten ein ganz normales Leben.

Im Laufe eines Lebens trennt man sich nicht nur von Ehemännern oder -frauen, sondern auch von Gebrauchsgegenständen, die man eine kurze oder längere Zeit benutzt hat. Neue Erfindungen kommen als neue Konsumgüter auf den Markt.

Die Leipziger Messe hat viele Jahre lang gutes DDR-Design gezeigt, welches von den Versandhäusern der Bundesrepublik gern in ihr Verkaufsprogramm aufgenommen, leider nicht immer der DDR-Bevölkerung zur Verfügung gestellt wurde. Es war eine logische Folge des Umbruchs, dass mit dem Beitritt zur Bundesrepublik viele Gebrauchsgüter der DDR im Nirwana verschwanden.

Doch es gibt ein so genanntes „DDR-Museum“, der offizielle Name lautet „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt. Die Sammlung der rund 170 000 Alltagsgegenstände wurde vor allem durch mehr als 2000 Schenker zusammengetragen.

Verständlicherweise kann nur ein Bruchteil davon in der Dauerausstellung, weitere Stücke in Sonderausstellungen, gezeigt werden. Die Sammlung umfasst Gegenstände wie Möbel, technische Geräte, aber auch Fotografien, Tonträger und vieles mehr. Eine sehr lobenswerte Initiative der Erinnerungskultur, die mich neugierig machte. Und so fuhr ich eines Tages spannungsgeladen über Frankfurt/Oder nach Eisenhüttenstadt.

Die Stadt, die erste neue Stadt in der DDR, die von 1953 – 1961 den Namen Stalinstadt trug, empfing mich ungnädig. Nirgendwo auf dem Bahnhof entdeckte ich einen Hinweis auf das genannte Museum. Auch wenn man den Bus ab Bahnhof benutzt, ist von der angegebenen Haltestelle Rathaus aus die Adresse Erich-Weinert-Allee 3 nicht leicht zu finden.

Wenige Menschen auf der Straße, die ich fragen konnte. Einige von ihnen waren ratlos. Nirgendwo ein Hinweis – es fehlt am Geld, wie mir eine Mitarbeiterin des Museums verriet. Aber da steht dieses Museum nicht allein.

Das Dokumentationszentrum ist in einer ehemaligen Kinderkrippe untergebracht. An die vorherige Funktion des Hauses erinnert eine bleiverglaste Fenstergestaltung von Walter Womacka „Aus dem Leben unserer Kinder“. Es hielten sich mehrere Besucher an diesem Tag im Museum auf und so hörte ich manch erstaunten, freudigen Ausruf – Guck mal, ach das hatte ich ja total vergessen-oder- Das gibt’s ja nicht.

Das stand doch bei uns auf der Anrichte-oder-Das waren noch Zeiten, als ich Karo geraucht habe. Das gab es also, das Wiedererkennen des Vergangenen.
Auch ich erinnerte mich wieder an viele Gegenstände und die damit verbundenen Episoden. Mit dem Starkreiniger „Imi“ z.B. hatte ich oft stark verschmutzte Wäsche eingeweicht.

Mit den Geldscheinen der Deutschen Notenbank der DDR (MDN) hatte ich meine Einkäufe bezahlt. Der 10-Mark-Schein trug das Konterfei von Schiller, auf dem 20-Mark-Schein war Goethe verewigt, die 50- und 100-Mark-Scheine waren mit den Köpfen von Engels und Marx versehen. Die waren mir bereits aus dem Gedächtnis entschwunden. Wir haben sie ja gegen andere Köpfe getauscht.

Auch ich habe Damenstrumpfhosen von Esda getragen, habe das Schaumbad Badusan benutzt, habe mit großem Interesse die Zeitschriften „Kultur im Heim“, die „Für Dich“, die „Sibylle“ oder „Das Magazin“ gelesen. Ich habe Schmuckblatt-Telegramme zu Jubiläen versandt und das erste Tonbandgerät in meinem Haushalt trug den Namen „Smaragd“.

Heutzutage wird schnell mal über das Handy eine SMS zum Geburtstag geschickt. Besonders an solchen Objekten kann man die rasante, technische Entwicklung nachempfinden. Und das Brot! Für ein 1,5-kg Roggenbrot zahlte ich damals 0,78 M. Lebensmittel waren subventioniert. Das wurde als selbstverständlich hingenommen. Diese Subventionen für viele Waren des täglichen Bedarfs waren schließlich ein Teil der so genannten „zweiten Lohntüte“.

Die ausgestellten Gegenstände und Materialien sind das Eine. Wie man sie darstellt, in welchen Kontext sie gestellt werden, wie ihr Umgang damit kommentiert wird, ist das Andere. Es ist mir z.B. ein Rätsel, warum der Motorroller „Schwalbe“ das zentrale Objekt des Ausstellungsraums „Familie“ ist. Im Begleitkatalog zur Ausstellung lese ich „…dass er in der DDR vor allem als praktisches Transportmittel diente und als Fahrzeug für die berufstätige Frau galt.

In Verbindung mit einem Einkaufsnetz verweist die „Schwalbe“ auch auf die Doppelbelastung der Frau zwischen Beruf und Familie.“ Ein sehr weit hergeholtes Konstrukt. Dass Frauen durch Beruf und Familie überall auf der Welt einer Doppelbelastung unterliegen, ist fast schon so lange bekannt wie das Amen in der Kirche.

Da muss man nicht explizit die Doppelbelastung der Frau in der DDR hervorheben. Nur so nebenbei vermerkt man, dass die Aus- und Weiterbildung der Frauen gefördert und durch sozialpolitische Maßnahmen unterstützt wurde. Es wäre für den Besucher doch interessant zu erfahren, dass die DDR unter starker internationaler Beteiligung bereits im Jahre 1976 ein Internationales Jahr der Frau mit wissenschaftlichen Veranstaltungen und der Vergabe von Forschungsthemen an Hochschulen und Universitäten gestaltet hat.

Themen wie „Die Frau in der Familienerziehung“, „Die Frau in der Landwirtschaft“, „Rechtsfragen der Stellung und Förderung der Frau in der DDR“ oder „Die Verantwortung der Gewerkschaften für die berufstätige Mutter“ beleuchteten viele Aspekte der Gleichberechtigung, von der die Frauen in der BRD zu diesem Zeitpunkt noch träumten.

Ich musste an die Unterstützung meines Betriebes denken, der mir mit Studienförderungsvertrag, finanziellen Mitteln usw. über die Zeit des Fernstudiums hinweg half. Das in den Vordergrund zu stellen, passt natürlich nicht in die heutige politische Landschaft.

Ich denke, dass die jungen Frauen von heute auch nicht unbelastet sind, ja womöglich haben sie es noch schwerer, Beruf, Familie und Kinder unter einen Hut zu bringen, wenn ich nur an die unbefriedigende Situation der Kinderbetreuung denke. Klar, die Frauen von heute fahren Auto. Stellt man in vielen Jahren vielleicht ein Auto mit einem Einkaufskorb als zentrales Objekt in einen Ausstellungsraum für die „Familie“?

Es fiel mir an vielen Stellen auf, dass man uns DDR-Bürgern in dieser Ausstellung das Leben erklären will, wie wir es eigentlich gar nicht gelebt haben. Zitat Begleitkatalog „Es wird deutlich, dass das politische System weder eine kritische oder gar oppositionelle politische Position erlaubte, noch für eine Zivilgesellschaft Raum ließ.“

Diesen Standpunkt kann ich nicht teilen. Und erneut stelle ich mir die Frage: Wo bleibt die Objektivität in der historischen Aufarbeitung der Geschichte der DDR?
Insofern bin ich von meiner Erinnerungsreise mit sehr gemischten Gefühlen zurück gekommen.

Es waren keine nostalgischen, sondern realistische Erinnerungen, die mich zu dem Schluss kommen ließen, dass ich doch mit zwanzig Jahren eine gute Zeit hatte, die ich mir auch nicht übel reden lasse. Dass die technische Entwicklung weit fortgeschritten ist, ist für die Menschheit ein Segen.

Den damit einher gehenden Komfort von heute möchte auch ich nicht mehr missen. Also: Alles hat seine Zeit. Zwanzig war damals – heute ist heute. Und die Altersweisheit ist ja auch nicht zu verachten.

Mit dem Regio ist Eisenhüttenstadt vom Ostbahnhof aus über Frankfurt/Oder schnell zu erreichen. Das Museum hat Di-So von 11.00 – 17.00 Uhr geöffnet. Informieren können sie sich auch vorher im Internet unter www.alltagskultur-ddr.de