Das Instrument des Jahres 2021: Die Orgel – Königin der Instrumente
Bild: Wikipedia
von Ursula A. Kolbe
Sie wird die Königin der Instrumente genannt und ist das größte, das tiefste und das höchste, das lauteste und leiseste. Seit 2017 sind Orgelmusik und Orgelbau durch die UNESCO als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Und dieses Jahr steht ganz im Zeichen der Orgel. Denn gemeinsam haben die Landesmusikräte Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen die „Königin“ der Instrumente zum Instrument des Jahres bestimmt.
„Kirchenmusik ist eines der Fundamente kulturellen Lebens in Geschichte und Gegenwart“, so der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Prof. Christian Höppner. Und er sagte weiter: „Im Sinne der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung Kultureller Vielfalt bewahrt die Kirchenmusik kulturelles Erbe, fördert künstlerische Ausdrucksformen der Gegenwart und pflegt den Dialog mit anderen Kulturen in unserem Land. Über ihren kirchlichen Verkündigungsauftrag hinaus entfaltet sie kulturelle Prägungskraft in die Gesellschaft hinein….
Dieses Jahr der Orgel als ‚Instrument des Jahres‘ zu widmen, ist daher nicht nur als ein Zeichen für den Erhalt der etwa 50.000 Orgeln deutschlandweit zu verstehen, sondern auch als Hommage an das Orgelspiel und den Orgelbau mit all seinen damit verbundenen Gewerken. Das Engagement der Landesmusikräte mit dieser Initiative und der Kirchenmusikkongress des Deutschen Musikrates im Oktober setzen ein deutliches Zeichen gegen Kürzungen in diesem Bereich.“
Mit der bereits 2008 ins Leben gerufenen Initiative „Instrument des Jahres“ wird jährlich ein Instrument in den Fokus gerückt, für alle sichtbar und zugänglich gemacht. Die Orgel wird 2021 nicht nur beim Kirchenmusikkongress eine zentrale Rolle spielen, und sie darf auch beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ nicht fehlen.
Die Orgel im Dachgeschoss eines Reihenhäuschens
In diesem Zusammenhang, finde ich, passt auch gut der kürzlich im „Leute“-Newsletter für Reinickendorf des „Tagesspiegel“ erschienene Beitrag von Gerd Appenzeller, in dem u. a. geschrieben wird: Als Uta Schwarz-Korth aus Hermsdorf im Tagesspiegel einen Text über die Orgel, die „Königin“ der Instrumente, las, war sie berührt.
Denn ihr 2006 verstorbener Mann, Peter Schwarz, war ein begnadeter Organist, Dirigent, Hochschullehrer und Musikwissenschaftler. 1961 wurde er Organist der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche in Tiergarten, wo er fast jeden Sonntag Konzerte gab. Dort gründete er auch einen großen Chor, die „Berliner Capella“. 1987 wurde er Ordentlicher Professor an der Akademie der Künste. Wer Orgel spielt, muss auch üben. Im Winter aber sind die Kirchen kalt.
Deshalb ließ sich Peter Schwarz in das Dachgeschoss seines Reihenhäuschens in der Boumannstraße eine Orgel bauen. So konnte er zu Hause üben und ganz nebenbei die Nachbarschaft erfreuen. Seine Frau hat viele Erinnerungsstücke aufbewahrt und beschreibt Schwarz als Lebemann: „Er trank gern Rotwein, rauchte seine Pfeife und trug seine ausgebeulte Schiebermütze.“ Auch nach seinem Tod kann die Malerin und Künstlerin Uta Schwarz-Korth das wunderbare Instrument nutzen. Ihre Nichte ist Organistin. Und so schwebt, wenn sie spielt, der Geist von Peter Schwarz auch heute noch durch den Raum.
Zehn kuriose Fakten über die Orgel
Erstmals ist übrigens ein Tasteninstrument mit diesem Titel geehrt worden. Die bisherigen „Instrumente des Jahres“ waren Klarinette (2008), Trompete (2009), Kontrabass (2010), Posaune (2011), Fagott(2012), Gitarre bzw. Baglama (2013), Bratsche (2014), Horn (2015), Harfe (2016), Oboe (2017), Cello (2018). Saxophon (2019) und Geige (2020).
Vor mehr als 2.000 Jahren wurde die Orgel in Alexandria erfunden und gelangte über Byzanz nach Europa, wo es seit der Karolingischen Renaissance als Kulturgut bis in die Gegenwart weiterentwickelt wurde. Über all diese Zeit wurden zehn spannende Fakten gesammelt:
1. Die größte Orgel der Welt wiegt 150 Tonnen
Die „Bordwalk Hall Auditorium Organ“ steht in Atlantic City. Zwischen Mai 1929 und Dezember 1932 wurde sie von der Orgelwerkstatt Midmer-Losh erbaut. Der Gigant verfügt über unglaubliche 450 Pfeifenreihen, 1.250 Registertasten und sieben Manuale. Theoretisch sind den Klangfarben also keine Grenzen gesetzt.
Praktisch sieht es anders aus: Das Orgel-Monstrum ist zum größten Teil nicht funktionstüchtig. Die Kombination verschiedener Register lief noch nie einwandfrei, Hurricane-Schäden und Asbest erschweren die Instandhaltung. Dank einer Spendenkampagne soll hoffentlich 2023 die volle Funktionsfähigkeit wieder hergestellt sein. Als größte spielbare Orgel der Welt gilt deswegen derzeit die Wanamaker-Orgel in Philadelphia.
2. Die Orgel wurde in Alexandria erfunden
Der Mechaniker Ktesibios (285 – 222 v. Chr.) aus Alexandria kann als Erfinder der Orgel angesehen werden. Er entwickelte ein Instrument, das erklang, wenn ein gleichmäßiger Winddruck durch Metallpfeifen geleitet wurde. Ktesibios nannte sein Instrument „organon hydraulikon“ („Wasserpfeife“), weil der benötigte Winddruck durch Wasser erzeugt wurde. Diese Orgeln wurden u. a. bei Theateraufführungen eingesetzt, in Griechenland und später auch im römischen Reich.
3. In Deutschland gibt es 50.000 Orgeln
Die meisten deutschen Orgeln stehen in Kirchen, Konzert- oder Wohnhäusern. Die größte Orgel Deutschlands befindet sich im Passauer Dom St. Stephan (229 Register, 326 Pfeifenreihen). Die kleinste deutsche Domorgel hat Naumburg. Einfache Formen des Instruments finden sich aber auch als Drehorgeln in Fußgängerzonen oder auf Jahrmärkten, etwa als Ausstattung von Karrussells.
4. Einige Orgeln befinden sich in freier Natur
Es gibt tatsächlich Freiluft-Pfeifenorgeln, die das ganze Jahr über Wind und Wetter trotzen müssen. Zu den größten ihrer Spezies gehört die Orgel im Balboa Park von San Diego. (USA). Sie wurde 1915 erbaut, und bis heute ziehen San Diegos Freiluft-Orgelkonzerte massenweise Zuhörer an. Die Orgel wird außerdem gerne von Schulklassen besucht, um einen Einblick in die Orgelwelt zu bekommen.
5. Die Orgel hat das größte Tonspektrum aller Instrumente
Das Frequenzspektrum der Orgel reicht vom tiefsten Laut, den das menschliche Ohr wahrnehmen kann, bis in die höchsten Höhen. Dabei kann die Orgel sowohl verschwindend leise als auch markerschütternd laut klingen. „Das lässt sich mit einem Spieler mit keinem anderen Instrument so abbilden“, betont der Mainzer Domorganist Daniel Beckmann. „Als Organist ist man quasi Dirigent eines großen Sinfonieorchesters und kann aus einer unendlichen Fülle an Klangfarben schöpfen.“
6. Die erste LKW-Orgel kommt aus Deutschland
Wenn die Leute nicht zur Orgel kommen, dann muss die Orgel zu den Leuten kommen, dachte sich die Orgelbaufirma Hoffmann aus Ostheim in der Rhön und baute im Jahr 1998 eine fahrbare Orgel in einen Lkw hinein. Damit das Instrument das Leben auf der Straße unbeschadet übersteht, verfügt es über eine spezielle Luftfederung und Niveauregulierung. Außerdem wird die Orgel gegen Insekten geschützt.
Da die Traktur der Orgel elektrisch funktioniert, kann der Spieltisch beliebig im Umkreis des Lkw aufgestellt werden und ist über ein Kabel mit dem Instrument verbunden. So kann die Orgel theoretisch überall zum Einsatz kommen, sei es auf Marktplätzen oder Streuobstwiesen. Einzige Einschränkung: Wetterkapriolen oder begrenzte Zufahrtsmöglichkeiten für das Fahrzeug.
7. Einige Orgeln können schweben
Und damit sind keine klanglichen Schwebungen oder gar verstimmte Orgeln gemeint: Einige Orgeln schweben buchstäblich durch den Kirchenraum oder Konzertsaal. Das Prinzip ähnelt einem Luftkissenboot: Unter der Orgel sind Luftkissen angebracht, die mittels Kompressoren so weit aufgepumpt werden, bis das schwere Instrument Millimeter über dem Boden schwebt. Ferngesteuerte Traktoren bewegen es dann an jeden beliebigen Platz der Kirche oder Bühne. Weltweit gibt es vier schwebende Luftkissen-Orgeln. Eine davon steht in Deutschland: in der Klosterkirche in Alpirsbach.
8. Orgeln haben Dialekte
Wie Orgel genau klingt, unterscheidet sich in Deutschland je nach Region. „Die Orgelbauer haben Klänge produziert, die sie in ihrem Ohr drin hatten. Die Klangfarben sind nichts anderes als konservierte Dialekte, insbesondere Vokale – der Stimme nachempfunden“, erklärt der Musikwissenschaftler und Orgelsachverständige Michael Kaufmann von der Uni Heidelberg. Eine sächsische Orgel habe daher mehr „oah“, eine norddeutsche mehr „aa“, eine süddeutsche „eeh“ im Klang. „Diese dialektalen Formen im Orgelklang machen unsere Orgellandschaften so facettenreich wie nirgends sonst auf der Welt.“
9. Berlin ist die deutsche Orgelstadt
Mit mehr als 800 bespielbaren und 1.435 dokumentierten Orgeln ist Berlin die größte Orgelstadt Deutschlands und die Bandbreite entsprechend: Eine der Orgeln wurde im Jahr 1755 für Prinzessin Anna Amalie von Preußen erbaut. Die Orgel im Berliner Dom wiederum stammt aus dem Jahre 1905 und war damals mit 113 Registern und 7.269 Pfeifen die größte Orgel Deutschlands.
Die europaweit einzigartige „Mighty Wurlitzer“ steht im Berliner Musikinstrumentenmuseum. Und im Babylon-Kino befindet sich die einzige am originalen Standort erhaltene Kino-Orgel Deutschlands. Über 80 Orgelbauer haben in Berlin ihre Spuren hinterlassen. Fünf Orgelbauer und ein Drehorgelbauer haben auch heute noch ihren Sitz in Berlin.
10. Das langsamste Orgelstück dauert über 600 Jahre
Geschrieben wurde es vom amerikanischen Komponisten John Cage. Der Titel: „ASLSP“ –„As slow aspossible” – “So langsam, wie möglich“. Während eines Orgelsymposiums in Trossingen entstand die Idee, den Namen dieses Werkes wörtlich zu nehmen und das Stück über einen Gesamtzeitraum von mehr als 600 Jahren aufzuführen. Der erste Ton erklang am 5. Februar 2003, alle paar Jahre folgt ein Klangwechsel. Der Schlusston soll im Jahre 2639 erklingen. Zu hören ist „ASLSP“ in der Burchardikirche in Halberstadt. Auf der Webseite dieses wohl verrücktesten Orgelprojekts der Welt kann man sich anhören, welcher Ton momentan im Kirchenraum klingt.
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